Also dient Bitcoin trotzdem noch als Projektion für Hoffnungen und Erwartungen, die eigentlich falsch sind.

Nicht falsch, aber hoffnungslos.

Sind Sie während Ihrer langen Karriere im Banking bereits einmal so skeptisch gegenüber Finanzinnovationen gewesen wie gegenüber Kryptowährungen?

Ja, aber aus einem anderen Grund. Ich finde, dass High Frequency Trading völliger Blödsinn ist. Hier werden mit Hilfe privilegierter Technologien Gewinne auf Kosten anderer abgeschöpft. Das Argument, dass High Frequency Trading die Märkte liquider macht, ist nur ein Vorwand. Die globalen Aktienmärkte funktionieren ausgezeichnet auch ohne High Frequency Trader. Ich bin zwar ein liberaler Mensch, aber gegen ein Verbot würde ich mich nicht sträuben. Bei Bitcoin wäre ich klar gegen ein Verbot.

Wenn Sie vor zwei oder drei Jahren einen Banker fragten, was er von Kryptowährungen und Bitcoin hält, hiess es meistens: Nichts, zu spekulativ. Aber die Blockchain, die sei interessant. Heute sind Bitcoin und digitale Assets im Schweizer Banking praktisch etabliert, aber eine tolle Blockchain-Anwendung sehe ich nicht.

Das stimmt. Die Idee der Blockchain eines dezentralen nicht veränderbaren Registers ist zwar nach wie vor toll. Nur: Die Blockchain stellt oft eine Lösung für ein Problem dar, das es gar nicht gibt. Der einzige schlagende Erfolg der Blockchain ist bislang der Bitcoin gewesen.

Wie meinen Sie das?

Ich glaube, Systeme, die mit der Blockchain innoviert werden sollen, funktionieren in der Regel bereits sehr gut. Schauen Sie die Tokenisierung an: Wozu will man globale Aktien à tout prix tokenisieren, wenn Börsen bereits unter den effizientesten Märkten sind?

«Ist bei der Tokenisierung wirklich alles durchdacht?»

Es würde schon reichen, im Settlement Fortschritte zu erzielen. Worin liegt also der konkrete Mehrwert, wenn ich anfange, die Welt zu tokenisieren, von der Immobilie bis zur Coca-Cola-Flasche?

Nicht gelistete Objekte und Unternehmen werden investierbar...

Okay, aber seien wir mal ehrlich: Wem nützt diese Tokenisierung, die beispielsweise Daura mit dem Aktienregister auf der Blockchain anstrebt? Wenn ein Schweizer KMU gerade mal fünf Aktionäre zählt, dann braucht doch niemand tokenisierte Aktien. Es gibt ganz bestimmt einige interessante Use-Cases, doch am Anfang steht immer ein echtes Problem. Wenn man das mittels Blockchain und Token effizienter lösen kann, bin ich interessiert.

Eben, auch KMU werden investierbar.

Aber ist das wirklich durchdacht? Wer stellt mir den Preis, wenn ich beispielsweise ein paar von meinen Descartes-Aktien verkaufen möchte? Wie erfahre ich als Investor, ob diese Token-Aktie auch ungefähr den Preis spiegelt, für die sie mir angeboten wird? Es kann ja kaum zu jedem KMU auch ein unabhängiges Research geben. Oder ich kaufe einen Token, der die Einheit eines Bruchteils einer Blue-Chip-Aktie darstellt: Bin ich dann dividendenberechtigt, habe ich nur den Bruchteil einer Aktionärsstimme? Das sind ziemlich komplexe praktische Probleme, von deren Lösung man noch weit entfernt ist. Ich glaube, die Tokenisierung schafft zum Teil viele Ineffizienzen in einem System, das bereits sehr gut funktioniert. Wir sollten vielmehr schauen, dass wir unsere bestehenden Systeme noch effizienter und günstiger gestalten.

Dabei ist es so, dass gerade viele etablierte Banken mit der Tokenisierung den Einstieg ins Geschäft mit digitalen Assets suchen.

Ja gut, dann haben wir in der Schweiz bald ein Dutzend oder mehr Tokenisierer. Nochmals: Wem soll das nützen? Was wollen diese Banken denn alles tokenisieren?

Also sagen Sie: Finger weg.

Nein, das sage ich nicht. Ich selber habe Immobilien-Token, die sogenannten Crowdlitoken, gekauft, um das Ganze besser zu verstehen. Aber auch bei anderen Immobilien-Token, mit denen ich beispielsweise Mitbesitzer einer Liegenschaft im Ausland werde – das ist nicht so einfach.

«Besonders effizient ist das nicht»

Oder umgekehrt: Für einen Ausländer gibt es gesetzliche Hürden, in der Schweiz, Immobilien zu kaufen. Was nützt ihm dann der Token? Man muss also sehr viel vorgängig abklären. Sonst hat man als Käufer potenziell ein Problem am Hals, dass nur mit dem Weg aufs Amt gelöst werden kann. Besonders effizient ist das nicht.

Ist es nicht wie mit dem Bitcoin? Eine Innovation macht verschiedene Phasen durch, bis sie ihren Zweck und Nutzen effektiv gefunden hat.

Ja, das ist auch mit der Tokenisierung durchaus vorstellbar. Bitcoin ist da schon weiter: Er erfüllt seinen Zweck als ein die Kaufkraft erhaltendes Asset.


Adriano Lucatelli ist Mitgründer und CEO des digitalen Vermögensverwalters Descartes Finance. Der Unternehmer, Dozent und Mitbegründer eines Thinktanks startete seine Finanzkarriere 1994 bei der Credit Suisse. Zwischen 2002 und 2009 war er bei der UBS Schweiz als Managing Director und Mitglied des Management Committee tätig. 

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