Riccardo Esposito: «Lugano hat die grössten Wachstumschancen»


Riccardo Esposito, wie präsentiert sich der Tessiner Finanzplatz aktuell?

Ende 2024 hat ein neuer, positiver Zyklus begonnen – nach sehr schwierigen Jahren.

Was gibt Ihnen dieses Gefühl?

Das ist nicht nur ein Gefühl. Die Firma FinLantern ist eine Plattform mit einem weit verzweigten und qualitativ hochwertigen Netzwerk in der Finanzbranche.

Wir organisieren jährlich Dutzende von Veranstaltungen in der Schweiz und in Italien. Der Erfolg dieser Anlässe ist ein ausserordentlich guter Frühindikator für die Verfassung der Branche.

Und was sagen Ihnen die Daten?

Es mehren sich die Anzeichen, dass diverse Akteure ernsthaft daran interessiert sind, auf dem Tessiner Finanzplatz Fuss zu fassen oder ihre Präsenz hier auszubauen.  

«Das ist ein neues Phänomen – nach sieben, acht sehr schwierigen Jahren.»

Um Ihnen eine Vorstellung zu geben: Die Anfragen für die Organisation von Präsentationen vor qualifizierten Investoren in der Region haben sich praktisch verdreifacht. Das ist ein neues Phänomen – nach sieben, acht sehr schwierigen Jahren.

Das hängt nicht nur mit der Corona-Pandemie und dem Ende des Bankgeheimnisses zusammen. 

Lugano und das Tessin haben ab 2015 eine höchst schwierige Phase durchgemacht – man kann dabei durchaus von einem «Perfect Storm» sprechen, wie man auf Neudeutsch sagen würde.

Der erste Schock war das Ende des Bankgeheimnisses – ein epochaler Wandel, auch kulturell, der sich, wie es bei solchen Veränderungen üblich ist, über Jahre hinzog. Danach kamen die verschiedenen italienischen Steueramnestien, die enorm viel Kapital aus dem Tessin abfliessen liessen.

Dann folgte die Corona-Pandemie. Und als man sich gerade davon zu erholen begann, kam der Zinsanstieg, mit der daraus resultierenden Obligationenkrise. Das war ein harter Schlag für viele Tessinerinnen und Tessiner, weil sie stark in diesem vermeintlich sicheren Segment investiert waren.

Und schliesslich – als ob das alles nicht schon gereicht hätte – krachte die Credit Suisse zusammen.

Ist aus all diesen Krise auch Neues entstanden?

Ja, durchaus. Es ist eine Generation von Berufsleuten in der Finanzbranche herangewachsen. Anfangs noch als Aussenseiter mit eher geringen verwalteten Vermögen, aber smarter, schlanker, leistungsorientierter und offen für mehr Wettbewerb.

«Diese neuen Akteure haben sich beträchtliche Marktanteile geschnappt.»

So hat sich die Branche sukzessive von den alten Geschäftsmodellen verabschiedet, in denen der Kunde fast schon ein «Gefangener» der Bank war. Parallel dazu ist eine echte und höchst professionelle Serviceorientierung mit effizienten und transparenten Finanzprodukten entstanden.

Diese neuen Akteure haben sich beträchtliche Marktanteile geschnappt – und heute sind es genau sie, die den Aufschwung tragen. Wir sehen das sehr deutlich in unserer Datenbank.  

Lässt sich dieser Aufschwung mit Beispielen belegen?

Ja klar. Früher galt unter Vermögensverwaltern eine Risikomanagement-Software als ein unnötiger Kostenfaktor, zumal der Kunde ohnehin treu blieb. Heute ist eine solche Software essenziell – weil die Kunden einerseits selbst über ein hochgradiges Finanzwissen verfügen und andererseits moderne IT-Tools verlangen.

Oder anders gesagt: Dieselbe Software wird heute nicht mehr als Kostenpunkt, sondern als Investition betrachtet. Dieser Mindset-Wechsel verlief zwar langsam, ist aber inzwischen vollzogen.

Hat sich auch die Bankbranche im Tessin gewandelt?

Absolut. Auch da ist ein Kurswechsel zu erkennen. Nach Jahren der Schliessungen hat die italienische Banca Generali im Mai 2024 eine Niederlassung in Lugano eröffnet, und im Oktober 2024 hat mit Sygnum die erste Schweizer Kryptobank eine Filiale eröffnet. Und nicht nur das. Auch eine weitere Bank, mit der wir höchst aktiv zusammenarbeiten, prüft derzeit die Eröffnung einer eigenen Niederlassung in Lugano. Mehr kann ich leider im Moment nicht verraten.

Bemerkenswert ist aber auch, dass selbst der Gigant UBS kürzlich deutlich gemacht hat, wieder stärker auf Wachstum und Entwicklung im Tessiner Finanzplatz zu setzen. So hat die UBS unlängst ihre Teilnahme als Hauptpartnerin am kommenden Lugano Finance Forum (LFF) im November offiziell bestätigt.

«Man muss sich der lokalen Kultur anpassen.»

Das sind starke Signale, die zeigen, dass Lugano strategisch wieder da ist. Aufgrund der Rückschläge in den vergangenen Jahren ist es nun das Finanzzentrum mit dem grössten Wachstumspotenzial in der Schweiz.

Was raten Sie den Firmen, die in den Tessiner Markt einsteigen wollen

Erstens: nicht zögern. Das Tessin ist in seiner Grösse zwar begrenzt. Doch wer als «First Mover» auftritt, hat automatisch einen wichtigen Wettbewerbsvorteil und kommt nicht zu spät.

Zweitens: Man muss sich der lokalen Kultur anpassen. Anders als Zürich, wo der Markt sehr international ist und man mit einem Mehrwert sehr schnell Partner findet, braucht es im Tessin doch etwas mehr Anstrengungen.

Wie meinen Sie das?

Das Tessin ist ein referenzieller Markt. Hier zählen das persönliche Netzwerk und eine konstante Präsenz. Ein- oder zweimal im Jahr aus Zürich oder Genf vorbeizuschauen, reicht definitiv nicht.

«Bitte keine Werbesprüche wie ‹schönes Klima und Seeblick›.»

Es braucht ständige Präsenz, echte Beziehungen und eine Integration in das lokale Gefüge. Wer nicht durch jemanden eingeführt wird, der bereits vor Ort aktiv ist, hat es schwer, erfolgreich zu expandieren.

Was kann man noch zusätzlich unternehmen, um nun im neu aufstrebenden Tessin erfolgreich zu sein?

Vor allem gilt es, wieder attraktiv zu sein für das viele Kapital aus dem benachbarten (Nord-)Italien. Wir müssen Italien klar kommunizieren, dass das Tessin heute eine ernsthafte Alternative für die Vermögensverwaltung ist – vor allem für italienische Unternehmer, die ihr Länder- und Politikrisiko diversifizieren wollen.

Allerdings muss diese Botschaft klar und transparent kommuniziert werden. Keine Werbesprüche wie «schönes Klima und Seeblick», sondern eine realistische, ehrliche Darstellung von Qualität, Leistung, Sicherheit und Mehrwert.

Im Tessin arbeiten hochqualifizierte Fachkräfte. Dafür gebührt auch den lokalen Behörden Anerkennung, die in den vergangenen Jahren ein günstiges, offenes Ökosystem für alle Anlageformen geschaffen wurde: Nicht nur für Aktien, Anleihen und Immobilien, sondern auch für Bitcoin und digitale Vermögenswerte. Das kann man nicht genug betonen.

«Uns bietet sich eine historische Chance.»

Gerade diese Offenheit gegenüber neuen Assets sollte heute als riesiger Vorteil erkannt werden. Endlich in die Vermögenswerte der Zukunft investieren zu können, ohne dabei schief angeschaut zu werden – und das alles in einem steuerlich, bürokratisch und regulatorisch schlanken und wettbewerbsfähigen Umfeld.

Wie sieht Ihr Szenario für die nächsten Jahre aus?

Ich bin optimistisch. Ich glaube wirklich, dass jetzt der richtige Moment gekommen ist, um zuversichtlich auf die mittel- bis langfristigen Perspektiven des Tessiner Finanzsektors zu blicken.

Uns bietet sich nun eine historische Chance, die es zu packen gilt. Es ist Zeit, in den Aufschwung einer Region zu investieren, die enorm viel zu bieten hat – nicht nur wegen ihrer Vergangenheit, sondern auch dank der Qualitäten des Humankapitals und der Innovationsfreude, die in den vergangenen paar Jahren wieder aufgekommen ist. Lugano ist zurück als wettbewerbsfähiger, moderner und angesehener Finanzplatz.

FinLantern leistet seinen Beitrag mit Veranstaltungen, Inhalten und Networking. Das Lugano Finance Forum am 18. November ist das Herzstück aller dieser Bestrebungen. Ein Ort, um sich wiederzusehen, durchzustarten und die Zukunft zurückzuerobern.


Mit mehr als 15 Jahren Erfahrung im Finanzsektor ist Riccardo Esposito, Gründer und CEO von FinLantern, eine Galionsfigur des Tessiner Finanzplatzes. Seine Datenbank umfasst mehr als 60’000 Kontakte hochkarätiger Finanzfachleute aus der Schweiz und Italien – sein unermüdliches Engagement machen den früheren Investmentbanker zu einer der wichtigsten Stimmen für die Analyse der Finanzbranche und dessen Potenzial.