Viele Banken hätten inzwischen gemerkt, dass sie nicht mehr so arrogant sein könnten wie früher, sagt Alfonso Papa, CEO von ING Investment Management in der Schweiz


Herr Papa, ein gar nicht so schlechtes Börsenjahr geht bald zu Ende. Ihr Kommentar dazu?

In den vergangenen zwölf Monaten haben die Märkte tatsächlich schön mitgespielt. Doch fundamental gesehen blieb das Umfeld labil. Es gab zwar noch mehr billiges Geld von den Zentralbanken, das aber nicht in den Privatsektor geflossen ist.

Darum verzögert sich die schon lange erhoffte wirtschaftliche Erholung. Unter diesen Prämissen bleibt das Geld günstig, und die Zinsen verharren auf tiefem Niveau. Allerdings haben viele Privatanleger die Kursavancen der vergangenen Monate schlicht verpasst.

Wer hat denn die Hausse mitgemacht?

Vor allem institutionellen Anleger, die gezwungen waren, zu investieren. Aber letztlich trauen auch sie der Situation nicht mehr. Die Risikoaversion ist in den Sommermonaten angewachsen, trotzdem müssen gerade institutionelle Anleger höhere Renditen anstreben.


«Die Rotation fand nicht statt»


Das erklärt etwa auch den Immobilien-Boom – die Flucht in Sachwerte. Doch allmählich gehen die Ideen aus. Die Rotation, weg von festverzinslichen Anlagen und hin zu Aktien, fand (noch) nicht statt.

Warum nicht?

Vielen Anlegern sitzt wohl der Schock von 2008 immer noch im Nacken. Letztlich muss das Vertrauen zurückgewonnen werden.

Ist es denn jetzt zu spät für Aktien?

Steigende Kurse ziehen in der Regel noch mehr mehr Geld an. Insofern können wir mit weiteren Kursavancen rechnen. Das Risiko für kurzfristige Korrekturen nimmt aber zu. Momentan sehe ich, wie der Hunger nach Rendite weiter steigt. Typisch dafür ist zum Beispiel die Nachfrage nach Aktien aus so genannten Frontier Markets.

Was sind Frontier Markets?

Damit werden insbesondere Unternehmen aus dem Nahen Osten und Nordafrika bezeichnet. Diese Aktien gelten als «spicy» und sollen noch mehr Rendite bringen, vor allem wenn die traditionellen Märkte bereits hoch bewertet sind.


«Man kann die Welle noch reiten»


Die Nachfrage nach Frontier Markets setzt bei privaten Investoren immer dann ein, wenn alles andere abgegrast ist. Für Institutionelle spielt der Frontier Markt eine untergeordnete Rolle in der «Asset Allocation».

Und was raten Sie?

Man kann die Welle noch eine Weile reiten. Aber wir erreichen nun Spitzen, die kurzfristig Korrekturen möglich machen. Mittelfristig zeigt sich aber vor allem der europäische Aktienmarkt von einer attraktiven Seite.

Ist das nicht riskant?

Risiko ist interessant, wenn ich es identifizieren und bewusst verwalten kann. Gefährlich wird es dann, wenn ich als Anleger zu viele Unbekannte in mein Portfolio aufnehme.


«Darum die ganze Diskussion»


Können Sie das noch etwas ausdeutschen?

Wie man massiv Geld verlieren kann, weiss der Anleger spätestens seit 2008. Viele Anleger sehen sich mit Risiken konfrontiert, die sie bisher gar nicht kannten. Darum auch die ganze Diskussion um einen verschärften Anlegerschutz. Die Branche ist gefordert, darauf die richtige Antwort zu geben – durch adäquate Produkte und Strategien.

Was leicht gesagt, aber offensichtlich nicht so leicht getan ist.

Mittlerweile sind die allermeisten Banken bestrebt, andere Qualitäten als bisher in den Vordergrund zu stellen. Die Branche kann nicht noch mehr negative News über zweifelhafte Banken und deren Machenschaften verkraften.


«Quereinsteiger wird es nicht mehr geben»


Das beeinflusst die öffentliche Wahrnehmung und damit auch die Politik, die wiederum Druck auf den Finanzplatz macht. Dabei geht vergessen, wie wichtig die Schweizer Finanzbranche für unser Land und unseren Wohlstand ist.

Nochmals, wie hat sich die Branche in der «neuen Realität» zu verhalten?

Sie muss endlich Verantwortung übernehmen insbesondere bei der Beratung. Der Bedarf nach professioneller Beratung ist enorm. Und genau diesem Anspruch muss die Finanzbranche gerecht werden. Quereinsteiger als Kundenberater, die den Beruf nicht von Grund auf erlernt haben, wird es künftig nicht mehr geben. Der Beruf des Kundenberaters verlangt heute nach fundiertem Wissen und Erfahrung.

Inwiefern?

Die Betreuung vor allem von sehr reichen Kunden, auf die es inzwischen viele Schweizer Banken abgesehen haben, ist enorm komplex. Ein einzelner Kundenberater kann das kaum bewältigen. Er muss Spezialisten beiziehen, Steuerexperten, Juristen.


«Die Beratung wird zum Produkt»


Dieses Rundum-Know-how braucht es heute. Der vermögende Kunde wird für diese Leistungen bereit sein, etwas zu bezahlen – sofern die Qualität stimmt. Und genau das ist der Punkt: Allein mit Gebühren für irgendwelche Transaktionen lässt sich heute kein Geschäftsmodell mehr betreiben. Die Beratung wird zum Produkt.

Und wie soll das dem Bankkunden in Rechnung gestellt werden?

Das ist die grosse Kunst. Retail- oder auch Affluent-Kunden sind es sich (noch) nicht gewohnt, für eine Beratung zu bezahlen. Da braucht es noch viel Aufklärungsarbeit. Vermögendere Kunden sind eher bereit, eine Beratungsdienstleistung zu entschädigen. Doch sie kriegen in der Regel auch etwas geboten.


«Das ganze System wird verletzlicher»


Viele Banken haben inzwischen gemerkt, dass sie nicht mehr so arrogant sein können, wie sie es in der Vergangenheit möglicherweise waren. Es gilt Verantwortung in der Beratung zu übernehmen – durch verbesserte Qualität und durch transparente Preis- und Geschäftsmodelle.

Verantwortung hin oder her. Die Finanzmärkte sind heute so fragil. Was kann da eine Bank oder ein Vermögensverwalter dafür, wenn es an einem Tag zu einem massiven Crash kommt?

Die Globalisierung und der schnellere Informationsfluss verflechten die weltweiten Ereignisse, welche die Börse beeinflussen. Dadurch wird das ganze System verletzlicher. Ein Ereignis in Asien betrifft mich heute direkt und wesentlich schneller. Früher war das nicht so. Heute können Ereignisse regelrechte globale Buschfeuer entfachen.


«Das ist das Perfide an der Finanzwelt»


Und wie reagieren wir darauf?

Der Investor will weniger Komplexität, er will verstehen. Darum beispielsweise fordert er eine Aufsplittung der UBS; weil er von gewissen Risiken – etwa im Investmentbanking – nichts mehr wissen will. Aber es fragt sich, ob das wirklich sicherer ist, denn eine kleinere Bank ist wiederum anderen Risiken ausgesetzt, die man möglicherweise nicht erkennt. Das ist das Perfide an der heutigen Finanzwelt.


«Darum versagen die Anlagemodelle»


Sobald man die Risiken erkannt und eine entsprechende Strategie entwickelt hat, stehen wieder neue Risiken an, die man zunächst nicht einberechnet. Darum versagen auch Anlagemodelle, wenn es an der Börse zu extremen Ausschlägen kommt. Man kann ein Unternehmen noch so fundamental analysieren, wenn man ihm – im übertragenen Sinne – einfach den Teppich unter den Füssen wegzieht, stürzt es ein.

Die Anlagemodelle müssen wesentlich dynamischer werden und sich den Veränderungen stetig anpassen. Die klassiche Betrachtung der Anlageklassen wird dem nicht mehr gerecht. Man muss von einer Risiko-Allokation und nicht von einer «Asset Allocation» sprechen.


Alfonso Papa ist Geschäftsführer von ING Investment Management (Schweiz) AG, Zürich

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