Der amerikanische Finanzdienstleister Vanguard hat sich seit seinem Zuzug in die Schweiz an die lokalen Verhältnisse angepasst. Jetzt ist aber die Zeit reif, den Finanzplatz ein Stück weit aus eigener Kraft zu entwickeln, postuliert Länderchef Roger Bootz im Interview mit finews.ch.


Herr Bootz, Vanguard ist jetzt seit 15 Jahren in der Schweiz. Gibt es aus diesem Anlass besondere Jubiläumsaktivitäten?

Wir können eigentlich gleich dreifach feiern. Denn neben der 15-jährigen Präsenz in der Schweiz werden seit 10 Jahren Vanguard-ETF an der Schweizer Börse gehandelt. Zudem sind wir seit 25 Jahren im europäischen Markt aktiv, mit der wichtigsten Niederlassung in London und weiteren Standorten wie Zürich, wo wir inzwischen 11 Personen sind.

Weshalb war die Schweiz auf der Europa-Karte von Vanguard nicht der erste Standort?

Das hat mit den Verhältnissen am hiesigen Finanzplatz zu tun. Wir sprechen natürlich schon mehr als 15 Jahre mit Kunden in der Schweiz. Dabei konzentrierten wir uns eher auf indexierte Mandate für Pensionskassen und andere institutionelle Investoren. Seit 2019 wollen wir aber auch in der Schweiz möglichst nahe beim Endkunden sein, wofür unsere Präsenz in Zürich sehr hilfreich ist.

Der Schweizer Finanzplatz ist aber sehr bankenlastig.

Das ist richtig. Wegen dieser Marktstruktur pflegen wir auch das klassische Wholesale-Geschäft. Wir wollen also den Endkunden primär über Banken, Versicherungen und Vermögensverwalter erreichen.

Welcher Anteil entfällt in der Schweiz noch auf das institutionelle Geschäft?

Die institutionelle Kundschaft macht noch etwa 20 Prozent aus. Die restlichen 80 Prozent gehören zum Wholesale-Geschäft, das künftig in der Schweiz weiter zunehmen könnte.

Damit hat sich die Kundschaft in den 15 Jahren mit Schweizer Präsenz deutlich verändert. Hat Vanguard den Schweizer Markt falsch eingeschätzt?

Man hat sich ursprünglich entschlossen, über das institutionelle Geschäft einen Fuss in den Schweizer Markt zu setzen. Vanguard ist aber sowohl im Heimmarkt USA als auch in Europa eher auf eine Retail-Kundschaft ausgerichtet. Diese Verhältnisse spiegeln sich jetzt auch in der Schweiz wider.

Wie ist das Schweizer Büro in das Vanguard-Netzwerk eingebunden?

Wir haben Europa in die Regionen Südeuropa, Nordeuropa und Vereinigtes Königreich aufgeteilt. Die Schweiz gehört mit Spanien und Italien zum Süden.

«Wir knüpfen an einem Erbe an, das sich über Jahrzehnte bewährt hat»

Zu London, aber auch den USA, haben wir gute Drähte, weil wir von dort verschiedene Dienstleistungen beziehen und stets in engem Austausch stehen.

Welche Entwicklungen beschäftigt das Schweizer Büro in der nächsten Zeit?

Wir wollen vor allem den Investment-Ansatz von Vanguard breiter bekannt machen, der auf vier Säulen steht: Realistische Ziele, ausgewogene Investitionen, Kostenkontrolle, langfristiger Anlagehorizont.

Das sind alles plausible und vernünftige Prinzipien, die aber nicht nur bei Vanguard praktiziert werden. Was ist daran innovativ?

John C. Bogle formulierte diese Grundsätze vor fast 50 Jahren, als er Vanguard gründete. Damals waren diese Verhaltensregeln durchaus neu. Heute knüpfen wir an diesem Erbe an, das sich über Jahrzehnte bewährt hat.

In dieser Tradition wollen wir mit unserem Angebot Anlagemärkte möglichst breit und kostengünstig abdecken. Ich habe den Eindruck, dass hierzu in der Schweiz noch eine Lücke besteht.

Warum sind denn die Anlagegrundsätze, wie sie Vanguard, propagiert, in der Schweiz nicht so stark verankert?

Die Banken verdienen ihr Geld im Anlagegeschäft mit einem Execution-only-Geschäft, mit Gebühren aus Anlagevorschlägen (Advisory) oder dem diskretionären Mandatsgeschäft. Der Vanguard-Ansatz kommt nicht in allen drei Geschäftsmodellen gleich zum Tragen.

Wie kann sich Vanguard bei diesen Marktstrukturen in der Schweiz noch besser entfalten?

Wir können bei den indexorientierten Anlagen zweifellos noch zulegen. Zum einen ist die ETF-Industrie in den vergangenen zehn Jahren in Europa um jährlich 14,4 Prozent gewachsen.

«Da ist noch viel Luft nach oben»

Zum andern liegt der ETF-Marktanteil von Vanguard bei den verwalteten Vermögen bei rund 6 Prozent in Europa, gegenüber 22 Prozent in den USA. Da ist noch viel Luft nach oben.

Wird diese Dynamik anhalten?

Zweifellos. Das weltweite ETF-Wachstum lag in den vergangenen zehn Jahren bei 16,9 Prozent. Seit Jahresbeginn sind etwa 200 Milliarden Dollar zum weltweiten Bestand von 9740 Milliarden Dollar an ETF-Vermögen hinzugekommen.

Vom Trend zum indexorientierten Anlegen profitiert Vanguard sehr stark, weil rund 80 Prozent der bei Vanguard verwalteten Vermögen in Indexprodukte angelegt, die restlichen 20 Prozent in aktive Produkte.

Angesichts eines turbulenten Börsenumfelds wäre doch eigentlich zu erwarten, dass die aktiven Manager, die Marktrisiken umschiffen wollen, mehr Zulauf finden.

Je effizienter die Anlagemärkte sind, desto geringer sind die Chancen für aktive Manager. Insofern ist der Anlagestil immer vom Zustand der Märkte abhängig. Es gibt also keine einfache Antwort.

Die letzten Monate haben den Schweizer Finanzplatz erschüttert. Wie stark hat die Reputation darunter gelitten?

Aus internationaler Vanguard-Sicht hat sich nichts geändert. Die Schweiz bleibt in Europa weiterhin ein Kernmarkt.

«Es werden in der Schweiz Kundengelder von einem Institut zum anderen transferiert»

Als Akteur mit eigenem Büro in der Schweiz muss der Niedergang der Credit Suisse aber doch zu zahlreichen Diskussionen führen.

Wir stellen fest, dass in der Schweiz Kundengelder von einem Institut zum anderen transferiert werden. Dadurch steigt bei uns im täglichen Geschäft die Nachfrage von Banken, Asset Managern und unabhängigen Vermögensverwaltern nach Index-Anlagen.

Wie plausibel ist es, dass internationale Akteure die Lücke füllen wollen, wenn die Credit Suisse am Schweizer Finanzplatz verschwinden sollte oder stark redimensioniert wird?

Darüber kann ich nicht spekulieren, zumal noch sehr vieles in der Schwebe ist. Sicher ist, dass wir uns als Asset Manager auf die neue Situation einstellen und unsere Produktepalette auch an etwaige neue Wettbewerber am Bankenplatz vertreiben werden. Ebenfalls noch nicht absehbar ist, ob sich im Asset Management regulatorisch in der Schweiz etwas ändert.

Sie sind nach acht Jahren in Deutschland anfangs Januar 2023 wieder in die Schweiz gekommen. Was gab den Ausschlag für diese Rückkehr?

Nachdem mir nach einer langen Zeit in Deutschland die Leitung von Vanguard in der Schweiz angeboten worden ist, bin ich mit einem lachenden und einem weinenden Auge in die Schweizer Heimat zurückgekehrt.

Wie nehmen Sie den Schweizer Finanzplatz jetzt wahr?

Ich habe den Eindruck, dass sich der Schweizer Finanzplatz in den vergangenen Jahren nicht merklich verändert hat. In gewissen Bereichen ist Deutschland der Schweiz allerdings deutlich voraus.

Wo genau?

Das Angebot an execution-only-Dienstleistungen, die ohne eigentliche Bankberatung bei Discount-Brokern gehandelt werden können, ist massiv grösser.

«Ich vermisse einfache, kostengünstige und regelmässige Sparvehikel»

Derzeit haben eigenständig entscheidende Anleger in Deutschland rund 93 Milliarden Euro in sogenannte ETF-Sparpläne investiert. Solche einfache, kostengünstige und regelmässige Sparvehikel vermisse ich in der Schweiz.

Wie könnte sich das in der Schweiz ändern?

Immerhin ist die Schweiz keine Wüste, werden doch gemäss McKinsey etwa 30 Prozent des investierten Vermögens in der Schweiz passiv angelegt. Für die weitere Verbreitung von ETF-Sparplänen müssen aber die Privatkunden noch viel mehr direkt eingebunden werden.

Und wo ist Vanguard in der Schweiz selber aktiv?

Wir stehen als Produktlieferant im Gespräch mit verschiedenen Banken, damit ETF-Sparpläne bei ihnen auch auf den Tisch kommen. Ausserdem wollen wir unsere eingängigen Investment-Grundsätze noch besser unter die Leute bringen.

Machen Sie doch ein Beispiel.

Einfach verständlich ist etwa der Ratschlag von Vanguard-Gründer Bogle, bei Finanzanlagen nicht die sprichwörtliche Nadel im Heuhaufen zu suchen, sondern den ganzen Heuhaufen zu kaufen.

Mit anderen Worten: Es geht um einfaches, aber «langweiliges» Investieren.

Das kann man so nennen, wenn man noch mit dem Adjektiv kostengünstig ergänzt. Wir konzentrieren uns darauf, die richtigen Bausteine für erfolgreiches Anlegen zu bilden.

Kommen dabei auch neue Bausteine hinzu?

Wir verzichten bewusst auf Anlagen zum Beispiel in Kryptowährungen. Hingegen decken wir inzwischen auch ESG-Anlagen ab.

«Investoren können die Regeln der Nachhaltigkeit nicht klar definieren»

Dabei bilden wir mittels Ausschlussprinzip möglichst breite Fonds oder ETF, die als Kernbaustein für das Portfolio des Kunden eingesetzt werden können.

Vanguard verzichtet bei der Nachhaltigkeit also darauf, aktiv auf die Unternehmen einzuwirken?

Investoren sind nicht geeignet dafür, die Regeln der Nachhaltigkeit klar zu definieren. Das ist eine Aufgabe des Regulators. Wir proklamieren aber, dass die Unternehmen ihre ESG-Risiken selbst offenlegen.

Muss sich Vanguard als einer der grössten passiven Investoren im Zusammenhang mit ESG-Anlagen nicht auch die Frage stellen, wie er als Aktionär von Unternehmen die Stimmrechte wahrnimmt?

Wir fordern von den Unternehmen Rechenschaft darüber, ob sie sich auf mögliche Disruptionen in ihrem Geschäftsmodell vorbereiten. Was wir wollen, sind selbstbewusste Geschäftsleitungen, denn Umbrüche kommen auf jedes Unternehmen zu, irgendwann.


Roger Bootz ist Leiter der Geschäftsentwicklung für die Schweiz und Liechtenstein sowie der Länderchef Schweiz von Vanguard. Vor seinem Wechsel zum amerikanischen Finanzinstitut war er acht Jahre lang in verschiedenen Positionen bei der DWS tätig, zuletzt als Head of Sales Advisory EMEA ex Germany. Davor hatte er leitende Funktionen bei der UBS, Société Générale und Stoxx inne.

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