Kryonik-Moonshot: Für 50 Euro im Monat die Auferstehung vom Tod


Rund 35 Kilometer ausserhalb von Zürich, in einem unscheinbaren Industriekomplex, surren leise mehrere Edelstahlbehälter. In ihnen ruhen Dutzende menschliche Körper – konserviert in einem glasartigen Zustand bei minus 140 Grad Celsius in flüssigem Stickstoff. Ihr Ziel: Eines Tages vom Tod zurückzukehren.

Dabei handelt es sich nicht um futuristische Grabstätten von Tech-Oligarchen à la Silicon Valley. Dies ist Tomorrow Bio, ein Kryonik-Unternehmen mit Sitz in Berlin, das die Kryokonservierung nicht nur den Superreichen, sondern jedem anbietet, der sich ein Monatsabo von 50 Euro und eine Einmalzahlung von 200'000 Euro leisten kann.

Konservierung war gar nie der Plan

Kryonik, also das Konservieren toter Menschen bei extrem niedrigen Temperaturen mit der Hoffnung auf zukünftige Wiederbelebung, galt lange als reine Science-Fiction. Doch für Emil Kendziorra, CEO von Tomorrow Bio und Arzt mit magna-cum-laude-Abschluss der Universität Göttingen, ist es ein ernstzunehmendes medizinisches und ethisches Projekt.

«Kryokonservierung war eigentlich nie der Plan», erzählt Kendziorra. Ursprünglich wollte er eine Pille entwickeln, die das menschliche Leben unbegrenzt verlängert. Als er aber erkannte, dass die Forschung dafür noch Jahrzehnte entfernt ist, rückte die Kryonik als technisch bereits teilweise umsetzbare Lösung in den Fokus. Zwar existiert bisher keine Methode, eingefrorene Patienten wiederzubeleben, aber die Chance, aus einer Kryokonservierung zurückzukehren, ist höher als aus einer Einäscherung, argumentiert Kendziorra.

Körper geht so in einen glasähnlichen Zustand über

Sobald ein Arzt oder Spital den baldigen Tod eines Patienten diagnostiziert, rückt ein Spezialteam von Tomorrow Bio an den Sterbeort. Stirbt die Person und wird juristisch für tot erklärt, beginnt sofort ein Prozess, der dem Herz-Lungen-Wiederbelebungsverfahren ähnelt und den Patienten mit Sauerstoff versorgt. Danach wird er in eine Kryo-Einrichtung gebracht, wo die sogenannte Vitrifikation beginnt. Statt zu gefrieren werden alle Körperflüssigkeiten durch eine kryoprotektive Substanz ersetzt, um die Bildung von Eiskristallen zu verhindern. Der Körper geht so in einen glasähnlichen Zustand über und wird schliesslich in einem Spezialtank mit flüssigem Stickstoff auf minus 140 Grad heruntergekühlt. Dort verbleibt er bis zur erhofften Wiederbelebung.

 Wunsch nach zweitem Leben wirft Fragen auf

Aber was für Menschen wählen freiwillig dieses Schicksal? Die Kundschaft von Tomorrow Bio lässt sich grob in zwei Gruppen einteilen. Zum einen handelt es sich um junge Menschen, deren Leben durch Krankheit tragisch früh beendet wurde – manche waren bei ihrer Konservierung kaum 20 Jahre alt. Für sie bietet die Kryonik die Aussicht auf ein zweites Leben, das in gewisser Weise mit etablierten medizinischen Verfahren vergleichbar ist, wie etwa dem Warten auf eine Herztransplantation.

Die zweite Gruppe umfasst pragmatische ältere Menschen, die den Gedanken an den Tod nicht einfach hinnehmen wollen. Doch ihr Wunsch nach einem zweiten Leben wirft neue Fragen auf: Möchte man wirklich in einer Zukunft erwachen, in der niemand Vertrautes mehr lebt? Oder wird es eines Tages kryonische Familientruhen geben? Auch wenn beide Gruppen unterschiedlich erscheinen, eint sie die Suche nach etwas, das unsere heutige Welt nicht bieten kann: mehr Zeit.

Teil der Zahlung fliesst in Zuger Stiftung

Wie finanziert Tomorrow Bio dieses Unterfangen? Das Modell basiert auf einer Einmalzahlung von 200'000 Euro, meist gedeckt durch eine Lebensversicherung, die der Patient zu Lebzeiten abschliesst. Tomorrow Bio ist dann der Begünstigte dieser Versicherung. 80'000 Euro fliessen in den Kryo-Prozess. 120'000 Euro gehen in eine Stiftung mit Sitz in Zug. Diese Stiftung investiert das Kapital dann mit einem Anlagehorizont von 80 bis 100 Jahren oft in hochriskante Tech-ETFs. Dank einer Sonderregelung unterliegt die Stiftung dabei nur auf die Erträge der Kapitalanlage der Steuer. Das ursprüngliche Kapital bleibt bis zur späteren Nutzung steuerfrei.

Doch viele, die sich einfrieren lassen, wollen auch ihr persönliches Vermögen für die Zukunft sichern – ein rechtliches Dilemma. «Wenn man tot ist, existiert man juristisch nicht, man kann also auch kein Geld besitzen», erklärt Kendziorra. Deshalb arbeitet das Unternehmen an der Gründung einer Stiftung in Liechtenstein, in die Kunden ihr Vermögen zum Lebensende übertragen können. Sollte die Wiederbelebung gelingen, könnten diese Mittel an den wiederauferstandenen Eigentümer zurückfliessen.

Komplett neues Verständnis vom Tod

Kryonik wird oft als wissenschaftliches oder ethisches Thema diskutiert, doch im Kern ist sie vor allem eine philosophische Herausforderung, die unser Verständnis von Tod radikal infrage stellt. Sie verlangt eine neue Sichtweise auf den Tod als vorübergehend statt als endgültig.

Auch wenn das futuristisch klingen mag, ist die zugrundeliegende Idee alles andere als neu. Schon im alten Ägypten wollte man den Tod überlisten. Auch dort wurden Leichen mit Konservierungsmitteln behandelt, Grabbeigaben beigelegt und monumentale Grabstätten errichtet, alles mit Blick auf ein Leben nach dem Tod.

Bereits über 1'000 Kunden

Die heutigen Kryo-Tanks sind in gewisser Weise die modernen Pyramiden, nicht aus Kalkstein, sondern aus Stahl und flüssigem Stickstoff. Doch im Gegensatz zu den Pyramiden, die einer Elite vorbehalten waren, richtet sich das Angebot von Tomorrow Bio an alle, die bereit sind, den Preis eines Streaming-Abos zu zahlen.

Laut Kendziorras Präsentation auf der Longevity Investors Conference in Gstaad haben bereits über 1'000 Menschen einen Vertrag mit Tomorrow Bio abgeschlossen. Das Unternehmen verwaltet inzwischen einen Vertragswert von rund 200 Millionen Euro.

Für alle, die selbst noch nicht eingefroren werden möchten, bietet Tomorrow Bio inzwischen auch die Kryokonservierung von Haustieren an.