In der Schweiz werden zurzeit rund 2 Prozent aller Büroflächen in flexiblen Modellen angeboten. Andreas Widmer, Mitgründer und Partner der Zürcher Firma Westhive, geht davon, dass dieser Anteil in den nächsten Jahren auf bis zu 30 Prozent oder sogar mehr wachsen wird, wie er im Interview mit finews.ch erklärt.


Herr Widmer, immer mehr Leute arbeiten von zu Hause aus. Haben Sie noch Kunden für Ihre Coworking Spaces?

Ja, immer mehr sogar. Man muss Homeoffice differenziert betrachten. Es gibt verschiedene Formen von Arbeit, und nicht jede dieser Arbeitsformen ist für das Homeoffice geeignet.

Das müssen Sie uns genauer erklären.

Wenn ich einen Text schreiben muss, eine Excel-Datei bearbeite oder eine PowerPoint-Präsentation erstelle, dann kann das zu Hause im Homeoffice gut funktionieren. Auch ein Meeting, in dem es in erster Linie um Koordination und Abstimmung geht, lässt sich recht gut virtuell durchführen.

«Team-Spirit lässt sich via Zoom oder Teams – dem Namen zum Trotz – nur schwierig aufbauen»

Das Büro als Arbeitsort hingegen eignet sich hervorragend für die Zusammenarbeit. Und zwar zur Zusammenarbeit im eigentlichen, im physischen Sinne. Menschen, die an einem Ort zusammen kommen, um gemeinsam etwas zu erschaffen. Sei dies in einem Workshop, in einem Meeting oder auch nur in einem informellen Zwiegespräch. Persönliche Begegnungen wird es auch nach Corona brauchen.

Und man darf nicht vergessen: Das Arbeiten von zu Hause aus funktioniert nur dann wirklich gut, wenn sie im Wechselspiel mit eben dieser physischen Begegnung stattfindet. Team-Spirit lässt sich via Zoom oder Teams – dem Namen zum Trotz – nur schwierig aufbauen.

Tatsache ist aber, dass viele Firmen ihre Bürokapazitäten reduzieren. Braucht es dann noch Coworking Spaces?

Wenn ich kein klassisches Büro mehr habe, muss ich als Unternehmen erst recht andere Gelegenheiten für die Mitarbeitenden schaffen, damit sie zusammenkommen können. Der Abbau von Bürokapazitäten hat ja im Übrigen auch mit Flexibilität zu tun. Es geht ja nicht nur darum, kleiner zu werden, sondern vor allem auch darum, flexibler zu werden.

Coworking Spaces machen für Selbständige durchaus Sinn. Aber für Firmen?

Das Konzept Coworking Space wird leider immer noch viel zu häufig als ein gemeinsam genutztes Grossraumbüro für «Einzelkämpfer» und Startups betrachtet. Natürlich haben wir auch die als Mieter, aber nahezu 80 Prozent unserer Mitglieder sind entweder klassische Grossunternehmen oder grundsolide KMUs, die bei uns ihre eigenen privaten Offices mieten. Wir sprechen daher lieber von Flexible Workspace als von Coworking Space.

«Warum soll ich mein lokales Team mit Bürosuche, Facility Management oder dergleichen belasten?»

Grundsätzlich sehen wir unterschiedliche Nutzungsmotive. Für ausländische Unternehmen zum Beispiel sind wir häufig der Schweizer Hauptsitz. Und für manche unserer Schweizer Kunden sind wir am jeweiligen Standort das lokale Office. Warum soll ich mein lokales Team mit dem Thema Bürosuche, Facility Management oder dergleichen belasten?

Sind Coworking Spaces auch für Firmen mit 20 oder 30 Mitarbeitenden kostenmässig noch attraktiv?

Mit der Kostenfrage beschäftigen wir uns natürlich intensiv. Wir haben auf unserer Webseite auch ein White Paper und ein Berechnungstool, mit dem man ausrechnen kann, inwieweit sich ein Flexible Workspace für das eigene Unternehmen lohnt.

Grundsätzlich muss man bei den Kosten für den Arbeitsplatz eine Vollkostenrechnung anstellen. Das heisst, man muss alle Nebenkosten wie Strom und Wasser berücksichtigen. Dazu kommen die Reinigung, die Entsorgungskosten, Bürogeräte, Verbrauchsmaterialien und vieles mehr.

«Der Markt wird massiv wachsen»

Einem Profitcenter in einem Unternehmen wird übrigens auch eine Pauschale pro Arbeitsplatz zum Vollkostenansatz verrechnet. Da liegt ein Arbeitsplatz dann schnell bei 1'600 Franken und mehr. Bei uns kostet ein Arbeitsplatz je nach Vertrag und Standort zwischen 700 Franken und 1'200 Franken.

Wie wird sich das Angebot an Coworking Spaces in der Schweiz in den nächsten paar Jahren entwickeln?

Der Markt wird massiv wachsen. In der Schweiz werden zurzeit rund 2 Prozent aller Büroflächen in einem flexiblen Modell angeboten. Schätzungen von diversen Immobilienunternehmen gehen davon aus, dass dieser Anteil auf bis zu 30 Prozent oder sogar mehr wachsen wird.

Wir sind ausserdem überzeugt, dass dieser noch relativ junge Markt vor einem Professionalisierungs-Schub steht. Der technologische Aufwand zum effizienten Betreiben eines Flexible Workspace ist enorm.

«Bei der Ausstattung legen wir noch eine Schippe drauf»

Gleichzeitig wird die Anspruchshaltung der Kunden immer grösser werden, und wir gehen davon aus, dass diesem Anspruch künftig nicht mehr jeder Anbieter gerecht werden kann. Insbesondere das Segment der Corporate Clients wird diese Anspruchshaltung noch weiter in die Höhe schrauben.

Wo planen Sie weitere Coworking Spaces, und wie werden sie ausgestaltet sein?

Gesamthaft gehen wir von einem Wachstum von drei bis vier Standorten pro Jahr aus. Den nächsten Space eröffnen wir Anfang 2022 in Zürich Nord, direkt am Bahnhof Stettbach. Danach folgen im gleichen Jahr Standorte in Zug und Basel. Genf eröffnen wir Anfang 2023. Weitere Standorte in den urbanen Zentren der Schweiz sind in Vorbereitung.

Bei der Ausstattung wollen wir künftig noch eine Schippe drauflegen. Der Standort Genf ist wegweisend: Auf mehr als 4'000 Quadratmeter entsteht ein Space der Superlative mit zwei Restaurants, eigenem Fitness-Center und einem grossen Konferenzbereich.


Andreas Widmer gründete 2017 zusammen mit Bruno Rambaldi und Claus Bornholt die Firma Westhive. Das Unternehmen bietet landesweit flexible Bürolösungen an. Nach seinem Studium der Soziologie gründete er die Firma Futurecom interactive. Futurecom wurde schnell zu einem der grössten digitalen Beratungsunternehmen der Schweiz. Im Jahr 2003 übernahm er auch die Leitung von Futurecoms Schwesterfirma Wunderman und wurde 2008 CEO der Schweizer Niederlassung der Kommunikationsagenturen Y&R. Dies war das Geburtsdatum der Y&R Group Switzerland, die er bis 2017 führte. Er hat diverse Verwaltungsratsmandate, unter anderem beim Immobilienmakler Walde & Partner.