In seinem ersten grossen Interview als Chef der Zürcher Rothschild Bank verrät Laurent Gagnebin, was die Finanzbranche von der Hotellerie lernen kann.

Im Gegensatz zu den meisten Bankchefs empfängt Laurent Gagnebin seine Gäste nicht in einem anonymen Sitzungszimmer, sondern in seinem Eckbüro an der Zollikerstrasse mit Weitsicht auf den Zürichsee. Dass der CEO der Rothschild dabei auch keine Krawatte trägt, ist ein weiteres Zeichen dafür, dass der 40-jährige Manager mit den Klischees im Swiss Banking nicht viel anfangen kann.

Auf seinem Stehpult befindet sich eine Plastikfigur von Albert Einstein, die sich fortdauernd mit dem Zeigefinger an die Schläfe tippt. «Ein Geschenk meiner Töchter», sagt Gagnebin, «das mich stets daran erinnern soll, im Alltag mit dem Kopf bei der Sache zu sein.»

Eine Jukebox um Mitternacht

Obschon sein Grossvater mütterlicherseits und sein Vater als Bankiers arbeiteten, war es für Gagnebin zunächst nicht klar, dass auch er diesen Weg einschlagen würde. Denn nach dem Besuch der École hôtelière de Lausanne absolvierte er die ersten Jahre seiner Berufskarriere als Bankett-Manager in der Luxushotellerie.

Dort lernte er, was Service ist. Dass er dabei einmal den Brautstrauss für eine Hochzeit vergass, war ebenso erfahrungsreich, wie es ihm ein anderes Mal gelang, eine Jukebox zu organisieren, die für das frisch vermählte Paar um Mitternacht Frank-Sinatra-Songs spielte.

«In der Hotellerie lernt man schnell, pragmatisch zu sein, etwas, was an keiner Universität gelehrt wird», sagt der Waadtländer und leidenschaftliche Marathonläufer im Interview mit finews.ch.

Die härteste Schule

Trotz seiner Passion für das Hotelgeschäft in all seinen Ausprägungen verschlug es Gagnebin dann doch nach 14 Jahren ins Banking, wo er bei der amerikanischen Investmentbank Goldman Sachs anheuerte, und wo er nach eigenem Bekunden die vermutlich härteste «Schule» durchlief.

Nach einigen Jahren bei der Investec Bank wechselte der Westschweizer im Herbst 2011 zur Rothschild Bank, wo er vor acht Monaten als Nachfolger von Veit de Maddalena die Leitung übernahm.

Herr Gagnebin, das Profil des Schweizer Private Bankers hat sich in den vergangenen zehn Jahren enorm verändert.

Ja, das kann man ruhig sagen, und jene Leute, die nicht bereit sind, sich anzupassen, werden es sehr schwer haben, in unserer Branche weiter arbeiten zu können.

Die Schweizer Bankbranche war nie sonderlich bekannt für eine ausgeprägte Verkaufskultur. Liegt darin das Problem begraben?

Wir bei Rothschild «verkaufen» nicht, aber wir suchen Private Banker, die fähig sind, potenzielle Kunden für unser Unternehmen zu gewinnen. Die meisten Schweizer Banken dürften einen riesigen Bedarf haben, ihre Leute dahingehend aus- und weiterzubilden. Bei Goldman Sachs hat man uns diesbezüglich unnachgiebig «trainiert». Wir haben monatelang Kundengespräche nachgestellt.

«Manche Menschen empfinden es als erniedrigend, das Telefon in die Hand zu nehmen»

Natürlich ist das nicht einfach. Manche Menschen zögern, den Telefonhörer in die Hand zu nehmen. Sie empfinden dies als erniedrigend, da sie gewohnt sind, dass die Leute sie anrufen. Kundenberater zu finden, die bereit sind, selbst nach 99 Absagen beim 100. Mal durchzukommen und einen Termin zu vereinbaren, ist ziemlich schwierig.

Wenn wir uns den typischen Rothschild-Kunden vorstellen, dann ist das eine eher ältere, sehr kultivierte und überaus vermögende Person. Liegen wir damit richtig?

Nun ja, vermögend ist sie sicherlich (lacht). Wenn ich mir indessen die Personen vorstelle, die wir in den vergangenen Jahren als Kunden gewinnen konnten, dann würde ich sagen, das Durchschnittsalter liegt eher zwischen 40 und 45 Jahren. Es handelt sich dabei um Unternehmer, so genannte Global Citizens, die viel unterwegs sind und ihr Geld selber verdient haben, es also nicht bloss geerbt haben.

Was können Sie solchen Leuten offerieren?

Ich habe den Eindruck, dass viele Bankkunden irgendwie die Nase voll haben, dauernd dazu gedrängt werden, neue Finanzprodukte zu kaufen und irgendwelche Strukturierte Produkte zu studieren. Sie wollen vielmehr eine vertrauenswürdige Person, die ihnen eine gute Beratung garantiert – und dies ohne irgendwelche Interessenkonflikte.

«Unsere Investmentbank hilft uns, an neue Kunden zu gelangen»

Die Leute, die zu uns kommen, schätzen unseren Namen, unsere Marke, die Reputation, unsere Stabilität, die Unabhängigkeit und unsere Beratung, die frei jeglicher Interessenkonflikte ist. Heutzutage ist es tatsächlich schwierig, derlei zu finden. Unter diesen Vorzeichen sind wir für die neue Generation ziemlich attraktiv.

Wie gehen Sie konkret vor, um Kunden zu finden?

Rothschild & Co ist mit seiner Investmentbank eine in Europa führende Adresse bei der Beratung von Firmenfusionen und -übernahmen. Dies hilft uns, an neue, potenzielle Kunden zu gelangen. Gleichzeitig sind wir mit der Private-Equity-Branche sehr vertraut, wir kennen folglich viele (nichtkotierte) Firmen, die zum Kauf oder Verkauf stehen. Das schafft weitere Kontakte.

In der Schweiz sponsern wir die Venturelab-Events mit den besten Startups, die in der Regel von der ETH Zürich und der EPFL in Lausanne stammen. Für uns ist das eine ideale Kombination, um an Unternehmen zu gelangen und gleichzeitig zu wissen, was in Sachen neue Technologien so alles läuft.

Doch wie gelingt es Ihnen, über die Investmentbank Ihr Angebot für die Vermögensverwaltung ins Spiel zu bringen?

Als Finanzgruppe kann Rothschild beispielsweise selber in private Unternehmen investieren, und wenn der Unternehmer einige Jahre später seine Firma verkauft, ist er eher bereit, auch sein privates Vermögen bei uns zu haben, da wir ihn beim Aufbau seiner Gesellschaft unterstützt haben.

«Wir haben Zugang zu verschiedenen Kapitalmarkttransaktionen»

Ebenso wichtig sind unsere Ressourcen im Bereich der Vermögensplanung für Unternehmer und deren Familien. Das ist insofern von Belang, als eine Familie, wie erwähnt, global orientiert ist, und in verschiedenen Jurisdiktionen Vermögen hat, die Mitglieder möglicherweise verschiedene Nationalität haben, oder wenn sie heiraten, Kinder kriegen oder sich scheiden lassen. In diesem Kontext ist Vermögensplanung enorm wichtig.

Können Sie Ihren Investmentansatz genauer erklären?

Zum einen investiert die Bank wie erwähnt selber in gewisse Firmen, zum andern haben wir über unsere Merchant-Banking-Aktivitäten Zugang zu verschiedenen Kapitalmarkttransaktionen und Private-Equity-Investments, auf die wir unsere Kunden bei Interesse aufmerksam machen.

Das ist sicherlich interessanter, als wenn wir zu unseren Kunden gehen und sagen: ‹Hallo, wir suchen Geld für ein Investment, wir nehmen schon mal eine Provision von fünf Prozent, interessiert Sie das?›

Mit welchen Beträgen steigen Sie bei einer Firma ein?

Mit 10 bis 15 Millionen Franken.

Wie beurteilen Sie als Schweizer Bank die Zukunftschancen des hiesigen Finanzplatzes?

Grundsätzlich bin ich zuversichtlich, was das Swiss Private Banking angeht. Aber gleichzeitig denke ich, dass die Bankangestellten viel zu lange viel zu komfortabel gelebt haben. Umso mehr müssen sie sich nun überlegen, welchen Mehrwert sie ihren Kunden bieten können, zumal das Bankgeheimnis als ihr wichtigstes Argument mehr oder weniger verschwunden ist.

Vor diesem Hintergrund müssen sich Privatbanken künftig mehr auf ihre Performance, auf ihre Servicebereitschaft besinnen und sich überlegen, welches ihre Stärken sind.

Keine Bank kann heute noch allen erdenklichen Kunden alles anbieten. Rothschild beispielsweise konzentriert sich auf Kunden mit einem Vermögen von ungefähr fünf Millionen Franken und mehr, und dies auch nur in einigen spezifischen Märkten.

«Die Bankangestellten werden in Zukunft härter arbeiten müssen»

Als Land verfügen wir sicherlich über sehr gute Banken, gut ausgebildete Bankmitarbeiter, Leute, die mehrsprachig sind. Wir haben ebenfalls eine gute und fortschrittliche Informatik-Infrastruktur, stabile politische Verhältnisse und ein einzigartiges Para-Banking-Netzwerk an kompetenten Anwälten, Treuhändern und Steuerberatern – ich denke, das lässt sich anderswo nicht so leicht replizieren.

Doch obschon die Attraktivität der Schweiz sehr gross ist, werden die Leute härter arbeiten müssen und einen Mehrwert zu einem tieferen Preis als in der Vergangenheit bieten.

Nach wie vor fliessen bei vielen Schweizer Banken grosse Mengen an Geldern aufgrund der Steuerregularisierung in Europa ab. Wann denken Sie, wird dies stoppen?

Bei uns hat dies bereits gestoppt. Das hängt damit zusammen, dass wir im Gegensatz zu anderen Banken viel früher begonnen haben, unsere Klientel zu durchleuchten – damit starteten wir bereits 2009. Teilweise brauchte es einiges an Überzeugungskraft, dass die Kunden sich bewusst wurden, dass sich die Welt ändert. Zudem denke ich, dass die neue Generation eine wichtige Rolle spielte.

Inwiefern?

Viele Kunden zwischen 55 und 60 waren nicht gewillt, irgendwelche Steuerprobleme zu erben. Darum haben sie ihre Eltern dazu gebracht, die Steuersituation in Ordnung zu bringen. In manchen Fällen war das ein sehr langwieriger Prozess.

Gab es manche Nationalitäten, die bei der Regularisierung ihrer Vermögen weniger einsichtig waren als andere?

Der Automatische Informationsaustausch (AIA) tritt überall in etwa zur gleichen Zeit in Kraft. Insofern haben die Kunden gar keine andere Wahl. Aber es ist schon so, dass sich Vermögende aus politisch instabilen Ländern zu Recht Sorgen machen, ob die Daten, welche die Schweiz ins Ausland liefert, möglicherweise in falsche Hände gelangen.

Wie steht es um Kunden, die in der Schweiz wohnhaft sind? Da herrscht doch ein extremer Verdrängungswettbewerb unter den Banken.

Ja, das stimmt. Trotzdem ist unser «Schweizer Kundenbuch» überdurchschnittlich hoch und macht rund 40 Prozent aller Vermögen aus, die wir von der Schweiz aus betreuen.

Wie viel Geld betreuen Sie denn hierzulande?

Insgesamt etwa 26 Milliarden Franken, darin inbegriffen sind auch so genannte Custody-Assets, also Gelder, die wir auf Auftragsbasis verwahren.

Wie kann eine Bank wie Rothschild hierzulande noch wachsen angesichts des Wettbewerbs und der Tatsache, dass die wirklich grossen Vermögen heutzutage weit weg von der Schweiz entstehen?

Indem wir wie erwähnt unser Augenmerk auf Unternehmer richten, weil dort doch noch eine signifikante Wohlstandsvermehrung stattfindet.

Hinter den Unternehmen sind doch alle Banken her.

Richtig. Aber der Unterschied zur Konkurrenz liegt auch darin, dass bei uns ein Berater weniger als 30 Kunden betreut, während dies bei anderen Banken bis zu 300 sind. Insofern haben wir zehnmal mehr Zeit für jeden Kunden. Das schätzt ein Unternehmer.


Der 40-jährige Laurent Gagnebin stiess im Herbst 2011 zur Rothschild Wealth Management Equitas, dem Genfer Standbein der Zürcher Rothschild Bank. Zuvor leitete er die Investec Bank in der Rhonestadt. Ins Banking gelangte er über die Goldman Sachs Bank in Genf, nachdem er zuvor die École hôtelière de Lausanne absolviert und mehrere Jahre in der Hotelbranche gearbeitet hatte. Seit Mitte 2016 führt er als Nachfolger von Veit de Maddalena die Rothschild Bank in der Schweiz.

Laurent Gagnebin ist der Sohn von George Gagnebin, einem in der Branche bekannten Bankier, der in den späten 1990er-Jahren zum Top-Management der damals fusionierten UBS gehörte und heute als Verwaltungsratspräsident der Genfer Banque Pâris Bertrand Sturdza amtet.

  • Der zweite Teil des Interviews mit Laurent Gagnebin erscheint in den nächsten Tagen.
War die Übernahme der Credit Suisse durch die UBS rückblickend gesehen die beste Lösung?
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