Es gebe kaum ein Kundengespräch mehr, ohne dass nicht irgendein Formular ausgefüllt werden müsse, sagt der Zürcher Privatbankier Christian Rahn im Interview mit finews.ch.


Herr Rahn, den Kunden ganzheitlich erfassen ist das neue Credo im Swiss Banking. Wie beginnen Sie eigentlich ein Kundengespräch?

Im Zentrum stehen immer die Kundin oder der Kunde und das, was sie oder ihn bewegt. Bevor wir Bankangelegenheiten erörtern, höre ich zu und bespreche mit der Kundschaft, wie wir sie unterstützen können. Die wenigsten Kundinnen und Kunden kommen in einer unbelasteten Situation, sei es privat oder geschäftlich, in ein Meeting.

Dies macht den Hauptteil des Gesprächs aus und ist sehr wichtig. Denn so lernen wir die Menschen mit all ihren Bedürfnissen und Wünschen besser kennen. Dadurch wird auch die Vertrauensbasis vertieft. Letztlich ist Vertrauen die wichtigste Währung im Bankgeschäft.

Sie sind von Haus aus Jurist, agieren Sie ab und an auch als Psychologe?

Wenn ein privater Sachverhalt geschildert wird, dann versuche ich, basierend auf meinen persönlichen Erfahrungen, einen Rat zu geben, ganz im Sinne eines Sparringpartners.

«Von Big Data kann bei uns keine Rede sein»

So bin ich mit den verschiedensten Fragen aus dem privaten oder geschäftlichen Leben eines Menschen konfrontiert. Das macht meinen Job interessant.

Ist Big Data bei der Vorbereitung von Kundengesprächen ein grosses Thema?

Von Big Data kann bei uns keine Rede sein. Wir sind überzeugt, dass wir die Bedürfnisse am besten mit Zuhören in einem persönlichen Gespräch mit unseren Kundinnen und Kunden erfahren. Selbstverständlich nutzen wir aber die digitalen Medien, auch um uns vor allem bei einem neuen Kundenkontakt optimal vorbereiten zu können.

Regulation ist ein nervenaufreibendes Thema unter Banken. Wie geht Rahn+Bodmer damit um?

Regulation ist zunehmend nicht mehr nur eine operationelle Herausforderung im Sinne von effizienten Abläufen oder IT-Unterstützungen, sondern stellt mehr und mehr auch eine Herausforderung im Umgang mit der Kundschaft dar. Bei uns geht kaum ein Kundenbesuch über die Bühne, ohne dass nicht irgendein Formular ausgefüllt werden muss oder eine Risikoaufklärung stattfindet.

«Ganzen Kundengruppen ist der Zugang zu bestimmten Finanzprodukten versperrt»

Für den Kauf einer Wertschrift sind ausführliche Abklärungen zum Kunden und dem Produkt notwendig, damit die Bank abklären und dokumentieren kann, ob die Kundschaft diese Risiken eingehen darf und will. Regulation führt auch zu einer politischen und gesellschaftlichen Spaltung. 

Inwiefern? 

Ganzen Gruppen von Kunden ist der Zugang zu bestimmten Finanzprodukten versperrt, weil eine enge Regulierung der Vielfalt von Produkten nicht Rechnung tragen kann. Beispielsweise sind bestimmte Anlagefonds nur qualifizierten Anlegern vorbehalten. Ein unlimitierter Zugang zu Finanzprodukten ist nur noch für sehr wohlhabende Kunden möglich.

Leider sehen wir aber auch oft, dass neue Vorschriften in der Bankenwelt zum Selbstzweck, nämlich zur eigenen Risikoabsicherung, umgesetzt werden. Wir versuchen dies tunlichst zu vermeiden. Ein sehr gutes Verständnis der Bedürfnisse des Kunden, keine Interessenkonflikte durch eigene Produkte oder kurzfristige Ertragsziele sind der beste Weg, um den Kunden- und Anlegerschutz zu priorisieren. Dies war aber auch in der Vergangenheit schon so der Fall.

Geht Ihnen die Regulation auf die Nerven?

Nein, sie gehört heute einfach dazu. Sie ist ein Teil der Tätigkeit, die sehr stereotypisch und nicht sehr spannend ist, aber getan werden muss. Es ist ein zeitaufreibender Prozess, der immer aufwändiger wird.

«Für die Kundschaft ist das eine langweilige Prozedur»

Leider aber wird immer weniger auf die Struktur und Grösse eines Unternehmens Rücksicht genommen. Wir müssen immer mehr Prozesse umsetzen, die bei einer international operierenden Grossbank durchaus Sinn machen. Für eine auf die Schweiz fokussierte Vermögensverwaltungsbank bringen sie oft nur Aufwand – für die Bank und die Kunden. Der Mehrwert bleibt mehr als fraglich.

Wie viel Zeit nimmt das Thema Regulation in einem einstündigen Kundengespräch durchschnittlich ein?

Rund zehn Minuten. Für die Kundschaft eine langweilige Prozedur, denn sie interessiert sich nicht für Sachen, die der Bank auferlegt werden. Nach dem Gespräch müssen für die rein regulatorische Nachbearbeitung in der Regel alleine vom Kundenberater nochmals rund 20 Minuten und von den nachgelagerten Abteilungen nochmals rund 15 Minuten aufgewendet werden.

Ziehen Sie auch positive Effekte aus der Regulation?

Der Automatische Informationsaustausch führt zu weniger Abklärungen. Und einige Regulationen dienen dem Anlegerschutz, was gut ist. Es gab in der Vergangenheit ja durchaus Verfehlungen. Aber die Regulierung überbordet und ist undifferenziert.

Ein Beispiel: Es kommt eine gewiefte Unternehmerin, die bestens über die Finanzmärkte Bescheid weiss, in ein Meeting. Diese Kundin muss ich genau gleich behandeln, wie eine Person die kein Interesse an den Finanzmärkten hegt. Als Berater muss ich die Risikoaufklärung dokumentieren, obwohl ich weiss, dass die Kundin alle Risiken kennt.

«Die anderen können ja nicht schneller schreiben als wir»

Neuerdings muss man die Risikoaufklärung postalisch dem Kunden nachträglich noch zustellen. Die unterschriebene Rücksendung dieser Aufklärung ist nicht nötig, aber das kommt vermutlich noch.

Wie hoch ist denn der Compliance- und Regulationsaufwand pro Kundenberater?

Derzeit sind es etwa 25 Prozent und mit dem Fidleg (Finanzdienstleistungsgesetz) wird er gegen 30 Prozent anwachsen. Das ist enorm viel und ist kostspielig. Nicht zuletzt deshalb werden wir in Zukunft wohl wie alle Firmen in der Vermögensverwaltung mehr Compliance- und Beraterpersonal rekrutieren müssen.

Oft heisst es, dass kleinere Finanzinstitute unter der Regulation stärker leiden als grössere. Ist dem so?

Das wird in der Tat oft kolportiert, ist aber falsch. Regulation läuft linear. Nach dem Kundenmeeting wird eine Aktennotiz erstellt, was vielleicht 20 Minuten dauert. Dieser Aufwand ist bei einer zehn- oder hundertmal grösseren Bank als wir es sind genau gleich hoch. Die anderen können ja nicht schneller schreiben als wir.

Für rund acht Berater braucht es einen Compliance-Officer, für 16 braucht es zwei und so weiter. Auch das lässt sich über Synergien nur bedingt auffangen.


Christian Rahn hat an der Universität Zürich Rechtswissenschaften studiert und da auch das Lizentiat und das Doktorat erworben. Er besitzt das Anwaltspatent für den Kanton Zürich und hat an der University of Chicago das LL.M.-Programm absolviert. Zusammen mit seinem Bruder Peter übernahm er 1990 die väterlichen Anteile an Rahn+Bodmer und ist seither Partner der Bank.

Von 1996 bis 1999 präsidierte er die Vereinigung Schweizerischer Privatbanken. In seiner Freizeit ist er ein leidenschaftlicher Berggänger, sowohl im Sommer als auch im Winter. Im ersten Teil des finews.ch-Interviews spricht Christian Rahn über die hohen Managerlöhne bei Grossbanken, und weshalb er mit den Lehrlingen in der Bank per Du ist.