Nach dem Big Bang in der EU gerät der Schweizer Finanzplatz zunehmend unter Druck, im Umgang mit nachhaltigem Anlegen weitere Pflöcke einzuschlagen. Die internationale Verflechtung verbietet einen Alleingang.

Mit der Eröffnung der Uno-Klimakonferenz COP 27 im ägyptischen Scharm el Scheich am (gestrigen) Montag rückt der Umbau der Wirtschaft einmal mehr ins internationale Rampenlicht. Mit weniger Wirbel verbunden, aber mindestens so wichtig für die Investorenschaft ist indessen ein anderer Paukenschlag: Finanzberater in der EU sind seit diesem August verpflichtet, die Nachhaltigkeits-Präferenzen ihrer privaten und institutionellen Kunden abzufragen.

Dieses Gebot ist ein Ausdruck der politisch angestrebten EU-Klimaagenda, mit der sich die Gemeinschaft zu einer klimaschonenden Wirtschaft und zur Dekarbonisierung bekennt.

Der Verpflichtung liegt im Finanzbereich die Sustainable Finance Disclosure Regulation (SFDR) der EU zugrunde. Die neue Vorschrift soll die Transparenz darüber erhöhen, wie Finanzinstitute Nachhaltigkeitsrisiken und -chancen in ihre Investmententscheidungen und -empfehlungen integrieren. Über die EU-Taxonomie, die einige ökologische, soziale und Governance Kriterien (ESG) aufnimmt, die Principal Adverse Impact (PAI) Ausschlüsse sowie die SFDR Kategorisierung können die Kunden ihre Nachhaltigkeits-Präferenzen definieren.

Verschiedene Grüntöne

Dabei werden Finanzprodukte gemäss SFDR in drei Kategorien unterteilt. Es werden vereinfacht nur potenzielle ESG-Risiken betrachtet (Artikel 6), ESG-Eigenschaften gefördert (Artikel 8) oder messbare ESG-Ziele festlegt (Artikel 9). Im Bankenjargon spricht man bei den gemäss Artikel 8 und 9 zugeteilten Fonds von «hellgrünen» beziehungsweise «dunkelgrünen» Fonds.

Die Branche hat sich schwergetan, sich an das ESG-Regelwerk anzupassen. Zum einen liegt der Fokus derzeit einseitig auf dem E (für Environmental), während die Komponenten S (für Social) und G (für Governance) noch beseite geschoben wurden. Zum andern wurde das Regelwerk in den fast eineinhalb Jahren seines Bestehens ständig angepasst.

Die Zeit drängt

Trotz dieser Anlaufprobleme machen ESG-Fonds nach Schätzungen der Rating-Agentur Morningstar inzwischen etwa die Hälfte des gesamten in der EU domizilierten Fondsvermögens aus, was rund 3,8 Billionen Dollar entspricht. Ausserdem warf die Regulierung ihre Schatten voraus, als im zweiten Quartal 2022, also noch vor Einführung der obligatorischen Kundenbefragungen, weit über 600 Fonds von Vermögensverwaltern von Artikel 6 auf Artikel 8 hochgestuft wurden.

Dass das Interesse an ESG-Anlageprodukten in Europa wächst, ist auch der Schweiz nicht verborgen geblieben. Doch gemäss Christian Katz, CEO des Schweizer Finanzdiensleisters Helveteq, ist der Schweizer Finanzplatz, der mehr auf Selbstregulierung setzt als die EU, im Hintertreffen. Helveteq hat deshalb die Zügel selber in die Hand genommen und als erste Schweizer Verbriefungsplattform ESG-Anlageprodukte herausgegeben, die an der Börse gehandelt werden können.

Anlehnung an die EU

Katz weist darauf hin, dass eine zaudernde Schweiz dereinst feststellen könnte, dass man den Zug verpasst habe. Der Schweizer Finanzplatz sei international zu stark verflochten, um die Regulierungs-Tendenzen im Ausland zu ignorieren.

Christian Katz1

Christian Katz, CEO von Helveteq (Bild: Helveteq)

Nach dem Big Bang in der EU vom August könnten zudem Finanzdienstleister in der Schweiz EU-Bürger ohnehin praktisch nur noch EU-konform bedienen. Deshalb liegt es für Katz auf der Hand, dass die Schweiz rasch eine pragmatische ESG-Umsetzung anpeilt, die sich an den Regeln der EU anlehnt. Dabei sollten nicht nur Fonds, sondern möglichst viele weitere Anlageprodukte wie etwa Exchange Traded Products (ETP) berücksichtigt werden.

In den Köpfen der Institutionellen

Immerhin ist der Sinneswandel auf Anbieterseite im Gang. So sind hierzulande gemäss einer Umfrage der Vereinigung Schweizerischer Assetmanagement- und Vermögensverwaltungsbanken (VAV)über die Hälfte der Asset Manager entschlossen, künftig mehr nachhaltige, «hellgrüne» oder «dunkelgrüne» Anlageprodukte anzubieten. Ausserdem wächst nach Ansicht von Katz die Einsicht, bei der Umstellung auf eine klimaschonende Wirtschaft vorwärtszumachen, nachdem viele Banken ambitiöse internationale Uno-Klimaziele unterschrieben haben.

Auch auf der Nachfragerseite ist nachhaltiges Investieren vor allem in den Köpfen der professionellen Investoren angekommen. Gemäss der neusten Schroders Global Investor Study, für die mehr als 23'000 Anlageexperten aus 33 Standorten weltweit befragt wurden, glauben 80 Prozent in der Schweiz, dass nachhaltige Investitionen der Schlüssel zur Erzielung langfristiger Renditen sind. Allerdings stellt auch für 84 Prozent der Befragten in der Schweiz Greenwashing ein Problem dar.

Selbstregulierer machen vorwärts

Dass es vorwärts geht, zeigt sich auch bei einem Blick auf das regulatorische Umfeld. Mit einer neuen Richtlinie die am 1. Januar 2023 in Kraft tritt, hat die Schweizerischen Bankiervereinigung (SBVg) im Rahmen der Selbstregulierung eine wichtige Lücke im Vergleich zur EU geschlossen. Anders als bei der EU sind die Vorgaben wesentlich pragmatischer, wie auch finews.ch berichtete. So werden die Bankkunden in einem geführten Gespräch an das Thema herangeführt und die ESG-Präferenzen bewertet. Zudem müssen die ESG-Präferenzen nach einem einheitlichen Klassifizierungssystem auf die Produkte und Anlagestrategien übertragen werden.

Auch beim Branchenverband Asset Management Association Switzerland (AMAS) gilt seit Anfang Oktober eine Selbstregulierung, die als komplementär zur Richtlinie des SBVg verstanden wird. Nicht als Selbstregulierung per se funktioniert derweil der «Progress Report» zur Nachhaltigen Finanz, hinter dem 23 Schweizer und Liechtensteiner Privat- und Vermögensverwaltungsbanken stehen.

Gespanntes Warten auf die Aufsicht

Mit diesen Initiativen versucht die Branche, einer Regulierung durch die Behörden zuvorzukommen. Die Spannung steigt indessen, weil sich das zuständige Staatssekretariat für internationale Finanzfragen (SIF) bis Ende Jahr vor allem zum Greenwashing im Finanzsektor äussern will.

Trotz teilweise grosser Kritik an schwammigen ESG-Konzepten oder grünen Deckmänteln: Der ESG-Trend nimmt international Fahrt auf und die Schweiz als stark verflochtener Finanzplatz kann nicht abseits stehen, ist Katz überzeugt. Angesichts von Corona-Pandemie und Ukraine-Krieg kann die ESG-Debatte zudem für Finanzdienstleister wie Anleger ein Katalysator sein, um unter anderem die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern und Länderrisiken besser einzuschätzen – und künftig eher zu vermeiden.

War die Übernahme der Credit Suisse durch die UBS rückblickend gesehen die beste Lösung?
War die Übernahme der Credit Suisse durch die UBS rückblickend gesehen die beste Lösung?
  • Ja, es gab keine andere, wirtschaftlich sinnvolle Alternative.
    26.51%
  • Nein, man hätte die Credit Suisse abwickeln sollen.
    18.87%
  • Nein, der Bund hätte die Credit Suisse übernehmen sollen.
    28.03%
  • Man hätte auch ausländische Banken als Käufer zulassen sollen.
    8.97%
  • Man hätte eine Lösung mit Schweizer Investoren suchen sollen.
    17.62%
pixel