Die liechtensteinische Volkswirtschaft ist klein aber widerstandsfähig: Den Unternehmen wird eine gewisse Widerstandsfähigkeit «quasi anerzogen», da sie stets dem internationalen Wettbewerb ausgesetzt sind.

Von Andreas Brunhart (Forschungsleiter Volkswirtschaft, Liechtenstein-Institut)

Das Fürstentum Liechtenstein, welches im letzten Jahr sein 300-jähriges Jubiläum feierte, hat sich nach dem Zweiten Weltkrieg von einem sehr armen Agrarstaat zu einem Land mit enormem Wohlstand und hoher volkswirtschaftlicher Leistungsfähigkeit entwickelt. Heute arbeiten in Liechtenstein fast 41'000 Personen, also mehr als die rund 39’000 Einwohner.

Der starke Beschäftigungsausbau in den letzten Jahrzehnten war vor allem möglich durch den Anstieg der Grenzgänger aus Österreich und der Schweiz (Zupendleranteil von mittlerweile über 55 Prozent).

Die kleine, offene Volkswirtschaft weist einen hohen Anteil an Finanzdienstleistungen auf, verfügt aber gleichzeitig über einen grossen und breit-diversifizierten Industriesektor, der inklusive Waren produzierendes Gewerbe ungefähr 47 Prozent der nationalen Bruttowertschöpfung ausmacht, was im internationalen Vergleich sehr hoch ist (siehe Abbildung 1).

Wertschöpfungsanteile

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(Industrie und Finanzdienstleistungen im internationalen Vergleich. Datenquelle: Eurostat, OECD, 2017)

Die liechtensteinische Volkswirtschaft hat sich trotz massiver Wachstumseinbrüche durch die Finanzkrise, den Aufwertungsdruck des Franken, der offiziellen Währung Liechtensteins, und die Finanzplatz-Transformation als erstaunlich robust erwiesen.

Die Arbeitslosenquote war in den letzten Jahrzehnten durchgehend niedrig und auch im Zuge der Finanzkrise 2008/2009 unter 3 Prozent (2019: 1,5 Prozent). Das Bruttonationaleinkommen pro Kopf ist (auch kaufkraftbereinigt) das mit Abstand höchste aller EU-/EFTA-Staaten (siehe Abbildung 2 unten) und Standard&Poor’s bewertet Liechtenstein zusammen mit anderen zehn Staaten (von 134 bewerteten Ländern) mit dem höchsten Rating AAA.

Bruttonationaleinkommen

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(Arbeits- und Vermögenseinkommen Staat/Unternehmen/Private) pro Einwohner und in Euro und kaufkraftbereinigt. Datenquelle: Eigene Berechnungen basierend auf Eurostat)

Wachstumsfaktoren für Liechtensteins Volkswirtschaft

Spezielle Rahmenbedingungen waren für Liechtensteins positive Entwicklung wichtig: Einerseits die Partnerschaft mit den Nachbarländern, vor allem mit der Schweiz, mit welcher Liechtenstein eine Zollunion, eine Währungsunion und viele weitere bilaterale Abkommen teilt. Andererseits die wirtschaftliche Integration insbesondere Liechtensteins Mitgliedschaft im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR), der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA) und der Welthandelsorganisation (WTO).

Auch die politische Stabilität im Zusammenspiel von direkter Demokratie und Monarchie war eine wichtige Bedingung für den wirtschaftlichen Erfolg, gepaart mit einer umsichtigen Finanzpolitik in Politik und Wirtschaft, welche zu hoher Reservebildung der öffentlichen Haushalte und starker Eigenkapitalisierung der Unternehmen geführt hat.

Liberale Wirtschafts- und Rechtsordnung

Innerhalb dieser Rahmenbedingungen gelang es Liechtenstein jedoch durchaus, die Vorteile der Kleinheit in Verbindung mit der Eigenstaatlichkeit für sich zu nutzen. Wichtige rechtliche und wirtschaftspolitische Grundlagen hierfür wurden bereits in der Zwischenkriegszeit gelegt, zum Beispiel durch die Schaffung einer liberalen Wirtschafts- und Rechtsordnung, kombiniert mit tiefer Steuer- und Abgabenbelastung.

Hierbei waren und sind auch die kleinstaatlichen «kurzen Wege» in Politik, Verwaltung und Wirtschaft und damit verbundene Effizienz, Flexibilität und Handlungsschnelligkeit hilfreich. Ein Beispiel dafür ist die im Anschluss an die «Zumwinkel-Affäre» innerhalb weniger Wochen beschlossene und breit mitgetragene «Weissgeldstrategie» (Steuertransparenz und Informationsaustausch).

Widerstandsfähigkeit trotz kleinstaatlicher Volatilität

Eine gewisse Widerstandsfähigkeit ist in einem sehr kleinen Staat den Unternehmen quasi «anerzogen»: Wegen der kleinen Binnenwirtschaft sind diese schon früh internationalem Wettbewerb ausgesetzt. Zudem kann sich die Wirtschaft nicht auf finanzielle Unterstützungsmassnahmen verlassen, weil Kleinstaaten üblicherweise über keine autonome Geldpolitik verfügen und der Hebel der Fiskalpolitik klein ist, da der Grossteil der Nachfrage nach liechtensteinischen Gütern und Dienstleistungen im Ausland liegt. Gemeinsam mit der fehlenden Pufferfunktion der kleinen Binnenwirtschaft führen diese Faktoren zu einer höheren Volatilität kleiner Volkswirtschaften gegenüber grösseren.

Die höhere Sensitivität gegenüber internationalen Konjunkturschocks kann dazu führen, dass die Unternehmen widerstandsfähiger gegenüber Schocks und strukturellem Wandel werden. Wichtig ist auch, dass die Wirtschaftsunternehmen mit einer konsequenten Nischenstrategie (Qualität statt Preis) die kleinheitsbedingte Not zur Tugend gemacht haben.

Viele Nachteile abgefedert

Die Nischenstrategie und Anpassungsfähigkeit haben in Liechtensteins Wirtschaft zu hoher Innovationskraft geführt: Die privaten Forschungsausgaben in Relation zum BIP sind mehr als doppelt so hoch wie im europäischen Durchschnitt, Ähnliches gilt für die Anzahl Patente pro Kopf.

Liechtenstein hat es geschafft, viele ökonomische Kostennachteile der Kleinheit abzufedern, indem man sich nur auf die wirklich notwendigen Staatsaufgaben konzentriert hat und durch internationale Partnerschaften und Abkommen gewisse Staatsaufgaben «outsourcen» konnte. Auch dadurch konnten Staats- und die Fiskalquote auf sehr tiefen 20 % gehalten werden.

Herausforderung für Liechtenstein

Trotzdem sieht sich auch Liechtensteins Volkswirtschaft mit Herausforderungen konfrontiert. Seit der Jahrtausendwende hat sich das durchschnittliche Wirtschaftswachstum merklich verlangsamt und war vor allem auf Beschäftigungsausbau statt Produktivitätsgewinne zurückzuführen.

Schwaches Produktivitätswachstum ist zwar auch in den meisten anderen Industriestaaten zu beobachten, die Konsequenzen daraus sind aber in einem Kleinstaat mit begrenzter Fläche (160km2) und knappen natürlichen, räumlichen und personellen Ressourcen grösser.

Hohe Reserven von Staat und Wirtschaft

Natürlich ist Liechtensteins Wirtschaft trotz guter wirtschaftlicher Ausgangslage aktuell auch stark von der Corona-Krise betroffen, weil die starke Ausrichtung auf Export von Investitionsgütern und Halbfabrikaten einen überproportional starken Einbruch in diesem internationalen Konjunkturschock erzeugt.

In der Vergangenheit hat sich Liechtenstein gegenüber Krisen jedoch trotz starker Betroffenheit als stabil im Hinblick auf Beschäftigung und Produktionskapazitäten erwiesen. In Verbindung mit den verhältnismässig hohen Reserven von Staat und Wirtschaft und dem im internationalen Vergleich widerstandsfähigen Finanzsektor kann davon ausgegangen werden, dass die liechtensteinische Volkswirtschaft für die kommenden Herausforderungen gut gerüstet ist.