ESG-Experten sehen den Angriff Russlands auf die Ukraine als einen Beleg dafür, dass viele Asset Manager die Kriegsrisiken systematisch ausgeblendet haben.

Ein Gedanke hinter der Idee des nachhaltigen Anlegens ist es ja eigentlich, Investitionen vor Risiken mit Blick auf ESG zu schützen. Der Einmarsch Russlands in die Ukraine hat die Versäumnisse von Vermögensverwaltern und Datenanalyse-Firmen bei der Bewertung von Umwelt-, Sozial- und Governance-Risiken offengelegt.

Diesen Standpunkt vertritt ESG-Experte Sasja Beslik (Bild unten) gegenüber der «Financial Times». Er war bis vergangenen Sommer Head of Sustainable Finance Development bei der brasilianisch-schweizerischen Privatbank J. Safra Sarasin und zuvor Leiter für ESG-Investitionen bei Nordea Asset Management.

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(Bild: J. Safra Sarasin)

Der Krieg zeige, dass ESG-Investoren versagt hätten, sagt Beslik. Sie hätten die mit russischen Investitionen verbundenen Risiken nicht «gemanagt».

Spätestens nach der Annexion der Krim 2014 durch Russland hätten Investoren Lehren ziehen müssen und die Risiken russischer Engagements entsprechend bewerten müssen.Die meisten Fondsmanager und ESG-Analysefirmen hätten vor acht Jahren jeodch nichts unternommen. Die Ukraine sei daher ein Warnsignal für alle, die im ESG-Bereich tätig seien, so der Experte.

Wladimir Putins Krieg in der Ukraine habe nun einige Vermögensverwalter dazu veranlasst, neue Investitionen in Russland zu stoppen, während andere erklärt hätten, dass sie sich aus dem Land zurückziehen würden, sobald sie dazu in der Lage seien.

Zuviel Vertrauen auf ESG-Ratings

Die übermässige Abhängigkeit der Vermögensverwalter von ESG-Datenanalysefirmen wie MSCI und Sustainalytics ist gemäss Beslik ein Teil des Problems. Die Daten würden von den meisten Vermögensverwaltern genutzt und in ihre Portfolios integriert. Nur sehr wenige würden selbst eine detaillierte Analyse durchführen.

Das, was MSCI und andere Unternehmen tun, habe enorme Auswirkungen auf die Vermögensverwalter, fügte er hinzu. Es käme den Kunden nun teuer zu stehen, wenn sie sich bei ihren Investitionen in Russland auf diese Daten verlassen hätten.

Acht Jahre zu spät

«ESG-Datenfirmen müssen sich (den Krieg in der Ukraine) ansehen und sich fragen, was sie verpasst haben», sagt Beslik und verweist dabei auf die Entscheidung von MSCI, das ESG-Rating der russischen Regierung am 8. März von B auf CCC herabzustufen: «Das kam acht Jahre zu spät.»

Die Ratingfirma Sustainalytics hatte erklärt, sie prüfe ihre ESG-Risiko-Ratings und Länder-Risiko-Ratings «angesichts des Konflikts in der Ukraine» sowohl in Bezug auf einzelne Unternehmen als auch auf die Methodik der Unternehmen.

Ein Sprecher von Sustainalytics fügte hinzu, dass das Unternehmen nach früheren Sanktionswellen nach der russischen Annexion der Krim im Jahr 2014 und der Verschärfung des bewaffneten Konflikts im Osten der Ukraine im Jahr 2018 Ereignisbewertungen durchgeführt habe.

Kontrolle durch Aktionäre

Georgia Stewart, Geschäftsführerin von Tumelo, einem Anbieter von Technologien für verantwortungsbewusstes Investieren, sagte gegenüber der «FT», die Reaktion der Investmentbranche auf Russlands Angriff auf die Ukraine habe deutlich gemacht, dass ein negatives Screening von Aktien und deren Ausschluss aus Fonds ein «regressives und nie endendes Unterfangen» sei.

«Rüstungsunternehmen und Unternehmen für fossile Brennstoffe wird es geben, egal ob die Guten in sie investieren oder nicht. Wichtig ist, dass sie von verantwortungsbewussten Aktionären, die sich mit den Vorständen auseinandersetzen, streng kontrolliert werden», ergänzte Stewart.

ESG-Überlegungen im Zusammenhang mit russischen Investitionen hätten «nichts mit Moral zu tun», betont Beslik. «Das Versprechen von ESG ist es, die Risiken und Chancen zu managen, die mit den Investitionen verbunden sind, die wir im Namen unserer Kunden tätigen.»

Risiken statt Ethik als Motiv

So habe etwa die von der britischen Regierung gegründete betriebliche Altersversorgung Nest betont, dass ihre Entscheidung, ihre Investitionen in Russland am 1. März 2022 einzustellen, nicht aus ethischen Gründen getroffen wurde. «Nest ist kein ethischer Investor. Wir sind ein engagierter, verantwortungsbewusster Investor, der versucht, die besten langfristigen Renditen für seine Mitglieder zu erzielen, indem er ein globales Portfolio betreibt und die wichtigsten ESG-Risiken des Portfolios verwaltet», sagte ein Sprecher.

Anders sieht das Shareaction, eine Kampagnengruppe für verantwortungsbewusstes Investieren. Verantwortungsbewusstes investieren gehe «über das Management finanzieller Risiken hinaus» und müsse «Verantwortung für die Auswirkungen ihrer Investitionen auf die Welt übernehmen».

Mit der Forderung nach einem vollständigen Ausstieg aus russischen Unternehmen jenseits von Staatsanleihen und staatsnahen Unternehmen hält sich aber auch Shareaction zurück. Das «könnte sich negativ auf die russische Bevölkerung auswirken, während es auf das militärische oder politische Regime wenig Einfluss hat».

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