Die Entwicklung von Plattform- und Ökosystemen hat die traditionelle Finanzwelt bereits ordentlich durchgeschüttelt. Die Transformation könnte nun noch an Tempo gewinnen, sind sich Experten einig.

Ökosysteme sind in der Finanzbranche das Thema der Stunde. Nicht von ungefähr: Angesichts zunehmender Konkurrenz im Stammgeschäft und erodierender Margen müssen neue Geschäftssegmente her. 83 Prozent der Schweizer Banken gehen laut einer Umfrage inzwischen davon aus, dass die Preise ihrer Angebote früher oder später sinken. 30 Prozent sind sogar davon überzeugt, dass im Banking langfristig ein Preiszerfall droht.

Veränderungen in Sicht

Eine mögliche Antwort auf dieses Szenario ist es, den Kunden tatsächlich ins Zentrum zu stellen und sich zu überlegen, was dieser neben einem Bankkonto und einer Hypothek noch alles brauchen könnte.

Dieser Trend wird sich in Zukunft fortsetzen, glaubt Jan Hinrichs, Managing Director von FinanceScout24, einem Ökosystem für Finanzdienstleistungen, das zum Marktplatz-Netzwerk Scout24 gehört. Letzteres wiederum zählt den Medienverlag Ringier und dem genossenschaftlichen Versicherer Mobiliar mit zu seinen Eigentümern. «Die Zukunft der digitalen Plattformen liegt im Aufbau von Ökosystemen», so Hinrichs.

Daneben verorten er und Jochen Pernegger, Commercial Director bei FinanceScout24, zwei weitere Trends, welche die Finanzbranche in absehbarer Zeit erheblich verändern werden.

Tag und Nacht mit Rat und Tat

Einerseits jenen des Digital Companion oder digitalen Gefährten. Als solche fungiert etwa eine Online-Plattform, die dem Kunden 24 Stunden am Tag mit Rat und Tat zur Seite steht und über die man jegliche Finanzgeschäfte abwickeln kann, ohne das Haus zu verlassen.

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Dieser Trend sei mangels Vertrauen in Plattformen und persönlichem Kontakt nur langsam angelaufen, gewinne aber nun allmählich an Fahrt. Dies einerseits durch die Corona-Pandemie, die viele Leute dazu gezwungen hat, einen erheblichen Teil ihres Lebens neu und digital zu organisieren.

Und andererseits, weil es aus anderen Bereichen – wie zum Beispiel dem Detailhandel – viele positive Beispiele für ähnliche Plattformen gibt, aus denen die Kundschaft Vertrauen in die Plattform-Welt an sich schöpfen kann. Gleichzeitig hilft auch die Demografie diesem Trend, da jüngere Generationen tendenziell digital aufgeschlossener sein dürften.

Erbe für Bancassurance

Ein weiterer Trend heisst Financial Home und kann als eine Art Zuhause für alle Geschäfte finanzieller Natur verstanden werden. Dabei geht es darum, eine einzige Plattform zu schaffen, auf der alle Finanz- und Versicherungsangebote zentral gemanagt werden.

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Das heisst: statt einer App fürs Vorsorge-Sparen in der dritten Säule, einer Applikation fürs Banking, einer für die Hausratsversicherung und einer für die Anlagen, ein einziges Interface, auf dem sich all das und noch viel mehr verwalten lässt. Die auch in der Schweiz aktive Beratungsfirma Oliver Wyman hat vor ein paar Tagen eine Studie zu diesem Thema veröffentlicht.

Das Unternehmen definiert Financial Home als «Plattform, die jedem Kunden einen vollständigen Finanzüberblick gibt und dabei hilft, finanzielle Entscheidungen für konkrete Lebenssituationen über alle Finanzprodukte hinweg digital zu optimieren». Letztes Jahr sei jeder dritte Verbraucher in Europa daran interessiert gewesen, seine Finanz- und Versicherungsangebote zentral zu bündeln

Banken geniessen das grösste Vertrauen...

Der Zeitpunkt für solche Pläne sei gerade günstig, findet Stefan Wojahn, Partner bei Oliver Wyman und Experte für Bancassurance und Digitalisierung im Vertrieb. Denn: «Einige Banken haben ihr Onlinebanking-Portal bereits um einen Versicherungsmanager erweitert, andere sind exklusive Versicherungspartnerschaften eingegangen.» So zum Beispiel die Schweizer Grossbank Credit Suisse, die zusammen mit dem französischen Versicherer Axa auf ihrer digitalen CSX-Plattform Versicherungen anbieten will. 

Die Initiative müsse aber von den Banken ausgehen, so das Beratungsunternehmen: Laut einer Umfrage von Oliver Wyman sehen nur 14 Prozent der befragten Verbraucher die Versicherungsbranche als bevorzugten Anbieter einer solchen Lösung; die meisten (62 Prozent) würden ihr Vertrauen in die Bank setzen und 17 Prozent einer Finanzberatungs-App.

...und haben den stärksten Antrieb

Versicherer wiederum stünden durch die starke Position der Banken vor einer erheblichen Herausforderung, so Wojahn. «Aber es bieten sich auch zahlreiche Chancen, sich eigenständig oder als Partner zum Beispiel von Banken zukunftsfähig und innovativ zu positionieren.

Der Aufbau eines Financial Home erfordere neben dem Willen zum Ausprobieren und der schrittweisen Weiterentwicklung zusätzliche Investitionen, wobei Banken tendenziell einen stärkeren Antrieb hätten, in den Aufbau eines Financial Home-Angebots zu investieren, da sie ihr Selbstverständnis als Allfinanzanbieter im Privatkundenbereich sähen, so die Berater.

Für andere Anbieter stelle der Vertrieb branchenfremder Produkte bisher keine natürliche strategische Stossrichtung dar, dennoch werde sich das Financial Home – sowohl aus Kunden- als auch Anbietersicht – etablieren, schliesst Wojahn.

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