Banken sind bereit, 2018 mehr Risiken zu nehmen. Denn der Wirtschaftsaufschwung und Geldflut erreichen ihren Höhepunkt, sagt Laurent Clavel, Chefökomon von Axa IM im Interview mit finews.ch.

 Herr Clavel, man hat den Eindruck dass die Banken in der Eurozone nun mehrheitlich wieder solide dastehen. Unterstützt das wirtschaftliche Umfeld im kommenden Jahr die weitere Festigung des Bankensektors?

Davon gehen wir aus. Das von uns ermittelte Wirtschaftsszenario ist ingesamt positiv. Denn die Zeichen stehen auf Wachstum.

In allen Regionen?

Vor allem in den USA und in Europa. In den USA hat sich das Wirtschaftswachstum im Laufe dieses Jahres noch beschleunigt und wir gehen davon aus, dass 2018 der Höhepunkt des Zyklus' erreicht wird. In Europa erwarten wir ein Wachstum von 2 Prozent. Das ergibt eine sehr gute Starthilfe.

Weiterhin mit grosser Unterstützung der Notenbanken...

Ja, die Geldpolitik bleibt das grosse Plus in der Wachstumsdynamik. Denn im kommenden Jahr werden die diversen QE-Programme in der Summe ebenfalls einen Höhepunkt erreichen.

Ist die US-Notenbank nicht dabei, ihre Anleihenkäufe einzuschränken?

Die US-Fed schwenkt langsam von einem «quantitative easing» in ein «quantitative tightening», um im Jargon zu bleiben. Gleichzeitig wird die Europäische Zentralbank im kommenden Jahr für rund 300 Milliarden Euro Anleihen kaufen.

«Investoren möchte so lange wie möglich am Wachstum teilhaben»

Die Bank of Japan wird etwa gleich viel, wenn nicht noch mehr aufkaufen. 2018 wird das Jahr sein, in welchem nach rund einer Dekade mit zunehmendem «quantitative easing» der Höhepunkt erreicht wird.

Eine Fortsetzung der Liquiditätsflut demnach.

Richtig, wir werden 2018 ein Umfeld sehen, in welchem Investoren so lange wie möglich am Wirtschaftswachstum teilhaben möchten. Denn Inflation ist praktisch noch inexistent. Das heisst, der «run» auf Aktien, hochrentierende Anleihen und Schwellenmärkte wird anhalten. Wir ziehen dabei die Eurozone den USA vor. Erstens ist die Eurozone in ihrem Zyklus noch nicht so weit fortgeschritten wie die USA und zweitens ist der US-Aktienmarkt inzwischen sehr teuer geworden.

Banken werden aufgrund des guten Handelsumfeldes von dem Wachstum überdurchschnittlich profitieren?

Ja, dies wird sich auch an den Aktienmärkten zeigen. Insbesondere europäische Bankaktien haben noch einiges Potenzial.

Das bedeutet, dass Banken wieder mehr Risiko nehmen können. Was könnte die gute Ausganglage verderben?

Natürlich gibt es weiterhin Risiken. Das Problem dabei ist: Man kann fünf Risiken benennen und es ist garantiert das sechste, welches die Wirtschaft aus der Spur bringt.
Fakt ist, dass aufgrund des bestehenden positiven Szenarios alle in die gleiche Richtung marschieren. Und dies könnte, sollte sich eines der unvorhergesehenen Risiken materialisieren, die grösste Gefahr darstellen.

Warum?

Es kann zu einer Liquiditätskrise kommen. Investoren haben in den letzten Jahren enorme Summen in Kreditpapiere und Aktien investiert. Wenn die Märkte nun plötzlich drehen, wollen – bildlich gesprochen – alle gleichzeitig zur selben Tür hinaus.

«Es gibt Anzeichen für eine Verlangsamung»

Und wie wir wissen, sind die Handelsbücher der grossen Banken seit 2009 massiv geschrumpft. Die Ausgangstüre ist also sehr klein geworden.

Was könnte diese Wende auslösen?

Das ist die «Million Dollar»-Frage. Eines der von uns definierten Risiken ist das Ende des US-Wirtschaftsaufschwungszyklus'. Statistisch gesehen dauert dieser mit zehn Jahren nun schon lange an und es gibt Anzeichen, dass sich der Aufschwung ab kommendem Jahr verlangsamt. Der zweite Risiko besteht in einer langsam einsetzenden Inflation, welche die Notenbanken zu einem überstürzten «quantitative tightening» veranlassen könnte.

Stellt der Wechsel an der Spitze der US-Notenbank, wo per Jahresbeginn Jerome Powell die bisherige Chefin Janet Yellen ablösen wird, ein solches Risiko dar?

Nein. Powell hat als Mitglied des Federal Reserve Board die Entscheide von Yellen und ihrem Vorgänger Ben Bernanke immer mitgetragen. Entscheidend für einen Wandel der US-Geldpolitik könnten aber die Neubesetzungen im Federal Open Market Committee sein.

Die Märkte haben Angst vor Fehlern der Notenbanker?

Das Problem in der seit bald zehn Jahren andauernden Geldpolitik liegt darin, dass sie ein Experiment ist. Wir bewegen uns auf nicht kartografiertem Gebiet. Niemand weiss, was die Folgen des Endes der lockeren Geldpolitik sein werden.

«Digitalisierung ist in den Produktivitätsstatistiken noch nicht angekommen»

Bislang haben die Notenbanker in ihren Aktionen und mit ihrer Kommunikation einen hervorragenden Job gemacht. Doch Fehler, wie ein zu abruptes Ende des «quantitative easing» oder zu rasche Reaktionen auf Inflationstendenzen, könnten die erwähnte Liquiditätskrise auslösen.

Das heisst, das Kurzzeitszenario lautet: Alles bleibt gut. Und das Langzeitszenario ist ein einziges Fragezeichen?

Ja, es ist sehr schwierig auszumalen, wie sich das sich abzeichnende «quantitative tightening» auswirkt.

Zurück zu den Banken: Es scheint bislang nicht, als ob die globalen Digitalisierungsanstrengungen wirklich zu einer höheren Produktivität der Finanzindustrie geführt haben.

Tatsächlich ist der Effekt der Digitalisierung statistisch noch kaum sichtbar. Das gilt übrigens für die Gesamtwirtschaft. Die digitale Transformation spiegelt sich noch nicht in den Statistiken zur Produktivität. Diese ist notabene seit der Finanzkrise bedenklich schwach angestiegen, sei es in den USA, in der Eurozone oder in Grossbritannien.

Bringt die Digitalisierung denn die Produktivitätsfortschritte – gerade die Finanzindustrie droht in der Administration doch zu ertrinken.

Ich erinnere mich an die 1990-er Jahre als Ökonomen sich wunderten: «Computer sind überall, nur nicht in den Wirtschaftsstatistiken.» Der Produktivitätsschub setzte tatsächlich erst im neuen Jahrtausend richtig ein. Die positive Überraschung im Jahr 2018 könnte darum sein, dass wir endlich einen steileren Anstieg der Produktivität sehen werden.


Laurent Clavel stiess im Jahr 2015 zum Asset Manager Axa IM, seit Oktober 2016 leitet der das makroökonomische Research. Davor war Clavel im öffentlichen Dienst in Frankreich tätig: Er arbeitete als Prognoseleiter beim statistischen Amt und war drei Jahre lang in der Botschaft in Stockholm stationiert, wo er für das Finanzdepartement die Wirtschaftsentwicklung in Skandinavien beobachtete. Clavel hat seine Abschluss in Ökonomie an der Paris School of Economics gemacht, Statistik und Finanzen studierte er ander Ecole Polytechnique.

 

 

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