Tenuta Vallocaia: Rudi Bindellas Lebenswerk in Montepulciano

Die Strasse windet sich in engen Kurven durch die Hügel von Montepulciano. Olivenhaine, Rebzeilen, Zypressen und Pinien. Die Luft ist erfüllt vom trocken-würzigen Aroma des toskanischen Spätsommers.

Hier und dort ruckelt uns ein Traktor mit Anhänger entgegen, voll beladen mit frisch geernteten Trauben. Was uns direkt zum Zweck unserer Ausfahrt führt: Wir wollen die Tenuta Vallocaia besuchen, das Weingut der Familie Bindella.

Ferrari mit Zürcher Nummernschild

Die Zufahrt gestaltet sich indirekt – fast so, als taste man sich von hinten an das Anwesen heran. 

Schon auf dem Parkplatz wird klar, dass dies nicht einfach ein weiteres Weingut ist. Zwischen italienischen Autos, davon auch viele Mietwagen, glänzt ein gelber Ferrari mit Schweizer Kennzeichen. Überhaupt: Schweizer Nummernschilder sind keine Seltenheit auf dem Parkplatz der Tenuta Vallocaia.

rudi bindella junior senior
Ein Familienprojekt: Rudi Bindella junior und senior. (Bild: zVg)

Erfüllung eines Lebenstraums

Wer kennt den Namen Bindella nicht? Aus Interviews, Porträts, aus eigener Anschauung in den zahlreichen italienischen Restaurants, die die Familie in der Schweiz aufgebaut hat und erfolgreich führt. 

Wir besuchen Rudi Bindella senior hier, an dem Ort, wo er sich einen Lebenstraum erfüllt hat.

Freude auf Anhieb

Der Hausherr empfängt uns bester Laune. Man spürt auf Anhieb die Freude, die er mit seiner Tenuta Vallocaia verbindet. 

Neben ihm bewegt sich sein Sohn, Rudi Bindella junior, routiniert zwischen zwei Welten: Er ist seit Kindheitstagen regelmässig hier, doch die Arbeitsteilung im Familienunternehmen bindet ihn stärker an die Schweiz. Bei unserer Ankunft steht er lässig im Eingang, Kopfhörer im Ohr, vertieft in ein geschäftliches Telefonat.

tenuta vallocaia blick auf montepulciano
Blick von der Tenuta Vallocaia auf das mittelalterliche Städtchen Montepulciano. (Bild: zVg)

Tempel der Weinkultur

Der Vater dagegen plaudert mit einem Ehepaar aus der Schweiz, das zur Führung erschienen ist. Man merkt: Die Tenuta ist nicht nur ein Weingut, sondern ein offenes Haus, ein Ort der Begegnung, ein zugänglicher Tempel der Weinkultur «alla Bindella».

Rudi Bindella senior, so wie ihn sein Schweizer Publikum liebt: charmant, zugewandt, in jeder Geste Gastgeber. Und die eigentliche Leistung, die er sich hier erworben hat, muss gleich vorweggenommen werden: Er hat es verstanden, den klassisch oft als spröde empfundenen Vino Nobile di Montepulciano zu veredeln – ihm Persönlichkeit und Eleganz zu verleihen.

Neubau, 2018 fertiggestellt

Gemeinsam mit Rudi Bindella senior und junior, mit Weingutsleiter Giovanni Capuano und der deutschsprachigen Gästebetreuerin Maria Bettina Cerullo begeben wir uns auf einen Rundgang durch den 2018 fertiggestellten Neubau der Tenuta.

Die etwas unscheinbare Landgut-Fassade, die das Haus seinen Besuchern im ersten Augenblick zeigt, weicht direkt beim Betreten einer ganz anderen, modernen Ästhetik: grosszügige Räume, Kunst an jeder Wand, eine stille Ordnung, die ebenso bewusst gesetzt wie kulturell eingemittet wirkt. Man ist hier in einem modernen Weingut, einem Museum und auf einer Bühne für die Sangiovese-Traube, die hier plötzlich edel erstrahlt.

tenuta vallocaia degustations saal
Herzstück des Besuchserlebnisses: Der Degustationssaal. (Bild: zVg)

Montepulciano in allen Facetten

Einmal im Gebäude, ziehen einen das Licht und andere Kräfte direkt in den Degustationsraum. Die hohen Glasfenster rahmen die Landschaft wie ein Mosaik. Sie sind so gerahmt, dass jedes einzelne, von luftig wirkenden Sprossen umrahmte Fensterelement Montepulciano in einer anderen Facette zeigt: einmal als nahes Renaissance-Dorf, einmal eher als ferne Silhouette, dann wieder als klarer Hügelzug im Mittagslicht. 

Es ist, als hätten Architekt und Hausherr die Natur selbst in Kacheln zerteilt, um sie neu zu komponieren.

Das langsame Wunder der Reifung

Ein wenig benommen von diesen Eindrücken stehen wir - wir sind unseren Gastgebern gefolgt - plötzlich im Weinkeller. Oder besser gesagt: über dem Weinkeller. Denn um den laufenden Betrieb nicht durch Touristenströme zu stören, ist die Besuchergalerie räumlich erhöht.

Zu Füssen des Betrachters reihen sich Fässer aus französischer Eiche in verschiedenen Grössen an Säulen, die eher an römische Thermen oder an ein Refektorium erinnern, als an einen Produktionsraum. Eine fast klösterliche Strenge strahlt dieser Raum aus, in dem sich das langsame Wunder der Reifung entfaltet.

tenuta vallocaia weinkeller
Klösterliche Ruhe im Weinkeller. (Bild: zVg)

Pionier beim Sauvignon Blanc

Und doch: die agronomischen Vorteile dieses von Grund auf neu konzipierten Weinkellers machen ihn zu einem Vorbild an Technik und Energieeffizienz. «Wir können heute mit einer Präzision vinifizieren, die im alten Keller undenkbar war», erklärt Weingutsleiter Capuano.

Unser Besuch in Montepulciano fällt mitten in die Erntezeit. Die weissen Trauben (Bindella brachte als erster den Sauvignon Blanc nach Montepulciano) ruhen bereits in Stahltanks. Soeben hat die Lese jener Traube begonnen, die hier tonangebend ist: Sangiovese.

Symbiose von Wein und Kunst

Die Kellerarbeiter sortieren die Trauben, pressen sie, pumpen den Most in Tanks, überwachen die Gärung – und darüber verfolgen die Gäste den gesamten Prozess wie von einer Loge aus, ähnlich einem Opernhaus. «Unsere Besucher spielen nicht mit, aber sie sehen alles», kommentiert unsere Fremdenführerin Maria Bettina.

Doch Vallocaia ist mehr als Technik. Omnipräsent ist die Kunst: die kräftigen Finger-Gemälde des Berliners Christopher Lehmpfuhl, die fast abstrakt wirken, bis man auf Distanz die toskanische Landschaft erkennt, die sie darstellen. Skulpturen von Flora Steiger Crawford, die einst im selben Atelier wie Giacometti arbeitete, dazu Werke von Hans Josephsohn, Rolf Brem, Claudine Brusorio, Daniela Ferdani und Otto Charles Bänninger. Rund 50 Skulpturen und 100 Gemälde zieren die Tenuta.

tenuta vallocaia kunst
Zeugin der magischen Reifung: Statue von Flora Steiger Crawford. (Bild: zVg)

Toskanische Amphoren, sizilianische Majolika

Für historische Erdung sorgen jahrhundertealte Amphoren aus der Toskana, in denen einst Olivenöl aufbewahrt wurde, sowie traditionelle Majolika (Keramikfliesen) aus Sizilien.

Fast 7’000 Gäste seien allein im vergangenen Jahr durch die Räume geführt worden, erzählt Frau Cerullo. Viele davon aus der Schweiz, zahlreiche auch aus den USA und ganz Europa. «Für uns sind die Monate September und Oktober entscheidend», erklärt sie, «dann kommen nicht mehr die Sommertouristen, sondern die echten Weinliebhaber – Leute, die verstehen wollen, was hier passiert.»

Der Weinmacher

Womit wir nun beim Kern der Tenuta Vallocaia angelangt wären, dem Wein.

Über diesen wacht Giovanni Capuano. Gebürtig von der Amalfiküste, steht der studierte Agronom seit über zwanzig Jahren im Dienst der Familie Bindella. 

tenuta vallocaia giovanni capuano
Weingutsleiter Giovanni Capuano. (Bild: zVg)

Der Sangiovese, eine Diva

Mit sichtbarem Enthusiasmus bewegt er sich durch die Keller und Hallen, als wären sie eigens für ihn gebaut – und in gewisser Weise sind sie es: Der Weinkeller ist das Musikinstrument, er und sein Team die Virtuosen, der darauf spielen.

Capuano spricht von Reben und Fässern, von Mikroklimata und Böden. Für ihn ist Sangiovese eine Diva, die Aufmerksamkeit und Fingerspitzengefühl verlangt. 

Umfangreiches Sortiment

Je nach Boden zeigt sie ein anderes Gesicht: auf sandigeren Lagen fein und elegant, in den höher gelegenen, kalkhaltigen Parzellen dagegen dicht, kraftvoll, mit Struktur. Entsprechend reifen die Weine unterschiedlich – die einen in grossen Fässern, die anderen in kleineren Barriques, die mehr Tiefe und Komplexität verleihen.

Neben den beiden Protagonisten, «Vallocaia» und «I Quadri», entstehen unter seiner Hand auch ein einfacherer Rosso di Montepulciano, ein Sauvignon Blanc, der in der Toskana fast exotisch wirkt, ein Rosé, ein Merlot, ein Cabernet Sauvignon namens «Gioia» sowie ein Bordeaux-Blend, der «Ardore». 

tenuta vallocaia i quadri
100 Prozent Sangiovese: «Gambero Rosso»-prämierter «I Quadri». (Bild: zVg)

«Vallocaia» und «I Quadri» als Flaggschiffe

Und schliesslich der traditionsreiche Vin Santo (einmal aus weissen Trauben, einmal als Occhio di Pernice aus roten), dessen Trauben monatelang zu Rosinen getrocknet werden, bevor sie in winzigen Fässern für Jahre zur Essenz reifen.

Dass Bindellas ambitionierte eigene Weinproduktion international Beachtung findet, ist dokumentiert. Der «I Quadri» erhielt mehrfach die Höchstauszeichnung «Tre Bicchieri» im Gambero Rosso, und sowohl er wie auch der «Vallocaia» wurden von Robert Parker, Wine Spectator oder James Suckling wiederholt im Bereich von 92 bis 93 Punkten bewertet. 

Mittagessen im Degustationsraum

Wir kommen nun von der Theorie in die Praxis: Das Mittagessen ist in Italien nie Nebensache – schon gar nicht auf der Tenuta Vallocaia. Im Degustationsraum mit seinen raumhohen Fenstern liegt Montepulciano wie ein Renaissance-Gemälde im Panorama.

Der grosszügige Raum ist an diesem Freitagmittag gut gefüllt, denn auch die Weinliebhaber-Touristen können dieses Arrangement buchen. Die Degustationen mit Essensbegleitung finden allerdings ausschliesslich mittags statt. Man wolle die lokale Gastronomie nicht konkurrenzieren, führt Rudi Bindella junior aus. 

tenuta vallocaia bindella junior senior
Rudi Bindella junior und senior in der Tenuta Vallocaia. (Bild: zVg)

Kaninchen und Selbstironie

Auf den Tellern: eine ländliche Küche von hoher Qualität und bevorzugt mit den Produkten, die der eigene Gemüsegarten hergibt – im Hauptgang ein saftiges Coniglio, begleitet von den Weinen des Hauses.

Bei Tisch beginnt Rudi Bindella senior zu erzählen: mit einem Schuss Selbstironie und einem Blick weit zurück. Er berichtet von 1983, als er die ersten zweieinhalb Hektar kaufte – eine Grösse, über die man damals lachte: «Zu wenig zum Leben, zu viel zum Sterben», wie er es formuliert. 

60 Hektar Reben

Heute ist daraus ein Gut von 200 Hektar geworden, davon knapp 60 Hektar Reben – doch in seiner Erinnerung bleiben die bescheidenen Anfänge stets präsent.

Er erzählt, wie er schon 1971 während eines Sprachaufenthaltes in Perugia die Gegend ins Herz schloss und sich vornahm, hier eines Tages Wurzeln zu schlagen.

tenuta vallocaia natur
Harmonisches Zusammenspiel von Kultur und Natur. (Bild: zVg)

Sorgsam eingebettet in die Umgebung

«Die Schönheit dieser Landschaft war vor uns da», sagt er – und genau diese Schönheit habe ihn in die Pflicht genommen. Man dürfe sie nicht durch Übermass zerstören, sondern müsse mit Proportionen, Materialien und Traditionen sorgsam umgehen.

Bindella beschreibt, wie er den Neubau der Kellerei 2015 bis 2018 konsequent an diesen Gedanken band: zurückhaltend in den Linien, fast im Hang verschwindend, gebaut mit den Steinen der Region. «Oft, wenn der Mensch Hand anlegt, ist es nachher nicht mehr so schön wie vorher», sagt er.

Geist einer Unternehmerfamilie

Dass er diesen Traum mit seiner Familie verwirklicht, verleiht dem Ganzen zusätzliche Tiefe. «In der Schweiz waren wir immer die Italiener, und hier waren wir die Schweizer», bemerkt er lachend.

So verdichtet sich beim Mittagessen alles, was Vallocaia ausmacht: ein Ort, an dem Familie, Architektur, Landschaft, Kunst und Wein ineinandergreifen, getragen von der Persönlichkeit und dem Geist der Unternehmerfamilie Bindella.


Die Tenuta Vollacaia bietet verschiedene Arrangements für Besucher:

Öffnungszeiten der Vinothek

April bis Oktober
Montag bis Freitag
9.00 – 18.00 Uhr
November bis März
Montag bis Freitag
9.00 – 17.00 Uhr

Führungen & Verkostungen

Ganzjährig
Montag bis Freitag (Feiertage ausgenommen)
Geführte Touren zu festen Uhrzeiten
10.00 – 16.30 Uhr (letzter Tourstart)

Küchenzeiten

April bis November
Montag bis Freitag
11.00 – 15.00 Uhr

Bindella S.r.l. Società Agricola
Via delle Tre Berte, 10A
53045 Montepulciano (Italien)