Im Schweizer Finanzwesen gilt die Luft für Ü50-Angestellte als dünn. Doch der aktuelle Fachkräfte-Mangel sollte Anlass sein, die eigene Situation zu überdenken – das kann mit einer Auszeit beginnen, wie finews.ch aufzeigt.

Ein Berufswechsel nach 50 muss keine Krise sein. Das jedenfalls findet Regula Mäder, die als Karriere-Coach Menschen jeden Alters bei der beruflichen Neuorientierung unterstützt. Mehr noch: darin liege eine wichtige Übung, erklärt sie im Gespräch mit finews.ch.

Der Schritt erscheint nicht mehr so bedrohlich wie auch schon. Der Schweizer Arbeitsmarkt mit seinem aktuellen Fachkräfte-Mangel ist in vielerlei Hinsicht ein geeignetes Umfeld, um auch nach dem 50. Geburtstag den Schritt in eine neue Richtung zu wagen.

Unter dem Radar

Der Fachkräftemangel zwingt auch die Arbeitgeber dazu, sich etwas einfallen zu lassen, um die Mitarbeitenden in dieser Altersgruppe zu halten. Hier setzt Mäder mit der Firma Mäder & Partner an und bietet Führungskräften Beratung sowie Workshops für Mitarbeitende an, die dabei helfen sollen, die individuelle Situation zu beurteilen.

Ein häufiges und überraschendes Ergebnis dieser Workshops sei, dass Mitarbeitende in dieser Altersgruppe den Wunsch verspürten, mehr gehört zu werden, berichtet die Beraterin aus der Praxis.

In der Vergangenheit hätten viele Ü50-Angestellte noch die Strategie verfolgt, «unter dem Radar durchzuschlüpfen, in der Hoffnung, unbemerkt zu bleiben, bis sie in den Ruhestand gehen», sagte sie. «Stellen Sie sich vor», ereiferte sie sich, «diese Leute haben noch 15 Jahre im Job vor sich!»

Jede und jeder gefordert

Unternehmen, die von sich aus auf diese Altersgruppe zugehen, sind jedoch weiterhin die Ausnahme. Entsprechend steht jede einzelne und jeder einzelne selber in der Pflicht, sich am Arbeitsplatz und auch ausserhalb neue Fähigkeiten anzueignen, betont die Coach.

Das Problem sei jedoch, dass Arbeitnehmende, die ihr ganzes Arbeitsleben lang in einem Acht-bis-Fünf-Uhr-Job festsässen, oft nicht genau wüssten, was sie wollten, gibt Mäder zu bedenken. Viele kämen dann in ihr Büro, um herauszufinden, was sie wirklich vom Leben erwarten.

Die Auseinandersetzung mit den Anforderungen des Arbeitsmarktes ist aber auf jeden Fall fruchtbar, glaubt man der Beraterin. «Manchmal wird den Menschen dadurch auch klar, dass sie bereits am richtigen Platz sind», sagt Maeder. Das ändere nichts am Wert solcher Überlegungen. «Es ist immer ermutigend, seinen eigenen Karriereplan aufzustellen.»

 Aus der Distanz betrachten

Für diejenigen, die eine Veränderung brauchen, kann die Lebensmitte also ein guter Zeitpunkt sein, einen neuen Karriereweg einzuschlagen oder sogar ein Unternehmen zu gründen, da viele Menschen in diesem Lebensabschnitt weniger finanzielle Verpflichtungen haben, so Mäder weiter.

Ein erster Schritt dazu kann in einer freiwilligen Pause vom beruflichen Alltag bestehen: Vor zehn Jahren beschloss Markus Krucker, sich ein Jahr Auszeit von seinen zwei Jahrzehnte währenden Karriere als IT-Berater bei den Raiffeisen-Banken zu nehmen, um seine Karriere einmal aus der Distanz zu betrachten.

Boots- oder Kranführer?

Krucker, der damals 41 Jahre alt war, wollte nicht bis 50 zuwarten, um sich beruflich zu verändern, oder «verändert» zu werden. «Ich wusste zu dem Zeitpunkt, als ich meinen Job aufgab, nicht wirklich, was ich tun würde. Ich hatte ein paar Ideen, und die Möglichkeiten reichten vom Bootsführer bis zum Kranführer», erinnert er sich im Gespräch.

Während seines freien Jahres erhielt Krucker das Angebot, die WS-Bootschule am Zürcher Mythenquai – nur einige Schritte von den Hauptquartieren von Swiss Life und Swiss Re entfernt – von ihrem Gründer und Namensgeber Werner Sollberger zu erwerben.
Krucker, der seit seiner Kindheit leidenschaftlicher Segler ist, wog die Gelegenheit und die finanziellen Verpflichtungen ab, wohl wissend, dass er weniger verdienen würde als ein IT-Berater.

Portfolio-Karrieren im Aufwind

Obwohl er niemanden wie Mäder besuchte, holte sich Krucker Rat von Dritten. Er besprach die Idee, die Bootsschule zu kaufen, mit einem engen Freund, der geduldig zuhörte und ihm dann den nötigen Anstoss gab, indem er einfach sagte: «Vielleicht solltest du sie einfach kaufen.» Das tat er – und nach zehn Jahren sagt er, den Entscheid seither keine Sekunde bereut zu haben.

Menschen, die nicht nur die Angst vor solchen lebensverändernden Entscheidungen überwinden, sondern auch mit weniger leben können, haben in der Regel eine höhere Chance, mit ihren Projekten erfolgreich zu sein, erklärt Mäder. So genannte Portfolio-Karrieren, bei denen Freiberufler eine Reihe von Dienstleistungen für mehrere Kunden anbieten, dürften sich weiter verbreiten.

Begeisterung ist unbezahlbar

In dieser Hinsicht hat Krucker sein Portfolio schnell um das Unterrichten erweitert. Er hilft nun Studenten während der Wintermonate beim Lernen und bei der Vorbereitung auf den theoretischen Teil der anspruchsvollen Hochsee-Segelprüfung.

Während Kruckers Job in der IT-Branche lukrativer war, ist es für ihn eine persönliche Befriedigung, wenn er sieht, wie eine Studentin oder ein Student eine Prüfung besteht und von der Magie des Segelns begeistert ist. «Das Strahlen in ihren Gesichtern zu sehen, ist unbezahlbar», sagt er.

Schnee und Eis statt Whisky und Sonne

Kruckers Realität hat nichts damit zu tun, mit einem Whiskyglas in der Hand in den Sonnenuntergang zu segeln, sagt er. In den ersten Jahren war er in den Wintermonaten mit Studenten bei 5 Grad auf dem Wasser, wurde mit kaltem Regen überschüttet und hatte mit Schnee und Eis zu kämpfen.

Er ist aber schlauer geworden: Ab Mitte Dezember bis Mitte März gibt er nur noch Motorboot-Unterricht. Das geheizte Motorboot bietet fast den selben Komfort wie ein Auto, laut Krucker. 

Hinzu kommen die weniger glamourösen Aufgaben, die der Job mit sich bring: Die Geschäftsleitung, das Marketings, die Buchhaltung und natürlich der Bootswartung.

Nachdem er die Bootsschule an Krucker verkauft hatte, ging Sollberger in den Ruhestand und änderte auch seine «Laufbahn» nochmals. Er tauschte sein Segelboot gegen ein grosses Wohnmobil – und «segelt» jetzt auf der Weite der Strassen.


Mitarbeit: Jade Cano und Marco Babic