Schweizer Magie vs. Kuba-Romantik: Davidoffs Weg zur Weltmarke
Die eindrückliche Geschichte von Oettinger Davidoff beginnt 1875 als bescheidener Tabakladen in der Basler Altstadt. Dort wurde die Saat gelegt für ein heute global agierendes Familienunternehmen: Oettinger Davidoff feiert sein 150-jähriges Bestehen. Das Unternehmen mit 546,2 Millionen Franken Umsatz navigiert gekonnt durch verschärfte Regulierung, wandelnde Märkte und neue Zielmärkte. Grundlegend bleibt die Kunst der handgerollten Zigarre nicht aus dem Blick zu verlieren.
Das Unternehmen Oettinger Davidoff ist älter als das Automobil. Als der aus Bayern eingewanderte Max Oettinger im Jahr 1875 seinen Tabakladen an der Eisengasse 9 eröffnete, hatte Carl Benz noch zehn Jahre Zeit, um sein motorisiertes Dreirad zu konstruieren.
Wer heute durch die Eisengasse in der Basler Altstadt schlendert, kann sich vor dem inneren Auge noch ausmalen, wie hier – eingefasst von einer Kulisse mit Pferdekutschen und Herren mit Hut– der Firmengründer zum ersten Mal die Türe seines Geschäfts aufschloss.
Bis heute ein Familienunternehmen
Dieses historische Bild ist die Wurzel einer bewegten Geschichte von Tabakleidenschaft, Handwerkskunst, Unternehmergeist und Wachstum, die bis heute fortgeschrieben wird.
Eineinhalb Jahrhunderte später ist die heutige Oettinger Davidoff noch immer ein Familienunternehmen.
Über 4'000 Mitarbeitende weltweit arbeiten 65 Flagship-Boutiquen zu und beliefern 700 ausgewählte Fachhändler in mehr als 130 Ländern.
«Rekordjahr», hiess es für 2023: Der Umsatz stieg um 10,5 Prozent auf 546,2 Millionen Franken – das zweite Allzeithoch in Folge. (Die Zahlen für 2024 werden in Kürze erwartet.)
Erstes Ladengeschäft um die Jahrhundertwende. (Bild: zVg)
Allianz von Oettinger und Davidoff
Der heutige Welterfolg kontrastiert merklich mit den bescheidenen Anfängen. In den 1960er-Jahren war es der Basler Jurist Dr. Ernst Schneider (1921–2009) – Schwiegersohn von Georg Huppuch, der das Unternehmen in den 1920er-Jahren übernommen hatte –, der dem Geschäft neue Impulse verlieh: durch eine Partnerschaft mit dem Genfer Tabakhändler Zino Davidoff (1906–1994). Dessen Laden galt damals als Inbegriff kultivierten Tabakgenusses – weit über die Schweiz hinaus.
Die Ehrenbezeichnung «Dr.» vor Ernst Schneiders Namen wird im Unternehmen (und in Basel) bis heute mit spürbarer Zuneigung verwendet – als Zeichen des Respekts vor seiner Leistung und seinem Vermächtnis.
Die Geburt einer globalen Marke
Gemeinsam schufen Schneider und Davidoff die erste nicht-kubanische Premium-Zigarrenmarke mit weltweiter Strahlkraft – und etablierten diese zuerst in Europa, dann in Hongkong, Singapur, Japan und den USA. Der Eintritt in den amerikanischen Markt – zunächst unter der Marke Zino, da der Name Davidoff noch mit Kuba assoziiert war – wurde von Baroness Philippine de Rothschild, der Besitzerin von Château Mouton Rothschild, entscheidend gefördert. Sie öffnete den Zugang zur amerikanischen Gesellschaft.
Die Zusammenarbeit von Schneider und Davidoff machte die Marke Davidoff zum Garanten für das langfristige Überleben – die meisten Tabakakteure aus der Nachkriegszeit sind längs verschwunden – und zum Herzstück des heutigen Portfolios. Davidoff ist heute die einzige Marke, die sich auf gleicher Flughöhe wie die legendären Zigarren Kubas bewegt.
«Finca Dr. Ernst Schneider» bei Santiago de los Caballeros. (Bild: zVg)
Schneiders entscheidender Schritt
Seine mutigste Entscheidung traf Schneider Anfang der 1990er-Jahre: Aus Sorge um Qualität und Markenrechte beendete er die Produktion in Kuba – und verlagerte sie in die Dominikanische Republik. Damit begründete er das heute international anerkannte «Crop-to-Shop»-Modell. Seither wuchs das Markenportfolio kontinuierlich: Es umfasst heute AVO, Camacho, Cusano, Griffin’s, Private Stock, Zino und Zino Platinum.
Daneben wagte sich Schneider auch in (vielleicht zu viele) andere Geschäftsfelder vor – etwa Zigaretten, Parfums, Spirituosen oder den Grosshandel mit Süsswaren und Tabak für Kioske, Tankstellen, Bahnhofsläden und Raststätten. Die meisten dieser Bereiche wurden später verkauft oder in Lizenzmarken überführt, die direkt von seinen Erben gehalten werden – ausserhalb der heutigen Unternehmensstruktur.
49 Millionen handgerollte Zigarren
Heute konzentriert sich Oettinger Davidoff ausschliesslich auf Premium-Zigarren aus der Dominikanischen Republik, Honduras und Nicaragua. Rund 49 Millionen Zigarren werden jährlich gefertigt – eine Menge, die mit der gesamten kubanischen Produktion durchaus vergleichbar ist, auch wenn diese keine offiziellen Stückzahlen veröffentlicht.
«Es ist mir eine grosse Ehre und Freude, Oettinger Davidoff in die Zukunft zu führen», sagt CEO Beat Hauenstein – und verweist dabei auf innovative Produkte, einzigartige limitierte Editionen und ein unvergleichliches Einkaufserlebnis.
Hauptproduktionsstätte in der Dominikanischen Republik. (Bild: zVg)
Von Monaco bis Hongkong
Wachstum, aber ohne Kompromisse – unter diesem Motto hat Hauenstein die Produktionskapazität in der Dominikanischen Republik verdoppelt. Im Februar 2025 wurde zudem ein neues Blending Center eröffnet.
Der 2017 eingeweihte Hauptsitz Maison Davidoff in Basel kombiniert gläserne Grosszügigkeit mit humidorartiger Geborgenheit. Neue Flagship Stores in Hongkong, New York, Monaco und an wichtigen Travel-Retail-Standorten stehen sinnbildlich für die anhaltende internationale Expansion.
Mut als Leitstern
150 Jahre in Familienhand – das ist eine Ausnahmeerscheinung. Was einst als kleine Basler Boutique begann, ist heute ein internationales Haus, das sich dem Trend zur Konzernbildung entzieht und seinen Werten treu bleibt.
Mut war dabei stets der Leitstern. Als Anfang der 1990er-Jahre die Qualität in Kuba nachliess und das Regime seine stählerne Hand nach dem gesamten Tabaksektor ausstreckte, zogen Davidoff und Schneider die Konsequenz – und verliessen Havanna.
Neues Blending Center in Santiago de los Caballeros. (Bild: zVg)
Selbstfindung mit Stil
Es war nicht die einzige Krise der Firmengeschichte. Nach dem Ersten Weltkrieg geriet das Unternehmen in finanzielle Schwierigkeiten – die Gläubiger setzten Georg Huppuch ein, der die Firma übernahm und später an seinen Schwiegersohn Schneider weitergab.
Nach Schneiders Tod im Jahr 2009 folgte eine Phase der Neuorientierung. Von 2011 bis 2017 verfolgte Oettinger Davidoff eine stark marketinggetriebene – und entsprechend teure – Strategie. Erfolgreiche Linien wie Davidoff Nicaragua oder Escurio entstanden. Allerdings machten sich die Kosten in der Erfolgsrechnung schmerzhaft bemerklich.
Lateinische Leidenschaft, Schweizer Präzision
Seit Beat Hauenstein 2017 das operative Steuer übernahm – und Domenico Scala (auch Bankrat bei der Basler Kantonalbank) Andreas Schmid als Präsident des Verwaltungsrates ablöste –, ist das Vorgehen strategischer, wachsamer – und gleichzeitig hoch innovativ bei den Produkten geblieben.
Unternehmerischer Mut mag der Antrieb sein, aber Schweizer Präzision ist der Taktgeber. Bei jeder Zigarre lassen sich die Tabake bis zum Fermentierhaus zurückverfolgen – Qualitätskontrolle entlang der gesamten Wertschöpfungskette auf allerhöchstem Branchen-Niveau.
CEO Beat Hauenstein in der Maison Davidoff. (Bild: zVg)
Zum kompromisslosen Bekenntnis zur Qualität gesellt sich Verantwortungsbewusstsein: Global implementierte Menschenrechts- und Sozialstandards werden ergänzt durch Angebote in den Produktionsländern: Schulen, Sportangebote und Gesundheitsversorgung.
Und die Grösse des Unternehmens hilft, die immer zahlreicher und erratischer werdenden regulatorischen Hürden mit Souveränität zu meistern.
Die Seele von Oettinger Davidoff
Die eigentliche Seele des Hauses liegt letztlich in der Handwerkskunst – und in der Leidenschaft für Premium-Zigarren.
In Santiago rollen «torcedores» – viele davon in zweiter oder dritter Generation – jedes Blatt in geduldiger Handarbeit. Ein handwerklich anspruchsvolles Ritual, das in Verbindung mit hochwertigen Tabaken Zigarren mit Tiefe und Persönlichkeit hervorbringt.
Die ikonischen Zigarren mit der weissen Banderole von Davidoff beginnen mit Zedernholznoten, entwickeln sich zu Kakao und Leder – und enden mit einem Hauch von Nelke. Ein Aromenspektrum, das von der Zürcher Bahnhofstrasse bis zur Madison Avenue in New York oder im Zentrum von Hongkong gleichermassen zelebriert wird.