Die gebürtige Russin ist eine renommierte Beraterin von Oligarchen am Platz Zürich. Gegenüber finews.ch erklärt Olga Boltenko, warum sie halbjährlich eine Leseliste an ihre Klientel verschickt.


«All das, was ich im Leben erreicht habe, ist letztlich dem Umstand geschuldet, dass ich schon als Kind viel gelesen habe», sagt Olga Boltenko über ihre Beziehung zu Büchern. Tatsächlich hat sie einen weiten Weg hinter sich: Vom russischen Provinznest Saratov zum Stipendium in Steuerrecht an der Universität Cambridge in Grossbritannien bis zur renommierten Anwältin mit eigener Firma – Boltenko Law – in Zürich.

Von der Bücherleidenschaft ihrer Jugend lässt sich auch heute nicht: Die Juristin plant die Lektüre fix in ihren Tag ein.

Frau Boltenko, die Mehrzahl der Kanzleien meldet sich, wenn überhaupt, mit eher trockenen Fachpubliklationen bei den Klienten. Sie hingegen versenden mit dem Boltenko Law Reading Club halbjährlich eine Leseliste – nun liegt die Ausgabe für den Winter vor. Wie ist Ihnen die Idee dazu gekommen?

Wir versuchen, mindestens zehnmal pro Jahr einen Newsletter an unsere Geschäftspartner zu verschicken. Wir wollen ihnen damit zeigen, dass wir in Sinn stiftender Weise für sie da sind. Natürlich verweisen auch wir auf wichtige Gesetzesänderungen, auf Trends in der Besteuerung und der Vermögensberatung sowie auf Events, die wir ausrichten.

«‹Heute ein Leser, morgen ein Leader›, sagte ein Oligarch einmal zu mir»

Da ich aber persönlich sehr gerne lese und den Leuten andauernd Bücher empfehle, gingen wir das Risiko ein und organisierten den Leseclub. Wir haben dazu viel ausgezeichnetes Feedback erhalten!

Boltenko Law ist auf Rechtsberatung und Vermögensplanung für schwerreiche Kunden aus Osteuropa spezialisiert. Das scheint ziemlich weit entfernt von Literaturwissenschaften zu sein. Wie schlagen Sie die Brücke?

Wir gehen bei der Auswahl methodisch vor. Die erste Buchempfehlung dreht sich immer um Russland und die Russen. Die nächsten beiden Empfehlungen kreisen ums Thema Führung und Vermögen, den Schluss machen Ratgeber-Bände. Wir versuchen dabei stets, die besten und neusten Publikationen zu finden – heuer haben wir nun auch das Thema Frau sowie Kinder und Erziehung aufgenommen.

Sind Oligarchen Bücherwürmer?

Viele von ihnen sind es tatsächlich. «Heute ein Leser, morgen ein Leader», sagte einer einmal zu mir.

In Ihrer Winter-Liste findet sich der Thriller «The Spy and the Traitor» von Ben Macintyre, der von einem KGB-Agenten handelt, sowie «Kleptopia: How Dirty Money is Conquering the World» von Tom Burgis. Sind Spionage und schmutziges Geld reine Fiktion für Ihre Leserschaft, oder doch eher lebensnahe Themen?

«The Spy and the Traitor» ist das beste von fünf Büchern, die ich zum Thema Russland seit der letzten Empfehlungsliste gelesen habe. Also musste es auf die aktuelle Liste. Für mich geht es darum, Erzählungen zu finden, die den Russen helfen, sich selber besser zu verstehen – und den Ausländern Russland näher bringen. Russische Spione und schmutziges Geld sind derzeit leider sehr aktuelle Themen in der Presse. Das schafft einen Bezug zum Hier und Jetzt.

Mit der Coronakrise, dem Austritt der Wahlheimat Grossbritannien aus der EU und neuerlichen Sanktionen gegen Russland und russische Firmen dürften das Leben von reichen Russen gerade sehr turbulent sein. Was helfen da Bücher?

Jetzt ist ein idealer Zeitpunkt, um nachzudenken und die Zukunft zu planen. Dabei sind Bücher eine grosse Hilfe. Eine unserer aktuellen Empfehlungen – «Range: Why Generalists Triumph in a Specialized World» – handelt genau davon: Wer sich breites Wissen verschafft und neues ausprobiert, steigert seine Chancen auf Erfolg.

«Ich bin schon der Meinung, dass Bücher etwas Staub ansetzen können»

Eine Folgerung wäre auch, dass Sie selber derzeit beruflich voll ausgelastet sind. Wann finden Sie Zeit zum Lesen?

Weil ich der Meinung bin, dass Lesen wichtig ist, plane ich die Lektüre in meinen Tag ein – genau, wie ich es mit dem Sport mache. Es ist wichtig, über das Tagesgeschehen hinaus zu blicken.

Fjodor Dostojewski wäre dieses Jahr 200 Jahre alt geworden. Die Gedanken des russchischen Schriftstellers zum Verhältnis zwischen Europa und Russland klingen heute noch aktuell. Empfiehlt Ihr Club auch die Klassiker?

Jein. Ich bin schon der Meinung, dass Bücher etwas Staub ansetzen können – zudem konzentrieren wir uns in unseren Listen vor allem auf Non-Fiction. Dessen ungeachtet empfehlen wir Prosa, die wir grossartig finden, so den Reportage-Band «Second-hand Time» der Literatur-Nobelpreisträgerin Svetlana Alexievich. Als nächstes werde ich wohl die Tolstoi-Biographie von Andrei Zorin auf die Liste nehmen. Ich kenne den Autor persönlich, ein brillanter Typ.

Die Frage drängt sich auf: Haben Sie ein Lieblingsbuch?

Nein, denn ich bin ja immer auf der Suche nach dem nächsten grossartigen Buch. Aber wenn sie mich fragen, welches das beste russische Prosawerk der letzten zwanzig Jahre ist, dann würde ich ihnen diesen Band von Alexander Chudakov empfehlen. Leider liegt meines Wissens noch immer keine Übersetzung vor.