In 25 Jahren hat der Finanzfachmann und BWM-Mitgründer Georg von Wyss manche Krise miterlebt. Mit finews.ch hat er über die harten Jahre seit dem Corona-Crash gesprochen, über das Anlegen aus der Froschperspektive, und warum er die CS-Aktie nur von fern betrachtet.


Herr von Wyss, die Firma BWM feiert ihren 25. Geburtstag. Doch eigentlich müsste die Value-Finanzboutique nur noch W heissen, haben doch die namensgebenden Mitgründer Thomas Braun und Erich Müller bereits 2020 Anteile an der Firma weitergegeben und sich aus dem operativen Geschäft zurückgezogen. Hätte sich damals nicht eine Neuaufstellung aufgedrängt?



Es hat sich ja gar nicht viel geändert in der Firma! Der Anlagestil ist derselbe, wir suchen immer noch nach unterbewerteten Aktien. Wir haben die Prozesse über all die Jahre zudem so aufgebaut, dass das Unternehmen auch ohne die Gründer auskommt.

Wenn ich nach diesem Interview unters Tram komme, werden die Kunden gar nicht viel davon merken.



Das wollen wir nicht hoffen. Im Fondsmanagement gibt es ja viele selbsternannte Stars – doch Sie sagen, die Gründer sind gar nicht so prägend für BWM?



Die Firma verdankt Thomas Müller und Erich Braun natürlich wahnsinnig viel. Aber in den ersten Jahren nach der Gründung haben wir einen Prozess aufgebaut und die Arbeitstechniken strukturiert.

«Aufgrund von Covid waren wir tief im Loch»

Das zwingt uns, tagtäglich die nötige Qualität zu liefern. Der Kunde unserer Fonds kauft im Grunde diesen Prozess.



Der Prozess zählt mehr als die Köpfe dahinter?



Nun, am Ende muss schon jemand den Kopf hinhalten. Jetzt und hier bin ich das. Aber am Ende erzählen wir alle die gleiche Story.



Never change a winning horse?



Wir machen immer das Gleiche. Das ist aber auch das, was wir können. Es wäre aus Marketing-Gründen wie auch vom Ergebnis her fatal, wenn wir nun plötzlich daran drehen würden.



Die Jahre seit Ausbruch der Corona-Krise waren allerdings schwierig für Ihre Fonds, oder?



Aufgrund von Covid waren wir tief im Loch. In den Jahren seither haben wir uns erholt, konnten aber nicht mit dem Index mithalten. Es ist klar, dass wir es unseren Kunden schuldig sind, eine gute Performance zu liefern. Wir wollen wieder eine Track-Record ausweisen, der besser ist als der breite Markt.



Im Jahr 2022 war dies noch nicht der Fall. Die Fonds blieben mit rund 20 Prozent Buchverlust hinter dem Markt zurück.



Im vergangenen Jahr hat der Value-Stil mit unterbewerteten Substanzwerten noch nicht funktioniert – es sei denn, man war in den Titeln von Versorgern und Energiefirmen investiert, und zu einem gewissen Masse in Banken.

«Einen Titel wie die Credit Suisse muss man zwingend im Auge behalten»

Ansonsten sind die günstigen Werte nur noch günstiger geworden. Das haben unsere Fonds natürlich gespürt. Immerhin, seit vergangenem September legt der Wert der billigsten Aktien wieder zu.



Welche Bankenwerte hätte man denn haben müssen?



Die Aktien von Geldinstituten, die von den Zinserhöhungen der vergangenen Monate profitiert haben – eigentlich alle, die nicht mit selbstverschuldeten Problemen kämpften.


Und schweizerische Banktitel?



Wir zählen die Aktien der Privatbank EFG International weiter zu unseren Positionen. Allerdings haben die Papiere den riesigen Abschlag zum inneren Wert von einst gut aufgeholt und nähern sich einer fairen Bewertung. Wenn dieser erreicht ist, wird es für uns als Value-Anleger Zeit, uns von der Aktie zu trennen.



BWM-Fonds waren vor Jahren auch in die Credit Suisse investiert. Aktuell handeln die Papiere knapp über einem Allzeittief. Tragen Sie sich mit dem Gedanken, wieder einzusteigen?



Einen Titel, der so billig ist, muss man zwingend im Auge behalten. Wir verfolgen die Aktie aber nur von Weitem – unserer Meinung nach fehlt das Grundvertrauen in die Bank, was sich zuletzt in den Vermögensabflüssen bei der Credit Suisse äusserte.

«Ein Frosch muss nicht alles fressen, was da herumschwirrt»

Wenn die Bank die gesetzten Ziele erreichen würde, wäre sie natürlich deutlich mehr Wert. Aber wir sehen andere Gelegenheiten mit Aufwärtspotenzial, die deutlich weniger Risiken aufweisen.



Kurz, Sie haben keinen Appetit auf die CS-Aktie?



Wir betrachten die Welt ja aus der Froschperspektive. Und ein Frosch muss nur einige Fliegen fangen, um satt zu werden. Er muss nicht alles fressen, was da herumschwirrt. Vor allem, wenn sich die Fliege als Wespe entpuppen könnte.



Vor einem Jahr, bei Ausbruch des Ukraine-Kriegs, erklärten Sie, es böten sich Chancen zum Kauf günstiger Titel. Hat sich BWM in grossem Stil eingedeckt?



Wir tun nie etwas in grossem Stil. Unsere Positionen sind sehr überschaubar, und wir drehen auch nicht dauernd das Portefeuille. Wir haben für den Classic Value Equity Fonds neu Aktien des deutschen Autobauers BMW erworben.

«Jeder Anlagefonds verliert pro Jahr im Schnitt 10 Prozent des verwalteten Vermögens»

Für den Classic Global Equity Fonds sowie den Classic Value Equity Fonds haben wir zudem Anteile am deutschen Schmiermittel-Hersteller Fuchs zugekauft. Das ist ein hochspezialisiertes Business mit oligopolistischen Strukturen, das seine Margen auch in einem widrigen Umfeld verteidigen kann.



Aber sind dies die richtigen günstigen Titel mit Blick auf die Zukunft?



Um bei den Fröschen zu bleiben: Wir sassen in den vergangenen Jahren wohl im falschen Teil des Teichs. Der Value-Stil war schlicht nicht gefragt am Markt. Das hat dazu geführt, dass Substanzwerte relativ zu Wachstumsaktien wie etwa jenen aus dem Technologie-Bereich noch günstiger wurden, während Investoren teure Titel trotz ihrer hohen Bewertung weiterhin kauften.

Diese Bewegung hat nun zwar korrigiert. Tech-Werte sind bereits im vergangenen Jahr unter die Räder geraten. Die Kurse von Value-Titeln ziehen hingegen erst seit vier Monaten wieder an.



Hat sich die Positionierung auch im Abfluss von Kundengeldern niedergeschlagen?



Jeder Anlagefonds verliert pro Jahr im Schnitt 10 Prozent des verwalteten Vermögens. Das ist schlicht die Grundbewegung von Kunden, die ihr Geld anderweitig verwenden.

«Wir sagen, in drei Jahren sollten die gegenwärtigen Probleme bewältigt sein»

Beim Classic Global Equity Fund waren wir im vergangenen Jahr etwa in diesem Bereich, beim Classic Value etwas unter diesem Wert. Nachteilig für uns wirkte sich aus, dass wir die Lücke nicht mit Neuzeichnungen zu kompensieren vermochten. Die Leute sind in den wenigstens Fällen bereit, eine Anlagemethode zu kaufen, wenn damit nicht in den vergangenen drei Jahren gutes Geld verdient wurde.



Aber jetzt dreht der Wind, nachdem die Kurse von Substanzwerten zulegen?



Wir sind tatsächlich gut ins Jahr gestartet. Beide Fonds haben bis anhin mehr als 10 Prozent Performance erzielt.



Doch reicht das, um zu sagen: der Value-Stil funktioniert?



Die langfristigen Entwicklung zeigt es eindeutig: Value funktioniert wunderbar. Allerdings gab es in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder Phasen, in denen sich der Effekt nicht einstellte – etwa in den 1970er-Jahren, und nun ebenfalls in den vergangenen acht Jahren. Früher oder später kommt jedoch die Wende, weil unterschätze Werte logischerweise aufgrund ihrer günstigen Bewertung erneut auf Beachtung stossen.



Was ist denn Ihre Prognose für 2023?



Wir sagen, in drei Jahren sollten die gegenwärtigen Probleme – Inflation, Disruption des Energiemarktes, Ukraine-Krieg – einigermassen bewältigt sein. Im Grossen und Ganzen finde ich die Welt nicht furchteinflössender, als sie es in den vergangenen fünf, zehn, 20 oder 25 Jahren war.

«In der Finanzkrise haben wir die meisten Böcke geschossen»

Wir hatten immer gute Gründe, uns Sorgen zu machen. Übrigens: am schlimmsten für die Börse ist es meistens genau dann, wenn alles rosig aussieht. Dann sollten Investoren sehr vorsichtig werden. Genau das spielen wir bei BWM: Wir kaufen Firmen, für die es zumindest kurzfristig düster aussieht.



In 25 Jahren BWM – was war die schlimmste Krise?



Am unglücklichsten darüber, wie wir eine Situation an den Märkten gemanagt haben, bin ich bezüglich der Finanzkrise von 2008. Damals haben wir die meisten Böcke geschossen, wenn sie so wollen.

Wir haben aus dieser Zeit aber auch am meisten gelernt. Wir sind seither vorsichtiger in Bezug auf Bilanzen, Verschuldung und Geographie der Märkte geworden. Frei von Fehlern werden wir aber nie sein.



Eine BWM-Maxime lautet, bei Krisen kühlen Kopf zu bewahren und bei Fehlern die Sache zu bewerten, nicht die Person. Gelingt Ihnen das immer?



Solange man in dieser Stimmung nicht verkauft oder zukauft, kann man ruhig emotional werden. Die Kollegen sind dann dazu da, einem zurück auf den Boden zu bringen.

«Wenn man diesen Knacks hat, sind wir einige der wenigen Adressen in der Schweiz»

Das gelingt uns in letzter Zeit sogar noch besser als zuvor, weil meine langjährigen Kollegen Aktien von den Gründern kaufen konnten und damit zu Partnern wurden. Das hat das Gefälle zwischen ihnen und mir geebnet. Sie sind mir gegenüber kritischer geworden.



Nervt das nicht?



Im Gegenteil. Es tut jedem Analysten – und ich bin ja auch einer – gut, wenn er seine Argumente verteidigen muss. Ich finde es nicht immer lustig. Aber gut für die Firma ist es auf jeden Fall.



Spielt da auch der Unterschied zwischen den Generationen mit hinein?



So viel jünger als ich sind die neuen Partner ja nicht! Aber irgendwann werden wir junge Analysten einstellen wollen, sobald wir wieder auf den Wachstumspfad zurückgegangen sind. Im Moment sind wir noch nicht so weit.


Würde BWM überhaupt junge Talente finden, beim gegenwärtigen Arbeitskräftemangel?



Das ist nicht das Problem. Wir erhalten immer wieder Anfragen von Personen die sich melden und gerne bei uns arbeiten würden. Wenn man Freude am Value-Investing hat – wenn man diesen Knacks hat – dann sind wir einige der wenigen Adressen, die es in der Schweiz überhaupt gibt.


Georg von Wyss gründete Ende 1997 mit Thomas Braun und Erich Müller (letztere beiden damals noch aktiv in der Firma) den unabhängigen Asset Manager BWM. Das Unternehmen hat sich über die Jahre zu einer international führenden Adresse im Value-Investing entwickelt. Aktuell verwaltet die Firma 440 Millionen in zwei Fonds, dem Classic Global Equity Fund sowie dem Classic Value Equity Fund. Beide sind klassische Value Fonds, das heisst, die Anlagen müssen unterbewertet sein. Im sechsköpfigen BWM-Team kümmern sich vier Personen um die Anlagen.

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