Wenn wir uns in einem Dilemma befinden, gibt manchmal nicht einmal mehr das Bauchgefühl eine klare Richtung vor. Doch mit einer strukturierten Herangehensweise lässt sich Klarheit schaffen. 


Von Gabriele Hornig


 «If you can’t measure it, it does not exist» war bisher Leitgedanke sämtlicher Finanzberatung. Und auch ich als Steuerberaterin war viele Jahre davon überzeugt, dass Gefühle guten, weil rationalen Entscheidungen im Wege stehen.

Aber natürlich haben wir auch bei der Arbeit Gefühle. Ein Blick auf ein eingegangenes Mail kann Freude auslösen: «Ihr Angebot nehme ich gerne an.» Oder aber Beklemmung: «Friendly reminder: Sie hatten mir Ihre Auswertung bis gestern zugesagt.»

Wenn Gefühle Teil unseres Lebens sind, stellt sich die Frage, wie wir mit ihnen umgehen sollen, wenn wichtige finanzielle Entscheidungen zu treffen sind, die Auswirkungen auf die persönliche Lebenssituation haben. Und wenn wir merken, dass uns nicht nur vieles durch den Kopf geht, sondern auch Kopfweh oder Bauchschmerzen verursacht.

«Machen Sie das, was Ihnen am meisten Gewinn bringt», meint der Finanzberater. «Die steueroptimale Lösung ist klar», sagt die Steuerberaterin. Also Gefühle ignorieren und dem Rat der Berater folgen? Oft eine gute Lösung. Aber wäre es nicht wunderbar, die Entscheidung auch mit einem guten Gefühl treffen zu können?

Gefühle messen

Der Frage, wie nicht nur richtige, sondern unter Einbeziehung von Gefühlen auch gute, weil kluge Entscheidungen getroffen werden können, haben sich Maja Storch und Frank Krause bei der Entwicklung des Zürcher Ressourcen Modells (ZRM) gewidmet. Mit der Affektbilanz haben sie eine wissenschaftlich fundierte Methode geschaffen, mit der Gefühle gemessen werden können.

Der Gehirnforscher Antonio Damasio erklärt in seinem Buch «Descartes‘ Irrtum», warum Gefühle für gute Entscheidungen unentbehrlich sind: Es sind die Gefühle, die rationale Argumente daraufhin untersuchen, ob sie zu unseren emotionalen Bedürfnissen und Wertvorstellungen passen.

Entscheidungshilfe Affektbilanz

«Ich muss langsam daran denken, mein Unternehmen weiterzugeben», sagt die Unternehmerin Susanne F. «Aber ich bin mir nicht sicher, ob ich meinem Sohn etwas Gutes tue, wenn ich es ihm übergebe. Er ist fleißig und bemüht, aber irgendwie hab‘ ich Sorge, dass er es nicht schafft.»

Das Unternehmen ist ein österreichischer Installationsbetrieb mit über 100-jähriger Tradition. Frau F. hat ihn von ihren Eltern übernommen und als alleinerziehende Mutter fast 30 Jahre lang geführt. Im Betrieb steckt ihr Leben. Es gab kaum oder nur kurze Urlaube, viel Stress und viele Sorgen. Aber Frau F. ist auch ein wenig stolz auf das, was sie geleistet hat.

Das Unternehmen schreibt seit elf Jahren wieder Gewinne und hat eine starke Eigenkapitaldecke. So weit, so klar. Aber ist es wirklich eine gute Entscheidung, das Unternehmen an Sohn Sebastian weiterzugeben und damit in der Familie zu behalten?

Für Frau F. geht es nicht nur um eine wirtschaftliche, sondern auch um eine persönliche Entscheidung. Mithilfe von Affektbilanzen finden die persönlichen Bedürfnisse und Werte Berücksichtigung. Frau F. erstellt folgende zwei Affektbilanzen: Eine zum Verkauf des Unternehmens und eine zur Option, das Unternehmen dem Sohn zu schenken. 

Affektbilanz zu Option 1: Ich verkaufe mein Unternehmen.

Die Frage an Frau F. lautet: «Wie stark ist Ihr positives Gefühl auf der einen Seite beziehungsweise Ihr negatives Gefühl auf der anderen Seite, wenn Sie daran denken, Ihr Unternehmen zu verkaufen?»

Affektbilanzen werden durch zwei Skalen ausgedrückt, eine für die positiven, eine für die negativen Gefühle. Auf der rechten Skala trägt Frau F. die Stärke ihres positiven Gefühls ein, auf der linken die Stärke ihres negativen Gefühls. Wichtig ist, dass die Bewertungen schnell und «aus dem Bauch heraus» erfolgen. Frau F. zeichnet ein schwaches positives und ein starkes negatives Gefühl ein.

Affektbilanz 1 500

Frau F. kann nun ihre Emotionen in Worte fassen. Das starke negative Gefühl wird ausgelöst bei dem Gedanken, dass das Unternehmen «weg» ist. Sie hätte in diesem Fall das Gefühl, dass ihre Arbeit sinnlos war. Andererseits stellt sich ein angenehm positives Gefühl der Erleichterung ein.

Es sind genau diese gemischten Gefühle, die eine Entscheidung schwer machen. In der Methodik der Affektbilanz ist eine gute Entscheidung erst möglich, wenn das positive Gefühl zumindest den Wert 70 erreicht und gar kein oder fast kein negatives Gefühl vorhanden ist.

Affektbilanz zu Option 2: Ich schenke mein Unternehmen meinem Sohn.

Affektbilanz 2 500

Der Vergleich gibt die weitere Richtung vor: Bei Option 2 hat Frau F. ein wesentlich stärker positives Gefühl als bei Option 1; und auch das negative Gefühl ist geringer. Dort kann sie nun ansetzen und überlegen, wie das negative Gefühl bei Option 2 zu reduzieren wäre. «Ich frage meinen langjährigen, erfahrenen Mitarbeiter, ob er für die nächsten drei Jahre die Geschäftsführung übernehmen kann.» Und schon ist das negative Gefühl auf den Wert 10 gefallen.

Frau F. ist klargeworden, dass ihr Sohn ihr Nachfolger sein soll. Jetzt geht es nur noch um eine reibungslose Übergabe.

«What gets measured, gets managed», sagt der Ökonom Peter F. Drucker - wie recht er hat!


Gabriele Hornig ist Steuerberaterin, Wirtschaftsmediatorin und Trainerin für Selbstmanagement nach dem Zürcher Ressourcen Modell (ZRM). Nach langjähriger internationaler Tätigkeit in der Wirtschaftsprüfung unterstützt sie ihre Klientinnen und Klienten dabei, ihr wirtschaftliches Handeln auf ein gutes Leben auszurichten. Als Steuerberaterin vermittelt sie Klarheit über die wirtschaftliche und steuerliche Situation; als Wirtschaftsmediatorin begleitet sie Streitparteien auf deren Weg in eine gute und wirtschaftlich vertretbare Lösung und als ZRM Trainerin unterstützt sie Menschen dabei ihre Ziel klar zu erkennen und nachhaltig umzusetzen.