3. Teil der siebenteiligen Reportage «Banker unter Tage», von Hannes Grassegger.

Felix ist 22, ein schlanker junger Blondschopf mit Jeans und Karohemd, in der Hafenstadt Perth geboren, aufgewachsen, studiert. Seine Eltern wanderten aus Deutschland ein. Seit Felix laufen lernte, gab es in Australien keine Rezession, kein halbes Jahr mit sinkender Wirtschaftsleistung. Es ging bergauf. Und 2003, als Felix 14 war, begann der fünfte und bislang massivste Ressourcenboom des rostroten Kontinents.

Endlich werde Perth eine richtige Stadt, findet Felix. Eigentlich sei es ja eine Ansammlung von Vororten um ein kleines Wirtschaftszentrum mit ein paar Hochhäusern gewesen. Dass jetzt das Nachtleben blühe, dass die Kaffeequalität in Perth so gut geworden sei, sei alles neu, genau wie die Luxusbar 1907, die Dachbar Aviary, die Nobelläden auf der King’s Street – alles Folge des Rohstoffbooms. Jeder hier in Perth habe etwas mit dem Ressourcenbusiness zu tun, direkt oder indirekt.

Das Geld fliesst. Felix’ Einstiegslohn nach dem Bachelor lag bei über 80 000 Dollar. Ein 8-to-5-Bürojob als Ingenieur für eine Gasexplorationsfirma. Kein einziger von Felix’ Freunden ist arbeitslos, keiner musste mehr als ein paar Wochen nach einer Stelle suchen.
Dabei ist der Anfangzwanziger bescheiden geblieben. Hätte er das schnelle Geld gesucht, wäre er Handwerker geworden, wie einige Schulkameraden. Als Automechaniker kann man in Westaustralien mit 100 000 Dollar Jahresgehalt einsteigen. Handwerker sind knapp. Aber das sei ein anderer Schlag Menschen. Oder Felix wäre in die Minen gegangen, «on site». Auch etwa 100 000 Dollar Einstiegsgehalt für Ingenieure. Felix plant langfristig. «Ich weiss, dass es Verlierer diese Booms gibt. Aber ich bin auf der Gewinnerseite», lächelt Felix.
Einmal war Felix in Frankfurt, die Heimat seiner Ahnen besuchen. Die Armut dort hat ihn erschrocken. Durch Perth kann man tagelang laufen, ohne eine ausgestreckte Hand zu sehen.

Vor den Hörsaalfenstern der University of Western Australia, an der Felix einst studierte, ziehen weisse Motorboote Wasserskifahrer vorbei. Kitesurfer fliegen über die glitzernde See. Ein Stand auf einem Parkplatz verkauft Krabben und Hummer. Einige Radfahrer, die Helme noch auf, bilden eine kleine Schlange.

Wenn man raus in den Dreck muss, wird’s lästig. 18 Grad im tiefgekühlten Admin-Office. Dann rüber zum 4WD, 38 Grad. Eigentlich ganz warme, angenehm trockene Luft. Aber die Fliegen kriechen über die Lippen, in die Ohren, in die Nase, wah! Im Auto wieder Tiefkühler. Über die Schotterpisten. Ganz vorsichtig fahren. Nirgendwo gibt’s so strenge Verkehrsregeln wie hier. Der Funk läuft durchgehend. Man hört jeden. Jede Aktion muss angemeldet werden. Alles wird doppelt und dreifach überwacht. Jeder weiss hier, was der andere tut. Wir sind alle eins hier. Du kommst so nah an die Leute ran. Die meisten sind Farmertypen, zwei, drei Ehen. Viele Freunde, die sich das Leben genommen haben. Letzte Chance, um sich das Haus zu leisten. Eigentlich nur Schulden bei der Bank. Die Frau geht zu Hause mit dem Nachbarn ins Bett. Dann kommst du zurück nach krassem Durcharbeiten. Hier oben Baggerspielchen und cool saufen mit den Jungs. Dann aber kannst dich gar nicht erholen, ist ja Ärger unten. Sogar in der Wet-Mess gibt’s jetzt Kameras, seit dieser Typ bei der Barschlägerei dumm fiel und tot war. Bier ist jetzt limitiert auf ein Sixpack pro Abend. Muss vielleicht so sein hier draussen. «Planning 1, Sammy. Richtung 231 auf der 600er-Berme. » «Roger.» So ein Riesenlaster klingt, als würde man das Geräusch einer sechsspurigen Autobahn auf einem Plattenspieler zu langsam abspielen. Mit Super-Bass. Eigentlich ist es wie ein Knast, für den ich mich gut bezahlen lasse. Verdammt gut bezahlen lasse.

 


 

Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Magazines REPORTAGEN.

REPORTAGEN ist das Ende Oktober 2011 neu lancierte deutschsprachige Magazin, das sich ausschliesslich auf Reportagen fokussiert: Sechs Mal pro Jahr erzählen herausragende Autoren und Autorinnen unerhörte Geschichten aus aller Welt. Erhältlich in Buchhandlungen und am Bahnhofskiosk.

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