Der Bespitzelungsskandal in der Credit Suisse zeigt die Grenzen von Ethik im Banking auf. Dabei wäre ein Chief Ethics Officer in Finanzunternehmen angebracht, sagt Governance-Experte Eelco Fiole im Interview mit finews.ch.


Herr Fiole, Banken beschäftigen bereits Massen von Angestellten, die sich um Compliance, Regulierung und Risikomanagement kümmern. Warum ist mangelnde Ethik im Banking immer noch ein Problem?

Ich vergleiche dies gerne mit zu schnellem Autofahren: Man hat die Geschwindigkeitsbegrenzung zwar nicht eingehalten, weil man aber nicht erwischt worden ist, kann man die Übertretung leugnen und sich dabei sogar unschuldig fühlen.

In der Finanzindustrie braucht es aber einen formellen Mechanismus, der die internen Erwartungen an das Verhalten an uns selber festhält, um die Glaubwürdigkeit vor Kunden, Investoren, Regulatoren und vor den Mitarbeitern zu festigen.

Die meisten Finanzunternehmen haben diese Verhaltensregeln doch in einem «Code of Conduct» festgeschrieben.

Es hat sich mehrfach erwiesen, dass die Annahme falsch ist, Angestellte würden in jeder konkreten Situation genau wissen, wie sich zu verhalten haben. Die Erwartungen an ethisches Verhalten müssen expliziter ausformuliert werden, als dies in einem «Code of Conduct» der Fall ist.

Wie soll das geschehen?

Ein Weg wäre, ein «Chief Ethics Officer»-Programm einzuführen, um ein Bewusstsein zu erschaffen, was mögliches und akzeptables Verhalten ist und was nicht: Ein System, das gleichzeitig die Führung eines Unternehmens unterstützt und die Art und Weise, welche und wie man Geschäfte macht.

Es braucht also eine interne Überwachung.

Nein, es wäre falsch und nicht zielführend, einfach Personen und deren falsches individuelles Verhalten herauszustellen. Es handelt sich hier um ein systematisches Thema, welches Personen direkt und auf eine reflektierende und präventive Art anspricht.

Das bedeutet auch, dass ein Diskurs darüber angestossen wird, wie wünschbares Verhalten in Zukunft ermöglicht wird, anstatt Bankangestellte in die Defensive zu drängen. Ethik ist ja eine positive Angelegenheit.

Was sollen Banken denn tun, um ethisches Fehlverhalten zu vermeiden?

Zunächst gilt es, Verhalten und seine Intention prospektiv anzugehen: Wird es negative Konsequenzen haben? Wenn ja: Für wen? Diese Fragen sollten die verschiedensten Stakeholder und deren Reputation miteinbeziehen. Ich meine nicht Regulierung, sondern einfach: «Es gibt bestimmte Dinge und Werte, für die wir stehen, gemäss denen wir handeln und die die wir ablehnen.»

Die Credit Suisse sagte, die Bespitzelung von Mitarbeitern entspreche nicht ihren Werten. Und doch ist es geschehen.

Wir kennen möglicherweise nicht alle Fakten in diesem Fall und diese Art von Themen sind auch nicht einzigartig für nur eine Firma, in nur einer Geographie, in einem Zeitraum.

«Ethik hat nichts mit Esotherik zu tun»

Man kann darüber spekulieren, ob ein formeller Mechanismus wie ein «Chief Ethics Officer»-Programm – sofern die Credit Suisse nicht bereits über ein solches verfügt – zu einem normativeren Verständnis über erwartetes Verhalten geführt hätte. Eine erhöhte analytischere Achtsamkeit könnte aber zu einem risiko-mildernden Effekt geführt haben.

Wie meinen Sie das?

Vorgeschriebenes Verhalten beinhaltet explizite Regeln und Prinzipien. Ethik, welche sich systematisch mit dem richtigen Denken und Handeln auseinandersetzt, hat nichts mit Esoterik zu tun, sondern mit einem analytischen Dialog über richtiges Verhalten. Das lässt sich auch in Belohnungs-, Sanktionierungs- und Förderungssystemen anwenden.

Banker stecken bereits in einem Regelsystem, das ihre Gewähr für einwandfreie Geschäftstätigkeit und Berufsausübung testet.

Es gibt einen feinen Unterschied zwischen dem, was als legal und was als moralisch vertretbar betrachtet wird. Diese Unterscheidung zu treffen ist nicht immer einfach. Regeln basieren typischerweise auf Anforderungen aus der Vergangenheit. Doch die Öffentlichkeit empört sich über Verhaltensweisen in der Finanzindustrie, welche sie heute als unmoralisch betrachtet.

Wie wir wissen, verändern sich diese Sichtweisen mit der Zeit. Das bedeutet, dass Regeln und Regulierung dem moralischen Konsensus immer nur folgen. Sobald sie aber auf Prinzipien basieren, ergeben sich zukunftsfähige und flexible Anwendungsmöglichkeiten.

Stehen in der Finanzindustrie Gier und Profitdenken über Moral und Tugend?

Wenn Sie in einem Raum voller Banker die Frage stellen «wer hier ist unethisch?» würde wohl keiner die Hand heben. Und sie haben Recht. Denn nur die wenigsten Menschen handeln mit voller Absicht unethisch. Tatsächlich erleben wir zurzeit eine Welle von Initiativen wie Impact- und ESG-Investing oder das Infragestellen des Shareholder-Value-Gedankens.

«Vielfach begehen Menschen unwissentlich Fehler»

Dies haben Personen ausgelöst, die sehr weit oben in der globalen Finanzhierarchie stehen. Vielfach geschieht es aber, dass Menschen unwissentlich oder unabsichtlich Fehler begehen, die rückblickend sehr einfach als ethisch riskant beurteilt werden können.

Doch setzt sich langsam die Erkenntnis durch, dass ethisch vertretbare Geschäfte und Führung nachhaltiger sind.

Wie sähe denn ein «Chief Ethics Officer»-Programm aus?

Ein Chief Ethics Officer muss eine unabhängige exekutive Funktion einnehmen. Die Person muss ein tiefes Verständnis über Banking haben, wie Transaktionen ausgeführt, wie Kunden akquiriert werden und wie das Bankmanagement seine Entscheidungen fällt.

Gerade hier ist Achtsamkeit für ethisches Verhalten besonders relevant. Hier muss ein entsprechendes Programm für verbesserte Achtsamkeit ansetzen, um eine Kultur der Ethik in der Organisation zu etablieren.

Welcher Typ Manager kann so einen Job übernehmen?

Es muss eine Führungsperson sein, die aus den richtigen Gründen eine Glaubwürdigkeit vertritt, welche den Erwartungen der Stakeholder entspricht, vor allem aber jenen der Banker. Ein Professor oder eine Professorin der Philosophie würde zweifelsohne die ethische Expertise mitbringen, hätte aber wahrscheinlich wenig Praxis-Kenntnisse über Kreditlinien, Hedgefonds oder über Interaktionen mit Kunden der Bank.

Ein Senior Banker wiederum würde kaum über eine Ausbildung in ethischer Analyse und die dazu gehörende Psychologie verfügen geschweige denn über Praxis. Es braucht also eine Persönlichkeit, welche das Bankgeschäft profund kennt, welche über Expertise in ethischer Analyse im Bereich Finanzen verfügt und die ein entsprechendes Programm aufstellen, implementieren und fortführen kann.


Eelco Fiole ist Managing Partner bei Alpha Governance, die unabhängige Verwaltungsräte und Stiftungsräte vermittelt. Der Niederländer startete seine Banker-Karriere bei ABN Amro und arbeitete über die Jahre auch bei der Credit Suisse, bei der UBS, beim Beratungsunternehmen PwC sowie auch beim Krypto-Projekt Tezos. Fiole hat an der Universität Basel promoviert und ist ausserordentlicher Professor für Finanzethik an der Universität Lausanne.

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