Nach der letzten Generalversammlung dürften der Credit Suisse mehrere Klagen ins Haus stehen. Aber auch die Finanzmarktaufsicht muss sich Versäumnisse vorwerfen lassen, erklärt Wirtschaftsjurist Peter V. Kunz im Interview mit finews.ch.


Herr Kunz, wie sehen Sie die Chancen auf vorsätzliche oder fahrlässige Pflichtverletzung durch derzeitige und frühere Führungskräfte der CS, insbesondere in den Jahren 2020 und 2022, für welche keine Entlastung der Geschäftstätigkeit erfolgte?

In der jüngsten Vergangenheit ist die Credit Suisse als Opfer zu sehen. Wegen des Kurssturzes in den letzten Wochen kann man der Bankführung deshalb keinen Vorwurf machen.

Hingegen könnten die verschiedenen internen und externen Skandale der vergangenen fünf Jahre – die Stichworte sind Spygate, Mosambik, Archegos und Greensill - durchaus kausal der Bankführung angelastet werden. Dabei reicht für eine Anklage bereits Fahrlässigkeit aus, nicht erst Pflichtwidrigkeit. Es genügt also, wenn die Verantwortlichen zu wenig hingeschaut oder nicht interveniert haben.

Ist der ehemalige Verwaltungsratspräsident Urs Rohner beim Blick auf die letzten Jahre am meisten exponiert?

Urs Rohner musss sicher die Hauptlast des Debakels tragen. Er ist als Verwaltungsratsrpäsident hauptsächlich verantwortlich dafür, dass das Schiff durch stürmische Zeiten kommt.

Eine grosse Verantwortung trägt gleichzeitig Severin Schwan. Bei ihm ist zu fragen, ob er neben seiner starken Beanspruchung als CEO beim Pharmaunternehmen Roche die nötige Zeit hatte, um allen Aufgaben als Lead Independent Director und Vizepräsident der CS gerecht zu werden.

«Nicht überrascht wäre ich, wenn kapitalkräftige Grossaktionäre aus der Golfregion klagen»

Ins Visier genommen werden könnte aber auch die langjährige Verwaltungsrätin Iris Bohnet. Die geringste Schuld am Niedergang der CS trägt hingegen Axel Lehmann, der für den Konzernumbau am Schluss geholt wurde.

Mit Richard Meddings, Seraina Macia, Ana Paula Pessoa, Blythe Masters und Shan Li sind fünf Personen nicht mehr zur Wiederwahl in den Verwaltungsrat angetreten. Wieweit können diese Personen noch belangt werden?

Für das Klagerisiko spielt es keine Rolle, ob jemand zurücktritt oder sich nicht mehr zur Wahl stellt. Massgeblich ist einzig, wer wie lange im Gremium dabei war. Mit einem Austritt allein kann man sich also nicht vor einer Klage schützen.

Welche Seite wird am ehesten klagen?

Für mich ist klar, dass die heute an der GV aufgetretenen erbosten Kleinaktionäre nicht klagen. Die Struktur in der Schweiz ist nämlich völlig ungeeignet für Aktionärsklagen.

Zum einen geht die Entschädigung bei einem Schuldspruch an die Gesellschaft, nicht an die klagenden Aktionäre. Zum andern sind die Klagehürden in der Schweiz wegen möglicher Verfahrenskosten enorm hoch.

«Eine Abspaltung des Schweizer Bereichs liegt im Moment vollständig in der Hand der UBS»

Nicht überrascht wäre ich hingegen, wenn kapitalkräftige Grossaktionäre aus der Golfregion klagen, denen ein enormer Schaden entstanden ist. Ebenfalls wahrscheinlich ist für mich, dass die Besitzer der nachrangigen AT1-Anleihen es sich nicht gefallen lassen, dass 16 Milliarden Franken auf einen Schlag abgeschrieben worden sind, selbst wenn die Verträge solche Eingriffe nicht ausgeschlossen haben.

Ethos fordert die Schweizer Behörden und die UBS auf, eine mögliche Abspaltung und Kotierung der Schweizer Einheit der Credit Suisse nach der Fusion zu prüfen. Wie realistisch ist das?

Eine solche Forderung kann man jetzt zwar aufstellen. Vor dem Durchwinken der Übernahme hat die Politik allerdings nichts zu sagen. Die Behörden wiederum haben die Fusion ihrerseits bereits bewilligt. Eine Abspaltung oder ein Börsengang des Schweizer Bereichs liegt demnach im Moment vollständig in der Hand der UBS.

Zudem könnten zu laute Forderungen aus der Politik die UBS irritieren. Sie könnte dann die Risiken des Deals neu beurteilen und im äussersten Fall vom Fusionsvertrag zurücktreten.

Ändert sich die Lage, nachdem die Fusion abgeschlossen ist?

Ja. Nach vollzogener Fusion ist es juristisch möglich und nicht unwahrscheinlich, dass sich die Wettbewerbskommission (Weko) einschaltet. Sie könnte zwischen diesem Herbst und nächstem Frühling feststellen, dass der Wettbewerb etwa im Firmenkundengeschäft in der Schweiz nicht richtig spielt.

«Der Rechtsstaat Schweiz gehört zu den grossen Verlierern»

Bei einem solchen Marktmissbrauch hat die Weko scharfe Sanktionsmöglichkeiten, die von einer empfindlichen Busse an die Adresse der UBS bis zur Abspaltung ganzer Bereiche der neuen Bank reichen.

Wie stossend ist für Sie, dass die Rechte der Aktionäre übergangen werden?

Die Ausbootung der Aktionäre mittels Notrecht ist äusserst problematisch. Damit gehört der Rechtsstaat Schweiz bei dieser Bankrettung zu den grossen Verlierern. Ob Notrecht zurecht angewendet worden ist, muss wirklich noch akribisch vor allem durch die Politik aufgearbeitet werden. Deshalb befürworte ich die Einsetzung einer parlamentarischen Untersuchungskommission (PUK).

Damit Notrecht angewendet werden darf, muss zunächst ein echter Notfall vorliegen und es darf wirklich keine anderen Alternative geben. Dann darf das Notrecht in Bezug auf die Transaktion nicht zu weit gehen. Umstritten bei der Notrettung ist, dass das Austauschverhältnis für die Aktionäre und ein Dividendenverbot diktiert worden sind sowie die Generalversammlung ausgehebelt worden ist.

Wie beurteilen Sie die Rolle der Finanzmarktaufsicht (Finma) bei dieser Notrettung?

Im Moment ist nicht ganz klar, ob sich die Finma zu spät eingeschaltet hat. Sicher ist hingegen, dass die Finma mit der vollständigen Abschreibung der AT1-Anleihen extrem stark eingegriffen hat. Zudem hat sie die Wettbewerbskommission (Weko) mit einem Federstrich ausgeschaltet, die diesen Deal so nie akzeptiert hätte.

«Die Finma hat den Deal versüsst und das Kartellrecht ausgeschaltet»

Die Finma hat also den Deal versüsst und das Kartellrecht ausgeschaltet. Das muss aufgearbeitet werden.

Muss die Aufbearbeitung auch klären, ob die Finma künftig verschärfte Instrumente für die Bankenaufsicht erhält?

In meinem Urteil hat die Politik die Finma seit Jahren schwach gehalten. Die Finma kann quasi nicht beissen, weil sie kein Gebiss hat. Seit 2008 habe ich eine Bussenkompetenz gefordert, wie sie bei ausländischen Finanzaufsichten völlig normal ist.

Notwendig wäre zudem mehr Transparenz bei den verschiedenen Enforcement-Verfahren. Die beaufsichtigen Banken müssen gegenwärtig nicht mit öffentlichem Druck rechnen. Insofern gleicht die Finma einer kleinen Dunkelkammer, in die man etwas mehr Licht hineinbringen sollte.

Diskutieren sollte man zudem sogenannte Senior Management Regimes, wie sie in Grossbritannien seit 2016 bekannt sind. Damit könnten Verantwortlichkeiten besser zugeordnet werden, sofern sie bürokratieschonend umgesetzt werden.

Völlig falsch wäre hingegen, wenn die Finma dem Finanzdepartement angegliedert würde. Damit käme die Aufsicht unter die Fuchtel der Politik. Die Finma muss stattdessen wie die Schweizerische Nationalbank weiterhin unabhängig bleiben, damit sie auf politische Befindlichkeiten keine Rücksicht nehmen muss.


Peter V. Kunz ist Ordinarius für Wirtschaftsrecht und für Rechtsvergleichung an der Universität Bern und dort geschäftsführender Direktor des Instituts für Wirtschaftsrecht.

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