4. Teil der siebenteiligen Reportage «Banker unter Tage», von Hannes Grassegger.

Für Paul Cleary ist dieses Land krank. Der Sonnenschein von Perth liegt 3300 km westlich. Es ist seit Wochen regnerisch in Sydney, der Sommer droht auszufallen, alle fragen sich, ob das denn jetzt der Klimawandel sei, und niemand scheint wirklich gute Laune zu haben.

Der Endvierziger mit dem schütteren Haar und dem trotzig vorgestreckten Kinn sitzt am Kaffeetisch vor dem gregorianisch gehaltenen Customs-House, dem ehemaligen Zollhaus, und hadert mit der viel zu lauten Hintergrundmusik an diesem Morgen. Vor ihm laufen chinesische Touristenpärchen freudig in Richtung der nahegelegenen Oper. Hinter ihm, über dem Eingang steht «Honi soit qui mal y pense» (Ein Schuft, wer Böses dabei denkt). Innen im Customs-House, dem ehemaligen Zollhaus, liegt Sydneys Stadtbücherei, und darin steht auch Clearys drittes, aktuelles Buch «Too Much Luck» über den Minenboom und Australiens Zukunft.

Paul Cleary ist einer der profiliertesten Journalisten des Landes, ein publizistisches Schwergewicht. In den 1990ern verhinderte der junge Politikkorrespondent fast im Alleingang eine unsozial konzipierte Mehrwertsteuer. Dann ging der studierte Entwicklungsökonom nach Osttimor, um den Aufbau des soeben unabhängig gewordenen rohstoffreichen Landes als Berater zu unterstützen. Als er 2006 in seine vorderhand blühende Heimat zurückkehrte, erschrak er.

Cleary hastet durch die Sätze, die er schon so oft gesagt hat. «Viele nennen es Two-Speed-Economy. Ich sage, es gibt in Wahrheit drei Geschwindigkeiten: die Minenindustrie, die allen davonrast; den Servicesektor, der hinterherschleicht, und den Manufaktursektor, der sogar rückläufig ist.» Das Problem sei, dass der Boom der Rohstoffbranche den Rest der australischen Wirtschaft schädige.
Als Holland in den 1960ern einen Erdgasboom erlebte, die Welt wie wild holländisches Gas mit Gulden zahlte, stieg dessen Wert so stark, dass holländische Produkte für den Rest der Welt zu teuer wurden. Der Export brach ein. Weil während des Booms die Arbeitnehmer aus der Produktion in die lukrativere Service- oder Rohstoffbranche gewechselt waren, brauchte die holländische Wirtschaft Jahrzehnte, um sich zu erholen.

Nun fliegt auch der früher als «Pacific Peso» belächelte Australische Dollar gen Sonne. Ein Australischer Dollar kostete zu Beginn des Booms 2003 etwa 60 US-Cents, heute ist es ein US-Dollar. Der australische Manufaktursektor schrumpfte 2011. Besonders leidet die Stahlbranche. Es sieht aus, als wäre die Weiterverarbeitung der Rohstoffe im eigenen Land zu teuer geworden. Gleichzeitig versuchen chinesische Staats-Unternehmen, durch Tarnfirmen Anteile an den australischen Minen zu sammeln. Rückbau der einheimischen Wertschöpfungsketten, eine Minenindustrie, die zu schätzungsweise 80 Prozent ausländischen Unternehmen gehört. Für Entwicklungsökonomen und Volkswirtschafter klingt das bekannt. Schon manche Nation ging am «Ressourcenfluch» ein.

Die Holländische Krankheit ist nur ein Element dieses Fluchs. Ressourcenreichtum kann Staatswesen auf viele Arten bedrohen. Oft gehören rohstoffreiche Nationen zu den ärmsten der Welt. Warnsignale sind steigende Verschwendungssucht überfütterter Politiker; ein Staat, der sich weniger von seinen Bürgern als von seinen steuermächtigen Minenfirmen lenken lässt; die Fokussierung breiter Teile der Gesellschaft auf einen Verteilungskampf um Ressourcenprofite – bei dem es eventuell mehr zu gewinnen geben kann, als wenn man mühsam echte Werte schaffen müsste. Demokratische Institutionen erodieren unter Säureattacken der Korruption. Am Ende eines solchen Booms stand schon manches Land im Bürgerkrieg, vollkommen abhängig von den stets schwankenden Weltmarktpreisen seiner Bodenschätze, voll zerstrittener Eliten und geteilter Meinungen.

Unter einigen dieser Symptome litten Rohstoffnationen wie Aserbeidschan, Chile, Kongo, Nigeria, Russland. Doch kann eine so fortschrittliche Gesellschaft wie die Australiens sich wirklich so verändern?

 


 

Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Magazines REPORTAGEN.

REPORTAGEN ist das Ende Oktober 2011 neu lancierte deutschsprachige Magazin, das sich ausschliesslich auf Reportagen fokussiert: Sechs Mal pro Jahr erzählen herausragende Autoren und Autorinnen unerhörte Geschichten aus aller Welt. Erhältlich in Buchhandlungen und am Bahnhofskiosk.

reportagen.com

 

Cover Reportagen 5