Nach der kürzlichen Ankündigung, wonach Northern Trust die Lancierung von Zodia Custody mitfinanziert, gehen Justin Chapman, Global Head of Market Advocacy and Research, und Gil Platteau, Senior Vice President bei Northern Trust Switzerland in Basel, auf einige der zentralen Aspekte dazu ein.

Justin Chapman und Gil Platteau illustrieren, wie die Wertpapierbranche im Jahr 2030 aussehen könnte, verweisen auf die sich verändernden Rollen der traditionellen Marktteilnehmer und die möglichen Vorteile für Investoren.

Welches werden die grössten Veränderungen in der Finanzbranche über die kommende Dekade sein?

Die Hauptdynamik des Wandels wird von Daten und der Digitalisierung von Vermögenswerten beeinflusst. Letztere werden völlig anders aufgebaut sein als bisher und Daten werden viel effektiver genutzt, um mehr Einblicke zu gewinnen und daraus Mehrwert zu schaffen.

In den letzten zehn Jahren haben Unternehmen ihre Daten in eigenen Speichermodulen und Rechenzentren gespeichert. Im nächsten Jahrzehnt werden wir jedoch eine stärkere Bedeutung der öffentlichen Cloud-Systeme sehen, welche dazu beitragen, umfassende und detaillierte Erkenntnisse für Kunden zu generieren.

«Alle diese Vorteile werden die Entscheidungsfindung deutlich verbessern»

Durch die Digitalisierung werden die Prozesse zwischen Parteien völlig neugestaltet, wobei die Vermögenswerte mittels flexibler Systeme und dank intelligenter Verträge vom Emittenten zum Investor fliessen. Dabei werden konsistente und standardisierte Echtzeitdaten genutzt. Diese Vorteile – zusammen mit dem verstärkten Einsatz von künstlicher Intelligenz, werden die Entscheidungsfindung deutlich verbessern.

Die Herausforderung bei diesem neuen Ansatz liegt darin, den Unterschied der korrespondierenden Systeme zu überwinden. Bei der aktuellen Architektur der Finanzbranche werden Daten noch mehrfach über die gesamte Investitionskette generiert und in einigen Fällen sogar innerhalb jedes einzelnen involvierten Finanzdienstleistungs-Unternehmens neu erfasst.

Welche Rolle werden neue Anlageklassen und Marktplätze spielen?

Investoren sind immer auf der Suche nach besseren Renditen, höherer Transparenz, einem effizienteren Investment-Prozess und oft auch nach mehr direktem Einfluss auf ihre Investitionen.

Inzwischen gibt es einen branchenweiten Fokus darauf, einfacher und schneller Zugang zu diesen Anlagen zu erhalten – dies verbunden mit dem Wunsch nach geringeren Ausführungs- oder Betriebsrisiken. Wir sehen bereits die Entstehung neuer Marktplätze und sind überzeugt, dass diese die Entwicklung neuer Anlageklassen begünstigen dürften.

Werden Custodians weiterhin eine Rolle spielen?

Institutionelle Anleger werden möglicherweise zögern, sich auf Start-ups einzulassen, wenn sie neue digitale Tools nutzen wollen, weil sich insbesondere im Bereich der Dienstleistungen für Wertschriften deren Prozesse wesentlich von den bisherigen Lösungen unterscheiden.

«Die Regulierung bewegt sich schnell im Bereich der digitalen Assets»

Northern Trust erwartet, dass zahlreiche Firmen auf diese Wünsche reagieren werden. Wir haben deshalb bereits aktiv agiert und sind mit Standard Chartered eine Partnerschaft eingegangen, um Zodia Custody zu lancieren. Dabei handelt es sich um eine Custody-Firma für Kryptowährungen mit institutionellem Fokus, welche die Agilität eines Fintech-Unternehmens mit den traditionellen Custody-Prinzipien einer Bank kombiniert.

Trotz all dieser Entwicklungen wird sich die zentrale Rolle des Custodians beim Schutz von Kundenvermögen nicht ändern. Was sich ändern wird, ist die Ausführung und der Mix aus traditionellen Assets und neuartigen digitalen Assets in den Portfolios.

Für institutionelle Anleger werden Verwahrstellen weiterhin entscheidend sein, um sicherzustellen, dass die Vorteile der traditionellen Welt in Bezug auf die Sicherheit der Vermögenswerte, die Regulierung und die Kontrolle nicht verloren gehen und dass die Vorteile der neuen digitalen Umgebungen maximiert werden – sprich: Reduzierung der Kosten, Verbesserung der Liquidität und Erhöhung der Sicherheit bei Vermögenswerten.

Welchen Standpunkt nehmen die Regulierungsbehörden bei all diesen Innovationen und Veränderungen ein?

Die Regulierung bewegt sich schnell im Bereich der digitalen Assets, auch wenn sich dies in verschiedenen Bereichen und Regionen in unterschiedlichem Tempo manifestiert. Bei der Digitalisierung der Industrie geht es nicht nur um Technologie, sondern auch um die Veränderung der operativen Prozesse im Markt.

«Die Art, wie diese Vorgaben in Zukunft erreicht werden, muss sich natürlich weiterentwickeln»

Wir sind der Meinung, dass die Regulierung unabhängig von bestimmten Technologien bleiben sollte. Sie muss sich auf den Output der Nutzung dieser Technologien konzentrieren – sowohl mit Blick auf die Funktionsweise des Markts, die Stabilität des Finanzsektors wie auch den Schutz der Anleger.

Ein entscheidender Vorteil digitaler Assets und Märkte für die Regulierungsbehörde besteht darin, direkt in das Ökosystem eingebunden zu sein. In Kombination mit Entwicklungen im Bereich der künstlichen Intelligenz oder bei der Automatisierung könnte dies Umgebungen schaffen, die sich auf effektive Weise selbst regulieren.

Was sind angesichts dieses Tempos der Veränderungen die wichtigsten Überlegungen für die Unternehmen, wenn sie sich anpassen wollen?

Erstens werden die Sorgfaltspflicht und die Verantwortung für die Sicherheit der Vermögenswerte die Hauptaufgabe der Custodians bleiben. Die Art, wie diese Vorgaben in Zukunft erreicht werden, muss sich natürlich weiterentwickeln. Hier ist insbesondere der Blick auf die Beschaffenheit des Betriebsmodells zentral oder die Frage, welche Fähigkeiten und Talente zur Unterstützung benötigt werden.

Zweitens haben sich die Unternehmen schon immer an die rasante Entwicklung des Ökosystems und an regulatorische Entwicklungen angepasst. Die neuen Entwicklungen erfordern mittelfristig noch die Handhabung paralleler Infrastrukturen, da traditionelle Systeme neuen Technologien nicht unmittelbar weichen.

«Das Tempo des Wandels wird sich in der Finanzbranche noch beschleunigen»

Und schliesslich wird es immer notwendig sein, kundenorientiert und flexibel zu bleiben. Der Entwicklungspfad sollte sich stets daran orientieren, was Investoren für ihren Erfolg brauchen, und nicht daran, was Dienstleister machen möchten. Dies bedeutet, dass Veränderungen nicht für jeden in der Wertschöpfungskette gleich aussehen werden.

Es ist wichtig, dass sich Organisationen vorbereiten.

Es ist meist sehr einfach, sich auf das zu konzentrieren, was unmittelbar vor einem liegt. Aber ohne einen umfassenden Blick auf die Zukunft ist es sehr schwer, grosse Organismen zu bewegen und sicherzustellen, dass sie für den Wandel bereit sind. Unternehmen müssen so strukturiert sein, dass sie neue Produkte, Dienstleistungen und Fähigkeiten anbieten können.

Das Tempo des Wandels wird sich in der Finanzbranche noch beschleunigen, und die Vervielfachung von Möglichkeiten dürfte in den nächsten zehn Jahren erheblich sein – genauso wie das Risiko für all jene, die nicht schnell genug handeln.


Justin Chapman ist als Global Executive verantwortlich für den Bereich Securities Services, wo er für Strategie und Profitabilität zuständig ist. Er ist zudem globaler Leiter der Market Advocacy & Innovation Research-Organisation, die die wichtigsten Branchenverbände und regulatorischen Engagements von Northern Trust koordiniert und gleichzeitig Markt- und Technologieinnovationen erforscht, um Geschäftswachstum und betriebliche Effizienz zu fördern. Er hat für Organisationen in den Bereichen Investment Banking, Asset Management, Custodial und Consultancy gearbeitet. Zuvor hatte er folgende Positionen in der Branche inne: Vorsitzender der International Securities Association for Institutional Trade Communication (ISITC) Europe, sowie als Gründer und Vorsitzender der SWIFT International Securities Advisory Group.

Gil Platteau ist Senior Vice President und Mitglied des Führungsteams von Northern Trust Switzerland. Er pflegt wichtige Beziehungen zu institutionellen Anlegern in der Schweiz und der gesamten EMEA-Region. Er stiess im September 2019 zu Northern Trust und bringt 20 Jahre Branchenerfahrung mit. Er arbeitete unter anderem in leitenden Positionen bei Rothschild Asset Management, Barclays und Mercer Delegated Solutions in Zürich als Länderchef.