In dieser Preisklasse ist die Schweiz noch in Ordnung. Kronleuchter tauchen die Salons in mildes Licht, die Kellner sind flink und freundlich, und wie vor hundert Jahren schweift der Blick weit und unverbaut über den See zum eisigen Kranz der Alpen.

von Margrit Sprecher

Mitte April 2013 freilich war’s vorbei mit der heitern Musse im Lausanner Hotel Beau-Rivage. Weisse Stellwände durchschneiden die Belle-Epoque-Pracht. Die Korridore sind mit Infoständen verstellt; dahinter sitzen Hostessen, die jäh lächeln, sobald man sie ansieht. Und im verdunkelten Kongressraum tagen 300 Männer, von denen das Schicksal ganzer Kontinente abhängt und die Essensration von Millionen Menschen. Es sind die mächtigsten Rohstoffhändler der Welt. Verglichen mit dem hier unter der Stuckdecke versammelten Vermögen sind die Davoser WEF-Teilnehmer arme Schlucker. Allein die vier Herren von Trafigura werden sich demnächst 1,6 Milliarden Dollar teilen. So viel bietet die drittgrösste unabhängige Ölhandelsfirma der Welt ihrem Kader für den Rückkauf von Aktien an.

 


Abdruck aus dem Magazin Reportagen das soeben den Design Preis Schweiz gewonnen hat. Das Magazin fokussiert bewusst auf den im deutschen Sprachraum wenig gepflegten „Long-form-journalism“. Sechsmal pro Jahr erzählen darin herausragende Journalisten und Schriftsteller die Gegenwart dieser Welt. «Reportagen» ist erhältlich in Buchhandlungen und an grösseren Kiosken.

Cover Reportagen«Reportagen» schenkt den Lesern von finews.ch eine Probeausgabe des Magazins!

Einfach mit Adressangabe bestellen unter Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

www.reportagen.com


 

So stand’s am Morgen in der Zeitung. So weiss es jetzt die ganze Welt. Doch Christophe Salmon, Trafigura-Finanzchef, will dazu nichts sagen. Denn der Rohstoffhandel ist eine verschwiegene Branche. «Wir sind konservative Leute.» Der Absolvent französischer Eliteschulen, eine elegante, höfliche Erscheinung, kann das aufdringliche Interesse der Öffentlichkeit am Rohstoffhandel nicht verstehen. «Das ist ein ganz normales Geschäft. Wir kaufen die Ware vom Hersteller, sorgen für den Transport und liefern sie dort ab, wo sie gebraucht wird. Und an der Differenz verdienen wir.» Dann hallt der Gong. Christophe Salmon springt elastisch auf und eilt mit langen Schritten in den Konferenzsaal. Dort geht der Rohstoff-Poker weiter. Wie reagieren Metall- und Mineralienpreise auf die gesunkene Kauflust der Chinesen und das Auftauchen neuer Player auf dem Markt?

Dass dieses Geschäft so normal nicht ist, beweist das Polizeiaufgebot. Einsatzwagen versperren die Eingänge, und in den Hotelkorridoren sprechen grimmige, schwarz gekleidete Männer in ihre Funkgeräte. Sie waren auch gleich zur Stelle, als Christophe Salmon die Tür zum Balkon aufstiess, um frische Luft zu schnappen. Ein Sicherheitsmann machte sie unverzüglich wieder zu.

Der Feind hockt im «Maison de Quartier Sous-Gare», zwei Kilometer Luftlinie vom «Beau-Rivage» entfernt. Es muss die Hardcore-Gruppe sein, die sich am ersten richtigen Frühlingstag in einen Raum sperren lässt, wo alles Plastik und freudlos verblichenes Beige ist. Denn draussen segeln federleichte Wölkchen über den See; die Magnolien explodieren, und am Quai drehen sich Gesichter mit geschlossenen Augen der Sonne zu. Glücklich balancieren die Veranstalter immer neue Stühle in den überfüllten Saal. Die Frauen tragen gern Folklore. Die jungen Männer haben sanfte Augen und lange Körper, mit denen sie noch nichts Rechtes anzufangen wissen. Wie immer in linken Veranstaltungen herrscht das kollektive Bedürfnis, so viel Kau- und Trinkbares mit sich zu schleppen, als stünde eine Wüstendurchquerung bevor.

Letztes Jahr hatten die Anwesenden den von der «Financial Times» erstmals organisierten Rohstoff-Gipfel verpasst. Dieses Jahr fanden schon Wochen zuvor die ersten links-grünen Protestversammlungen statt. Selbst Liliput-Organisationen mit nur zwanzig Mitgliedern, aber einem imposanten Buchstaben-Kürzel riefen zum Kampf auf. Denn Rohstoffhändler sind für Linke, was Nashörner für den Grosswildjäger: kapitale Beute. Und seltenes Wild. Nie tauchen sie in der Öffentlichkeit auf. Ihre Namen sind so unbekannt wie die ihrer Konzerne. Wer hat schon von Cargill und Vitol, Bunge und Mercuria gehört. Diese Worte stehen auf keiner Packung, auf keiner Büchse und an keinem Supermarktregal. Dabei sind die Firmen umsatzstärker als Nestlé.

Im «Maison de Quartier Sous-Gare» bekommt das aus der ganzen Schweiz angereiste Publikum zu hören, dass jeden Tag 37 000 Menschen verhungern. Und dies just in den rohstoffreichsten Ländern. Fast eine Milliarde ist dauernd schwer unterernährt. Schuld daran sind nicht nur Dürre, Kriege und korrupte Regierungen, in deren Taschen alle Einnahmen fliessen. Eben wurde die Tochter des angolanischen Präsidenten von «Forbes» als erste Milliardärin Afrikas gefeiert. Schuld sind auch die Rohstoffhändler und Spekulanten. Seit diese den Markt entdeckten, stiegen die Preise aller Grundnahrungsmittel explosionsartig. 44 Millionen Menschen fielen letztes Jahr neu unter die Armutsgrenze, weil sie sich Reis und Mais nicht mehr leisten können.

Um ihren theorielastigen Anlass aufzupeppen, haben die Veranstalter – ein Hilfswerk-Kollektiv von attac suisse über Swissaid bis Tour de Lorraine – drei Opfer der Rohstoffgilde einfliegen lassen. Optisch geben sie viel her. Der Indianer aus Kanada trägt Mittelscheitel und lange schwarze Strähnen, der kongolesische Bauer ist ganz in wallendes Gelb gehüllt. Nur der kolumbianische Kleinmineur trägt ein modern kariertes Freizeithemd. Alle drei werden maximal verwertet; eine Tournee mit bis zu sieben Auftritten ist geplant.

Bald freilich stellt sich heraus: Es handelt sich um absolute Medienprofis. Der Indianer hat, wie er sagt, seinen Vortrag «schon ein paar hundert Mal» in Kanada gehalten. Der Kolumbianer arbeitet hauptberuflich für die Hilfsorganisation Cocomopoca. Und auch der Kongolese verliess, hélas, die väterliche Scholle vor langer Zeit. Heute ist er einer der bekanntesten Fernseh-Kommentatoren seines Landes.

Ihre Vorträge sind denn auch superprofessionell. Der Kolumbianer zeigt eine Karte mit roten Farbtupfen, die sich allmählich zur Blutlache verdichten. Lauter in den letzten zehn Jahren an ausländische Rohstoff-Konzerne verschacherter Boden, verbunden mit Landraub und Vertreibung der Einheimischen. Um die neuen Herren vor den aufgebrachten Bauern zu schützen, lässt der Staat die Minen von Armeebataillonen bewachen. Aufruhr auch im Nachbarland Peru. Dort forderte ein Rohstoff-Riese die Schweizer Botschaft auf, die Regierung zum Parieren zu bringen. Nämlich: bergbaukritische Lehrpersonen und aufmüpfige Bischöfe zu entlassen oder zu versetzen.

Auch der Kongolese namens Victor arbeitet mit Karten und Farben. Alle gelb angemalten Flächen sind Goldminen-Gebiete. Das rosa Unterlegte bedeutet Diamanten. Blau heisst Kobalt-Lagerstätten, «ein seltenes Mineral, ohne das Ihr Handy oder Ihr Computer nicht funktioniert». Bereits ist ein Drittel des Landes in den Händen ausländischer Konzerne. «Zum Unterschreiben fliegt der Big Boss für zwei Stunden ins Land.» Fragt der Bürger öffentlich, warum sich die Ausländer nur mit 5 Prozent am Steueraufkommen beteiligen und in welche Taschen die Devisen fliessen, «verliert er ein paar Jahre seines Lebens». Schlimmer ergeht es nur noch Sambia: Dem Land gehören praktisch keine Bodenschätze mehr.

Nach drei Stunden Empörung fällt der Fluch des Rohstoffs auch aufs Publikum. Gelähmt von der schieren Wucht des gezeigten Unglücks, kann es die Atemnot der kongolesischen Minenanstösser, die unter dem 70-fach überschrittenen Schwefelaustritt leiden, nicht mehr richtig nachvollziehen. Schliesslich war eben von zwölfjährigen schwangeren Prostituierten die Rede. Und was sollen tote Flüsse und verschwundene Mangroven, verglichen mit ermordeten Gewerkschaftern?

Im «Beau-Rivage» sind die Vorträge kürzer und die Welt eine andere. Hier ist Afrika kein darbender Kontinent. Hier ist Afrika ein neuer Markt. «Bis jetzt haben wir von dort Gold, Kaffee, Zucker und Rohöl bezogen. Jetzt liefern wir der neuen afrikanischen Mittelschicht Konsumgüter», lautet der Vortrag von Ketan Patels, Direktor der Export Trading Group. «Mehr und mehr Menschen in Afrika wollen ein Auto oder einen Kühlschrank. Damit steigt der Ölverbrauch um 5 bis 7 Prozent jährlich. Und wir werden alle reicher.»

Am Global Commodity Summit sind Preissteigerungen das beste Mittel, um die Produktion von Nahrungsmitteln voranzutreiben: «Preise sind der beste Dünger.» Und statt über die Umweltschäden beim Abbau der amerikanischen Schiefergasvorkommen zu jammern, wird prophezeit, dass der «äusserst kostengünstige Energieträger die Re-Industrialisierung der Vereinigten Staaten vorantreibt». Die Folgen sind: «In einigen Jahren wird Amerika der nächste grosse Exporteur und China der nächste grosse Importeur sein.»

Die immer lauter werdende Kritik an ihrer Branche beunruhigt auch die Grössten der Grossen. Zum Beispiel Marco Dunand, Mercuria-CEO: «Man wirft uns mangelnde Transparenz vor. Das hat wahrscheinlich historische Gründe. Der Handel befindet sich hauptsächlich in privaten Händen, und wenn man eine Privatgesellschaft ist, muss man nicht unbedingt mit der Öffentlichkeit kommunizieren. Diese Ansicht ändert sich jetzt.»

Auch die Eröffnungsrede von Greg Page, Cargill-CEO, klingt wie eine einzige Verteidigung. Cargill, seit 150 Jahren in Familienbesitz, ist mit 140 000 Angestellten in 65 Ländern der grösste Agrarhändler der Welt. «Es herrscht die Vorstellung, dass der Rohstoffhandel völlig undurchsichtig ist. Dass wir die Märkte manipulieren und Preise fixieren, so wie dies eine kleine Gruppe mit dem Libor getan hat. Ich glaube, das könnte nicht weiter von der Wahrheit entfernt sein.» Cargill, sagt er, handelt mit zwei Millionen Bauern auf der Welt, bezahlt sie bar, damit sie Saatgut kaufen können, und kümmert sich um ihre Familien.

«Ist das schlecht?»

Doch Rohstoffhandel kann tatsächlich schlecht sein. Dann nämlich, sagt er, wenn pure Spekulation daraus wird, die sich weder um den Ursprung der Ware noch um die Zukunft des Geschäfts kümmert. Um solche Auswüchse zu stoppen, soll die Branche selbst nach dem Rechten sehen. «Wir müssen aus den Lektionen im Bankensektor lernen. Die Regulierungen haben begonnen, und sie werden weiter gehen.»