Fintechs weltweit werden einen enormen Wachstumsschub erfahren, prognostiziert Henk Grootveld von Lombard Odier im Interview mit finews.ch. Im Schweizer Sektor findet er die Tokenisierungswelle vielversprechend.


Herr Grootveld, welche Entwicklungen hat die Corona-Pandemie im Fintech-Sektor beschleunigt?

Drei Dinge. Erstens sehen wir, dass der Übergang zu einer bargeldlosen Gesellschaft viel schneller voranschreitet, da der elektronische Handel aufgrund der Lockdowns boomt. Zur Veranschaulichung: Die Bargeldabhebungen an Geldautomaten in Grossbritannien sind im März um mehr als 60 Prozent zurückgegangen. Zweitens gehen mit der Schliessung von Bankfilialen auch andere Finanzdienstleistungen wie Hypothekenberatung, Kreditvergabe und Vermögensverwaltung rasch online. In Deutschland zum Beispiel wurden im März aufgrund der Sperrung an nur einem Tag 2,5 Millionen Online-Bankkonten eröffnet.

Und, was noch?

Die dritte Auswirkung der Corona-Pandemie ist die verstärkte Nutzung von Fintech-Dienstleistungen durch die Regierungen. Zum ersten Mal überhaupt nutzte die US-Bundesregierung im April die Dienste von Intuit, PayPal und Square, um die Krisensteuerrückerstattung an Haushalte und Unternehmen zu verteilen.

Bargeldloses Bezahlen: Ist das die Chance für das Facebook-Projekt Libra, doch eine Bewilligung zu erhalten?

Wir glauben fest an den Aufstieg digitaler Zahlungen. Die Unternehmen, die wir im Portfolio haben, profitieren von digitalen Zahlungen durch ihre operative Hebelwirkung. Wir halten jedoch keine Positionen in Kryptowährungen, und wir glauben auch nicht, dass Zahlungsmittel wie die Libra langfristig überleben werden.

«Dem Finanzsektor steht ein viel stärkerer Wandel bevor»

Denn wir glauben, dass regulierte Einheiten in Form von (Zentral-)Banken ein zugelassenes Blockchain-Netzwerk schaffen werden, das Kryptowährungen erleichtern wird, die auf den bestehenden Korb globaler Währungen abgestimmt sind.

Derzeitige Finanzierungsrunden zeigen, dass sich im Fintech-Sektor nun die Spreu vom Weizen trennt. Ist das der richtige Zeitpunkt, einen Fintech-Fonds zu lancieren?

Wir investieren bereits seit fünf Jahren in Fintech und haben ein Netzwerk von Branchenexperten, Investoren-Kontakten, Privatunternehmen und Akademikern aufgebaut, das wir konsultieren können, um die Trends zu validieren, von denen wir profitieren wollen. Unser Fokus ist langfristig, und wir denken darüber nach, wie die Finanzwelt im nächsten Jahrzehnt aussehen wird. Nach anderen Branchen zu urteilen steht dem Finanzsektor ein viel stärkerer Wandel bevor. Angesichts der interessanten Bewertung in Kombination mit dem hohen säkularen Ertragswachstum halten wir dies für den perfekten Zeitpunkt, die Fintech-Strategie bei Lombard Odier fortzusetzen.

Wo liegt der Fokus des Fonds, geografisch und nach Segmenten?

Wir investieren global. Wir haben Exposure im chinesischen Markt, Japan, dem Nahen Osten, Afrika, Europa, den USA und Südamerika. Wir investieren nur in Unternehmen mit hoher Qualität. Darum liegt unser grösstes Engagement in den USA. Wir erwarten jedoch, dass die Strategie dank der Börsengänge in den kommenden Jahren globaler wird.

Und die Segmente?

Wir investieren entlang unserer Definition von Fintech: Finanzdienstleistungen, die entweder durch neue Technologien verbessert oder ermöglicht werden.

«Vergessen Sie nicht das Crypto Valley»

Dies impliziert, dass wir nicht nur den Zahlungsverkehr betrachten, sondern auch Software-Anbieter für Finanzinstitutionen, technisch versierte digitale Börsen, Cyber-Security-Unternehmen und persönliche Finanzdienstleister.

In der Schweiz sind Fintech meistens als Zulieferer für Finanzinstitute positioniert, weniger im direkten Kundengeschäft. Was sind hier interessante Unternehmen?

Sie haben Recht, dass der gelistete Teil der Schweizer Fintechs tatsächlich Technologielieferanten sind. Unterschätzen Sie aber bitte nicht den Einfluss des Crypto Valley in Zug, das nicht nur bei den Kryptowährungen, sondern auch bei der sehr spannenden Entwicklung der Tokenisierung von realen Vermögenswerten an vorderster Front steht.

Ein Ausblick: Werden die Fintechs ihre Unabhängigkeit bewahren können – oder werden sie von den etablierten Finanzunternehmen geschluckt?

Wir haben eine grosse Konsolidierung im Fintech-Bereich erlebt; in Europa ist sie jedoch bisher innerhalb der relativ kleinen Ländergrenzen geblieben. Dadurch haben die europäischen Unternehmen heute einen Grössen- und Wachstumsnachteil gegenüber den amerikanischen und asiatischen Konkurrenten. Von den Schweizer Technologieanbietern erwarten wir nicht, dass die traditionellen Banken als Fintech-Käufer auftreten werden.

«Warum etwas kaufen, das alle Einnahmen von Dritten verlieren wird?»

Sie haben mit der herausfordernden Rezession, in der wir uns befinden, genug zu tun, und zweitens: Warum einen Dienstleister kaufen, der neben ab dem Zeitpunkt, an dem Sie ihn erwerben, alle Einnahmen von Dritten verlieren wird?

Wodurch wird Ihr Fonds am ehesten profitieren: Das Fintech-Wachstum oder die Konsolidierung?

Durch beides. Das Wachstum ist die wichtigste Triebkraft für die Performance. Wir sind der festen Überzeugung, dass COVID-19 das Wachstum beschleunigen wird. Zusätzlich zu den fundamentalen Triebkräften sehen wir auch viele M&A-Aktivitäten.

Wer werden die Gewinner sein?

Das hängt sehr stark von den Segmenten ab. In einigen Segmenten, etwa bei den Payments, sehen wir, dass es in ihren jeweiligen Regionen Gewinner gibt. Auch die globalen Kreditkartennetze wie Visa, Mastercard und Amex sind derzeit unangefochten. In anderen Bereichen ist es noch zu früh, um Gewinner zu bestimmen, und wir konzentrieren uns eher auf die Auswahl und die Zulieferer.

«Finanzanalysten unterschätzen die Geschwindigkeit»

Es ist wie die Suche nach Gold in einem frühen Stadium. Da wir noch nicht wissen, wer letztendlich das Gold finden wird, ist es manchmal besser, in diejenigen zu investieren, die die Eimer, Schaufeln und Pickel an die Goldsucher liefern. Eines ist sicher, die traditionellen Finanzdienstleister werden viele Investitionen in einem stark regulierten Umfeld tätigen müssen, um zu überleben.

Um im Fintech-Sektor zu investieren, ist viel Knowhow nötig. Welche Anleger sprechen Sie an?

Wir kombinieren wir bei der Verwaltung dieses Fonds fundierte Kenntnisse zu den Daten aus der Finanzbranche mit fundierten Kenntnissen über die Technologie. Diese Kombination ist wichtig, weil traditionelle Finanzanalysten dazu neigen, die Geschwindigkeit zu unterschätzen, mit der neue Technologien ihre Branchen verändern. Traditionelle Technologieanalysten neigen dazu, die Schwierigkeiten bei der Einführung neuer Technologien in stark regulierten Branchen wie dem Finanzsektor zu unterschätzen. Die Art von Anleger, die am besten zu dieser Strategie passt, sind langfristig orientierte Investoren, die an die transformative Digitalisierung des Finanzsektors glauben und die Volatilität aushalten können.


Henk Grootveld ist Senior Portfolio Manager bei Lombard Odier Investment Managers, dem Fondsarm der Genfer Privatbank. Grootveld stiess mit seinem Team im vergangenen Januar von Robeco zu Lombard Odier und lanciert nun einen globalen Fintech-Fonds.

Welche Schweizer Privatbank bietet an der Börse nun das grösste Potenzial?
Welche Schweizer Privatbank bietet an der Börse nun das grösste Potenzial?
  • Julius Bär, weil der Kurs seit dem Signa-Debakel genügend gesunken ist.
    20.33%
  • Vontobel, weil das Unternehmen 2024 die Wende im Asset Management schaffen wird.
    8.78%
  • EFG International, weil die Bank keinerlei interne Probleme bekundet und stark wächst.
    14.88%
  • UBS, weil die Grossbank auch als Privatbank enormes Potenzial bietet.
    46.36%
  • Banque Cantonale Vaudoise, weil sie unter den Kantonalbanken ein grosses Private Banking anbietet.
    9.65%
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