Schneller, besser, stärker? Die Snowboard-Olympiasiegerin Tanja Frieden lehrt heute Manager mit Niederlagen umzugehen und dem lähmenden Leistungsdruck zu entrinnen.

Von Robert Wildi, freier Mitarbeiter

Seit Monaten oder Jahren harzt es irgendwie, man fühlt sich regelmässig ausgelaugt, gestresst, emotional nicht erfüllt oder schlicht traurig und leer. Was kann die Ursache sein?

Nicht immer einfach herauszufinden, auch für Betroffene selbst, wirkt doch die Fassade gegen aussen oft wunderbar. Erfolgreich im Beruf, langjährige Beziehung, grosser Freundeskreis, einwandfreie Fitness und Gesundheit.

Goldmedaille an den olympischen Spielen

Es sind genau solche Situationen von Menschen, mit denen Tanja Frieden tagtäglich konfrontiert wird. Die frühere Snowboarderin, die es zu nicht weniger als der Olympia-Goldmedaille 2006 in Turin gebracht hat, hat sich vor Jahren auf das Coaching von Menschen in allerlei unterschiedlichen Lebenslagen konzentriert. Eines haben sie jedoch alle gemeinsam: Sie wollen ein verrücktes Herzensziel erreichen.

Inspiriert zu diesem Schritt haben Tanja Frieden viele Erlebnisse und Erfahrungen aus der eigenen Karriere. «In meiner 14-jährigen Laufbahn als Spitzensportlerin habe ich etliche Methoden erlernt, wie ich meine eigene Leistungsfähigkeit optimieren konnte. Diese Methoden, die nicht selten unkonventionell und gegen aussen vielleicht wenig nachvollziehbar wirkten, halfen mir enorm, Ruhe in meinen hektischen Alltag zu bringen, persönliche Prioritäten zu erkennen, sowie meine eigenen Kräfte fokussiert zu aktivieren und zielgerichtet einzusetzen.»

«Unlogische» Ziele zu verfolgen

Diesen Weg zur inneren Führung, gegen alle Widerstände von aussen, will Frieden Menschen weitervermitteln. Sie konzentriert sich dabei bewusst auf Personen aus Beruf-, Sport- oder Privatleben, die mit klaren Vorstellungen kommen. Es sind also keine Gespräche über Gott und die Welt, welche die starke Kommunikatorin führen will, sondern sehr zielgerichtete Coaching-Sessions, die einen Fokus haben: dem «verrückten Herzensziel» auf die Spur kommen und intensiv darauf hinarbeiten, es umzusetzen.

Empfangen werden die Kunden von Frieden oft am Thunersee, wo sie auf dem Gelände des Viersternhotels Deltapark ein kleines Büro mit Gesprächsraum betreibt. Coachings laufen auch online ab, worauf sie sich in der Corona-Zeit spezialisiert hat.

Sehnsüchte benennen

Tanja-Frieden-Bilanz

(Tanja Frieden, Bild: Remo Neuhaus)

Immer wieder ermuntert sie darin ihre Gesprächspartner, auch «unlogische Wünsche und Ziele» zu verfolgen, statt diese zu unterdrücken. Nicht selten kommen erfolgreiche Manager in hohen Executive-Positionen, die des ewigen Drucks überdrüssig sind, sich selbst beruflich «downgraden» und dafür mehr Zeit haben wollen. Allein schaffen sie den Schritt aber nicht, weil der Druck und die Erwartungshaltung von aussen immens sind.

«Ich helfe solchen und anderen Menschen, ihre wahren Sehnsüchte zu benennen, zu diesen zu stehen und sich den äusseren und inneren Widerständen zu stellen», sagt Tanja Frieden.

Körper und Seele in Einklang bringen

Oft wendet sie in den Gesprächen spezielle Bilder an, fragt ihr Gegenüber zum Beispiel, welches Tier er oder sie am liebsten sein würde, welche ausserordentlichen Fähigkeiten man sofort als grösstes Geschenk übernehmen würde. «Diese intensive Auseinandersetzung mit sich selbst, den tief drin schlummernden Wünschen, löst häufig viele Verkrampfungen und Blockaden auf», beobachtet die Ex-Sportlerin.

Sie nehme auch nie ein Blatt vor den Mund, wenn sie nach ihrer persönlichen Einschätzung der Situation gefragt werde. «Da bin ich voll geradeaus», sagt sie in breitem Berner Dialekt, was auf der Gegenseite sehr geschätzt werde.

Auch den Körper bezieht Frieden in die Coachings mit ein, absolviert mit ihren Gesprächspartnern und -partnerinnen gezielte Übungsprogramme, feilt an Atemtechniken und vermittelt, wie wichtig der Einklang von Körper und Seele ist, um den ehrlichen Zugang zu sich selbst und tief verwurzelten Wünschen und Zielen zu finden.

«Machtfreie» Siege erringen

Ein gewaltiges Thema bei vielen Menschen sei die riesige Angst vor dem Verlieren, hat Frieden in etlichen Gesprächen und Coachings die Erfahrung gemacht. Diese «lähmende Angst» in ein ganz neues Bewusstsein und Verständnis von Wettbewerb, Sieg und Niederlage zu verwandeln, gelinge ihr als ehemalige Spitzensportlerin oft sehr gut.

Oft gehe es dabei um Perspektive. «Wenn ich als Sportler eine Niederlage bewusst mit der Stärke des Gegners begründe, bin ich mit mir selbst im Reinen und motiviert, mich selbst zu verbessern.» Das gleiche gelte für Wirtschaft und Arbeitsleben.

Die Dualität, mal zu «gewinnen», mal zu «verlieren», sei eine der urmenschlichsten Eigenschaften. Wer einmal gelernt hat, einen «machtfreien Sieg» zu erringen, sich also nicht über den Verlierer zu stellen, werde automatisch immun gegen Minderwertigkeitsgefühle in der Niederlage.

Pferd mit Flügeln

Das Wesen des Menschseins mit all seinen Facetten erläutert Frieden in ihren Coachings gern am von ihr selbst kreierten «Pegasus-Mindset-Programm». Das Pferd mit Flügeln widerspiegle diese Dualität, die Vielschichtigkeit im Sein und Denken, die je nach Situation unterschiedliche Handlungen erfordere.

«Mal stehen wir still, mal rennen wir, mal heben wir ab, kommen aber immer wieder runter.» Tanja Frieden findet sich selbst wieder in dieser Figur, und wirkt auch deshalb so authentisch in dem, was sie erzählt. (tc)