Viele Banken verfügen über riesige Kunststammlungen. Doch die meisten Werke sind der Öffentlichkeit kaum oder nur sporadisch zugänglich. Anders im Hotel Castell im bündnerischen Zuoz.

Das Viersterne-Hotel Castell mit 68 Zimmern und Suiten, das seit gut zwanzig Jahren den Nachfahren der einstigen Zürcher Industriellen-Familie Bechtler (Zellweger Luwa) gehört, unterhält eine der wohl grössten Sammlungen an zeitgenössischer Kunst. Die Werke sind frei zugänglich und bieten Passanten, insbesondere aber den Hotelgästen, eine einzigartige Erfahrung (Bild unten). 

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Jeden Donnerstag um 17 Uhr führt das Hotelierpaar Irène und Martin Müller Interessierte durch das Haus und erläutert ihnen Exponate von Künstlern wie Roman Signer, Peter Fischli/David Weiss, Thomas Hirschhorn, Chantal Michel, David Shrigley oder Simon Starling.

Ein Aufenthalt im Castell ist indessen mit weiteren «kunstvollen» Annehmlichkeiten verbunden: Neben begehbaren Kunstwerken wie dem Felsenbad mit Sauna von Tadashi Kawamata, dem turmähnlichen Rundbau «Skyspace Piz Uter» von James Turrell bietet das Hotel auch eine Wellness-Anlage mit Hamam, ein 30-plätziges Studiokino und die von Pipilotti Rist und Gabrielle Hächler erbaute «Rote Bar» (Bild unten). Unweit des Hauses lässt sich zudem Golf spielen.

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Die aus mehreren Hunderten von Werken bestehende Kollektion gehört Rudolf «Ruedi» Bechtler (Bild unten), einstiger ETH-Ingenieur, Kunstsammler und Bruder von Thomas Bechtler, dem früheren Verwaltungsrat der Credit Suisse und Swiss Re. Ruedi Bechtler erwarb den 1912/13 erbauten Komplex 1997 von seinem Schwager Donat Kunz und entwickelte ihn im Zuge mehrerer Renovationsetappen zum heutigen «Museum» mit Hotel.

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Der schlossähnliche Bau (Bild unten) am Nordwesthang des Oberengadiner Dorfs Zuoz blickt auf eine wechselvolle Geschichte, die sich zwischen grossen Visionen, kühner Architektur, illustren Gästen, Migros-Tourismus, wirtschaftlichem Scheitern und einer sagenhaften Renaissance erstreckt.

In den «Golden Twenties» logierten im Castell Autoren wie Stefan Zweig und Arthur Schnitzler, bis der Brösencrash von 1929 alles ruinierte. In den 1950er-Jahren übernahm die Migros das Haus, das ab 1968 eine zweite Glanzzeit als Clubhotel erlebte, bis die Ölkrise das Geschäft zunichte machte. Spätere Handwechsel führten lediglich zu «unsensiblen Veränderungen», bevor Bechtler das Haus erwarb.

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Mit seinem millionenschweren Engagement hat der «Künstlerhotelier» Bechtler den Ort zu einer Art Kunstmekka gemacht. Daneben bietet das Castell auch ein preisgekröntes Restaurant im über 100-jährigen Jugenstil-Saal, der aus den grossen Zeiten erhalten geblieben ist.

Heute steht es unter der Leitung von Küchenchef Helmut Leitner, der täglich A-la-carte-Menüs auf die Teller zaubert und zum Dessert regelmässig «Financiers», kleine, aromatische Küchlein, die wie Goldbarren aussehen, serviert – mit Panna Cotta und Früchtesauce (Bild unten).

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Dass das Haus mittlerweile schwarze Zahlen schreibt, ist ebenfalls aufs Engagement des Direktions-Ehepaars Müller (Bild unten) zurückzuführen, das selber auch im Hotelbetrieb Hand anlegt. Regelmässige Architektur-, Foto- oder Kunst-Weekends ermöglichen es ausserdem, auf Tuchfühlung mit Künstlern zu gehen, während fortlaufend neue Kunstprojekte realisiert werden.

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Kunst im Landschaftsraum

So etwa Ken Lums Museum mit fiktiver Migrationsgeschichte in La Punt-Chamues-ch oder den U-Bahneingang der Metronet des verstorbenen Künstlers Martin Kippenberger beim Zuozer Golfplatz. Das Kunstobjekt verbindet das Engadin so auf imaginäre Weise mit anderen wichtigen Orten dieser Welt.