Alexandra Janssen: «Auch Bitcoin-Fans sollten ihre Anlagen diversifizieren»

Der Bitcoin eilt von Rekord zu Rekord, was das Interesse einer breiteren Anlegerschaft befeuert und die harte Fangemeinde bestärkt. Im Preis spiegeln sich die hohen Erwartungen an die Blockchain-Technologie, sagt die Ecofin-CEO. Sie plädiert für ein Finanzsystem, das die Freiheit bewahrt.

Auch wenn der Bitcoin derzeit leicht unter seinem Allzeithoch vom Montag von über 122'000 Dollar notiert – seine Performance über die letzten Jahre ist imposant und lässt immer mehr Skeptiker verstummen. finews.ch verhält sich quasi antizyklisch zum Boom und konfrontiert die Ökonomin Alexandra Janssen mit kritischen Fragen. Janssen ist CEO der Vermögensverwaltungsgesellschaft Ecofin.

Frau Janssen, derzeit wird viel über institutionelle Anleger wie Pensionskassen gesprochen, die daran sind, Bitcoin in ihre Asset Allocation zu integrieren. Zudem scheinen Privatanleger bzw. entsprechende Anlagegefässe wie Exchange Traded Products (ETP) stark in Bitcoin zu investieren. Stimmt dieses Bild der Käuferseite mit Ihren Beobachtungen überein?

Das Interesse an Bitcoin und der Blockchain-Technologie ist hoch. Bei Privatkunden führt das häufig zu einer Bitcoin- oder Krypto-Quote im Portfolio. Auf der institutionellen Seite führt das Interesse in vielen Fällen erst einmal zur Auseinandersetzung mit der Blockchain-Technologie, aber Investitionen von Institutionellen in Bitcoin beobachten wir in der Schweiz noch relativ selten. Dass ihr Anteil an ETP im Vergleich zum Gesamtmarkt hoch ist, liegt daran, dass es für Institutionelle governance-technisch häufig nicht möglich ist, Bitcoin in Eigenverwahrung (self-custody) zu halten. Bei Privatkunden hingegen ist gerade das ein wichtiger Aspekt bei Krypto-Investitionen – die Unabhängigkeit vom traditionellen Finanzsystem.

«Investitionen von institutionellen Anlegern in Bitcoin beobachten wir in der Schweiz noch relativ selten.»

Krypto-Spezialisten und auch einige Banken haben ihr Kursziele jüngst nochmals heraufgesetzt. Wo gekauft wird, muss es aber auch Verkäufer geben, zumal die Zahl der Bitcoins auf rund 21 Millionen begrenzt ist. Wer ist bereit, sich quasi in die Hausse hinein von seinen Bitcoins zu verabschieden?

Es gibt verschiedene Gruppen von Verkäufern mit unterschiedlichen Motivationen. In Einzelfällen sind es kurzfristige Investoren oder Arbitrageure. Häufiger sind es Miners, die zum Teil Bitcoin verkaufen, um die laufende Infrastruktur zu finanzieren. Und langjährige Halter von Bitcoin verkaufen, um zu diversifizieren. Diese Investoren möchten einen Teil ihres in Bitcoin gehaltenen Vermögens in andere Assets diversifizieren, auch in traditionelle.

Wenn sich solche Investoren nun von einem Teil ihrer grossen Bitcoin-Bestände trennen: Ist das eine aus Risikomanagement-Überlegungen vernünftige Reaktion?

Ja. Auch Investoren, die vom Potential von Bitcoin tief überzeugt sind, wissen, dass sie die Zukunft nicht kennen. Sie tun gut daran, ihre Anlagen zu diversifizieren. Wir sehen das auch in unserer eigenen Arbeit: Wir unterstützen nicht nur Anleger, die ihr Portfolio aus traditionellen Anlagen mittels Diversifikation möglichst robust aufstellen möchten. Wir unterstützen auch Anleger, die ihr Krypto-Portfolio mit traditionellen Anlagen erweitern möchten.

«Die ‹Greater fool›-Theorie, wonach sophistizierte Investoren ihre Bitcoin rechtzeitig an weniger gut informierte Anleger abstossen, lässt sich nicht stützen.»

Könnte das Phänomen nicht auch so gedeutet werden, dass sich die Insider, die Kassa gemacht haben, rechtzeitig zurückziehen wollen, bevor die Blase platzt, mit der Konsequenz, dass dann der ganze Schaden bei den unbedarften Späteinsteigern hängen bleiben wird?

Wallets, die bereits sehr lange aktiv sind, verkauften dieses Jahr im Vergleich zu Vorjahren nicht übermässig Bitcoin. Die «Greater fool»-Theorie, wonach sophistizierte Anleger rechtzeitig den Ausstieg suchen und ihre Assets an weniger gut informierte Anleger abstossen, lässt sich also nicht stützen. Was man beobachtet, sind Rebalancing-Bewegungen: Nach Kursanstiegen kommt es bei grossen Wallets zu Verkäufen. Das ist wiederum konsistent mit einer ökonomischen Sicht auf das Risiko dieser Anleger.

Oft wird der Bitcoin-Preis als Thermometer für das Misstrauen ins traditionelle Finanz- und Währungssystem interpretiert. Allerdings ist dieses traditionelle System derzeit daran, den Bitcoin zu einem normalen Asset zu machen und damit zu integrieren. Ist das nicht ein Widerspruch?

Der Preis steigt nicht nur, weil viele Personen von Bitcoin überzeugt sind. Er reflektiert auch die Erwartungen an die Blockchain-Technologie. Die Bedeutung des technologischen Aspekts verdeutlicht sich, wenn man sieht, dass Bitcoin und Technologie-Aktien häufig in ähnlichen Momenten an Wert eingebüsst haben. Bitcoin konnte sein Rolle als «digitales Gold» also bis jetzt nicht wahrnehmen. Durch die Wertsteigerung ist natürlich das Interesse stark gestiegen. Das ist nicht per se ein Widerspruch, sondern der normale Weg, den eine potentiell erfolgreiche Technologie geht. Was etwas ironisch anmutet, ist, wenn Bitcoin-Maximalisten die Adaption von Bitcoin durch Staaten bejubeln.

«Es mutet etwas ironisch an, wenn Bitcoin-Maximalisten die Adaption von Bitcoin durch Staaten bejubeln.»

Während viele Anleger also einfach von der Performance des Bitcoin angezogen werden, wirft die harte Fangemeinde mit radikalen Argumenten um sich. Alle andere Anlageklassen hätten gegen Bitcoin keinen Stich, das Ende des Fiat-Geld-Systems sei absehbar. Ist dieser missionarische Zug neu in der Anlagewelt?

Bitcoin-Maximalisten haben viel gemeinsam mit den Goldbugs der 1970er-Jahre oder gewissen Investoren in der Dotcom-Zeit, die das Ende der traditionellen Firmen beschworen haben. Doch es gibt auch viele Fans, die sehr differenziert argumentieren und trotz aller Begeisterung für Bitcoin auch sehen, welche anderen bedeutsamen Innovationen im Bereich der Blockchain-Technologie und von Decentralized Finance am Laufen sind.

Ist dieses «Bitcoin ist die Lösung aller Probleme»-Denken aus Ihrer Sicht nützlich, weil es einen wahren Kern hat, oder eher hinderlich, weil es eine rationale Diskussion erschwert?

Eine radikale Sicht ist nützlich, damit Bestehendes hinterfragt wird. Es gibt im heutigen Finanz- und Geldsystem viele grosse Herausforderungen, die man mit modernen Technologien im Prinzip lösen könnte. Doch das dogmatische Denken verhindert teilweise auch eine differenzierte Auseinandersetzung mit dem Status quo. Wir bauen das Finanzsystem ja nicht auf der grünen Wiese neu. Wir müssen, ausgehend vom Status quo, sinnvolle Veränderungen anstossen. Dazu braucht es ein tiefgreifendes Verständnis für das heutige System, technologische Offenheit und den Einsatz für ein besseres Geld- und Finanzsystem, das für die Zukunft gewappnet ist und die Freiheit der Menschen bewahrt.