Die Inflation in den Industrieländern dürfte in den kommenden Monaten deutlich ansteigen. Bedeutet dies, dass die Welt kurz vor einer Postpandemie-Ära höherer Inflation steht? «Unserer Meinung nach noch nicht», sagt Andreas Gilgen von der Bank Alpinum.

Von Andreas Gilgen, Leiter Portfoliomanagement, Bank Alpinum, Vaduz

Das Inflationsgespenst hat zuletzt deutliche Spuren an den Anleihemärkten hinterlassen. Gerade langfristige Anleihen haben mit der Versteifung der Zinskurve deutlich an Wert verloren.

Treibende Faktoren sind einerseits die Erwartungen einer höheren Inflation, aber auch die Erwartung, dass die Zentralbanken mittelfristig die Liquidität aus den Märkten abziehen müssen, um eine Überhitzung der Wirtschaft zu vermeiden.

Massiver Anstieg der Frachtkosten

Nach unserer Einschätzung wird monatliche Inflationsrate im Jahresverlauf 2021 die Marke von zwei Prozent temporär überschreiten, hauptsächlich beeinflusst durch sogenannten Basiseffekte. Der wichtigste Treiber wird die Erholung der globalen Ölpreise von den Tiefstständen im Frühjahr letzten Jahres sein. Dies allein könnte die Gesamtinflation in den Industrieländern um mehr als ein Prozent erhöhen.

Die Neutralisierung der temporären Mehrwertsteuersenkungen in Deutschland und im Vereinigten Königreich wird die Inflation in diesen Ländern antreiben. Hinzu kommt, dass der jüngst explosionsartige Anstieg von Frachtkosten auch die Preise für importierte Güter in den USA und Europa in die Höhe treiben könnte. Bei der Kerninflation erwarten wir noch wenig Veränderungen, weshalb sich die Inflationszahlen innert Jahresfrist wieder auf einem tieferen Niveau einpendeln sollten.

Sondereffekte im feinen Gefüge von Angebot und Nachfrage könnten jedoch zu Überraschungen führen, die die Inflation auch längerfristig über erwarten ansteigen lassen könnte.

Aufgestaute Nachfrage treibt die Preise

Während der Pandemie haben Verbraucher weltweit einen weit überdurchschnittlich hohen Anteil ihrer Einkünfte angespart, da ein normales Konsumverhalten nur sehr eingeschränkt möglich war. Diese aufgestaute Nachfrage wird bei einer vollständigen Öffnung der Wirtschaft auf ein noch immer eingeschränktes Angebot treffen – mit der Konsequenz von Engpässen und steigenden Preisen.

In den USA kommt ein weiterer Inflationstreiber hinzu: Mit dem geplanten Stimulierungspaket von 1’900 Milliarden Dollar wird die Biden-Regierung das Konsumverhalten von Millionen Einwohnern kurzfristig stark beeinflussen, da die vorgesehenen Zuschüsse im Verhältnis zum mittleren Jahreseinkommen enorm hoch sind.

Unterstützung auf breiter Front

Die Weltkonjunktur zieht insgesamt deutlich an, Chinas Volkswirtschaft läuft unter Volllast und in Asien entstand Ende 2020 die grössten Freihandelszonen der Welt. Diese Faktoren tagen dazu bei, dass Rohstoffpreise auf breiter Front Unterstützung finden.

Der Ölpreis hat im Februar erstmals seit Beginn der Coronakrise die Marke von 60 Dollar nachhaltig überschritten. Metalle wie Kupfer oder Platin markierten erst kürzlich mehrjährige Höchststände. Selbst bei Agrarrohstoffen wie Sojabohnen, Mais oder Zucker zeigten die Preise seit Monaten nach oben.

Vor einem neuen Rohstoff-Superzyklus?

An der einen oder anderen Stelle ist mit temporären zyklische Angebotsengpässen zu rechnen, es zeichnen sich aber auch längerfristige Produktionsdefizite ab, da beispielsweise seit Jahren kaum mehr neue Kupferminen in Produktion gehen und naturgemäss besehende Minen immer weniger produzieren.

Manche US-Investmentbanker rufen deshalb bereits einen neuen Rohstoff-Superzyklus aus, also eine anhaltende Hausse, wie sie zuletzt zwischen 2003 und 2011 herrschte. Dies wird sich nicht nur direkt auf die Nachfrage nach Metallen wie Kupfer auswirken, sondern auch einen Multiplikatoreffekt auf die Arbeitsmärkte und die rohstoffproduzierenden Länder haben.

Rosige Aussichten

Nicht alle Marktbeobachter teilen die rosigen Aussichten, die Argumente bleiben jedoch interessant.