Vermögende Unternehmer und Familien schaffen derzeit beachtliche Mengen an Gold aus dem krisengeschüttelten Hongkong heraus – nach Singapur und in die Schweiz. Diese Entwicklung droht hierzulande zu einem Problem zu werden. 

Dass sich vermögende Leute von Hongkong abwenden, seit China einen immer grösseren politischen Druck auf die frühere britische Kolonie ausübt, ist verständlich. Doch erstmals hat nun die britische Zeitung «Financial Times» (Artikel hinter Paywall) festgestellt, dass grosse Investoren bis zu 10 Prozent ihrer physischen Goldbestände ins Ausland verlagert hätten, namentlich nach Singapur und der Schweiz – beides sichere Finanzplätze mit den besten Einrichtungen für die Goldlagerung. 

«Viele Kunden halten Hongkong nun für riskanter als andere Finanzzentren», bestätigte Joshua Rotbart, Gründer und CEO von J. Rotbart & Co., einem Unternehmen, das in Hongkong Gold lagert und mit dem gelben Edelmetall auch handelt. Die Investoren seien besorgt bezüglich der Stabilität und Rechtsstaatlichkeit Hongkongs.

Ein Schreckgespenst geht um

Zum einen wird die Stadt von anhaltenden politischen Unruhen heimgesucht, zum andern belastet das kürzlich von Peking auferlegte nationale Sicherheitsgesetz das Geschäftsleben, zumal es die individuellen Freiheits- und Eigentumsrechte massiv einschränkt. Und als ob dies nicht genügte, gesellt sich nun ein neuer Ausbruch des Coronavirus hinzu, was die Situation zusätzlich destabilisiert. 

Die Eigentumsrechte seien zu einem Schreckgespenst mutiert, sagte Bullionstar-Analyst Ronan Manly. «Investoren verlagern Gold von Hongkong nach Singapur, weil sie Risiken und Unsicherheit nicht mögen.» Das hat Konsequenzen.

Ein Eldorado für reiche Chinesen

Denn bislang galt die Stadt als eines der grössten Offshore-Zentren der Welt mit geschätzten knapp 2'000 Milliarden Dollar (in etwa gleich viel in Franken) an Vermögenswerten und ebenso als ein beliebter Umschlagplatz für wohlhabende Chinesen, die insbesondere ihr Gold da lagern.

Seit der Übergabe an China 1997 genoss des einstmals britische Territorium denn auch lange Zeit eine relativ grosse Freiheit und überstand diverse Protestbewegungen schadlos. Erst 2019 begann sich dies zu ändern, da China aufgrund neuerlicher Massendemonstrationen in Hongkong rechtlich und auch mit Polizeigewalt radikal eingriff.  

Darum die Schweiz

Neben Singapur, wo die Regierung über allfällige Verlagerungen von Vermögenswerten kein grosses Tamtam machen will, um nicht den Unmut Chinas auf sich zu ziehen, sprechen verschiedene Gründe, warum einiges an Gold nun in die Schweiz fliesst.

Das Land ist bis heute nicht nur der grösste und am besten funktionierende Offshore-Finanzplatz der Welt, sondern verfügt über ein verlässliches Rechtssystem und bietet die grösstmögliche politische Stabilität. Darüber hinaus laufen rund 70 Prozent des geförderten Goldes über hiesige Raffinerien.

Erneuter Engpass

Wie finews.ch bereits vor einigen Monaten exklusiv berichtete, kam es aufgrund des Lockdowns – die Raffinerien konnten nur noch sehr eingeschränkt  arbeiten – und der rasant gestiegenen Nachfrage nach Gold zeitweilig zu Lieferengpässen.

In der Folge erholte sich diese Entwicklung. Doch aufgrund des weiter gestiegenen Goldpreises auf inzwischen mehr als 2'000 Dollar pro Unze droht erneut ein Angebotsproblem, wie Andreas Hablützel, CEO der Firma Degussa Goldhandel in der Schweiz, gegenüber finews.ch erklärte.  

Ein Problem für die Schweiz?

Gemäss Joshua Rotbart war Hongkong lange Zeit ein Mittelding zwischen On- und Offshore; zwar nicht auf dem Festland, aber doch sehr eng verbunden. Nun, da die Regierung in Peking den Druck auf die einstige Kronkolonie laufend erhöht, erlischt die Attraktivität des Finanzplatzes.

Viele Kunden, so ein anderer Edelmetall-Spezialist, hätten aufgrund des verschärften Wirtschaftskonflikts zwischen den USA und China ganz einfach keine Lust mehr, dass ihr Name im Zusammenhang mit Hongkong irgendwo auftauche.

Ganz egal kann der (offiziellen) Schweiz die Verlagerung des Goldes aus Hongkong nicht sein. Denn bislang genoss unser Land respektive genossen die Schweizer Grossbanken UBS und Credit Suisse im Zuge der Liberalisierung des Finanzmarktes einen privilegierten Zugang nach China.

Heikler verbaler Schlagabtausch

Diese gute Beziehung wurde erst vergangene Woche auf die Probe gestellt, nachdem sich Bundesrat und Aussenminister Ignazio Cassis zwar diplomatisch, aber doch dezidiert zum neuen Sicherheitsgesetz sowie zu den Menschenrechten in China geäussert hatte, wie auch finews.ch berichtete.

Die Retourkutsche liess nicht lange auf sich warten, mahnte doch der Sprecher des chinesischen Aussenministeriums, Wang Wenbin, öffentlich zu mehr Besonnenheit im Umgang mit seinem Land.