Zähe Gespräche der Briten mit der EU über den Brexit haben sich seit dem Referendum abgezeichnet. Nun kommen innenpolitische Komplikationen hinzu. Die Sache könnte zur unendlichen Geschichte werden, schreibt Dieter Ruloff exklusiv für finews.ch.

Gut vernetzt zu sein ist profitabel. Die Kehrseite der Medaille ist das, was in der Politikwissenschaft «Verflechtungsfalle» heisst: Die Exit-Option ist kompliziert, langwierig und teuer. Schaustück Nr. 1 ist aktuell der Brexit.

Womöglich wird Theresa May, die britische Premierministerin, ohne Abstimmung im Parlament den Austrittsprozess nach Artikel 50 des Lissaboner Vertrages gar nicht in Gang setzen können. Der britische Supreme Court wird darüber im Januar entscheiden.

Keine Mehrheiten für einen Brexit

Sollte es ohne regulären Gesetzgebungsprozess nicht gehen, wird May womöglich Neuwahlen anstreben, denn Mehrheiten für einen Brexit nach ihrem Geschmack gibt es aktuell im britischen Unterhaus nicht.

Die Zeit arbeitet derweil gegen die Briten. Angesichts der Unsicherheiten werden Investitionen aufgeschoben. Nissan konnte nur mit Subventionszusagen dazu gebracht werden, zwei neue Modell doch im Werk in Sunderland im tristen Nordosten Englands zu bauen. 7'000 Arbeitsplätze standen in jener Stadt auf dem Spiel, die mit über 60 Prozent für den Brexit gestimmt hatte.

Büroraum-Suche in Frankfurt

Da konnte die Regierungspartei nicht untätig bleiben, denn schliesslich haben die Tories die Wutbürger der «working class» als Wählerpotential entdeckt. Britische Banker sind auf Büroraum-Suche in Frankfurt. Easyjet prüft die Verlagerung seines Hauptquartiers in die EU, um sogenannte Cabotage-Rechte nicht zu verlieren. Der britische Verbraucher bekommt bei Importprodukten inzwischen die Pfundschwäche zu spüren.

Während die britische Regierung noch immer kein Verhandlungskonzept für den Brexit besitzt, das heisst, ein solches womöglich zunächst im Parlament wird debattieren müssen, hat die EU-Kommission durchblicken lassen, wie es laufen könnte.

Der Weinkeller für die Briten?

Zunächst einmal ist May mit ihrer Idee gescheitert, bereits vor Beginn der Austrittsgespräche Zusicherungen für die Zeit danach zu bekommen. Inzwischen spricht sie selbst genau wie die EU von einer Übergangslösung als Teil des Austritts-Paktes. Man könnte die Briten im EWR «parkieren», bis die zukünftigen Handelsbeziehungen zwischen EU und Grossbritannien geklärt sind.

Dies setzt allerdings reibungslose Austrittsverhandlungen voraus, und danach sieht es zur Zeit nicht aus. Grösster Stolperstein sind die laufenden finanziellen Verpflichtungen der Briten, die sich nach EU-Berechnung auf bis zu 60 Milliarden Euro summieren. Dem stehen Ansprüche der Briten auf ihren Teil des Anlagevermögens der EU-Institutionen gegenüber. Man spricht hier von etwa 2 Milliarden Euro. Die Kommission wird den Briten wohl gerne ihren Weinkeller überlassen, wenn diese die übrigen Forderungen akzeptieren.

Nicht ohne Vorweg-Konzessionen

Auch die Handelsbeziehungen des Vereinigten Königreiches zum Rest der Welt müssen auf eine neue Basis gestellt werden. Selbst optimistische Schätzungen gehen davon aus, dass dies nicht vor Mitte der 2020er-Jahre möglich sein wird.

Zunächst einmal müssten die Briten Vollmitglied der WTO werden. Bereits dies wird nicht ohne Verhandlungen und Vorweg-Konzessionen möglich sein. Brasilien hat bereits Wünsche im Agrarbereich angemeldet. Danach erst gelten die WTO-Regeln auch für die Briten, etwa die Meistbegünstigung.

Wie Hans im Glück?

Abkommen mit den grossen Handelsblöcken der Welt werden schwierig und langwierig, denn der Wind hat in Richtung Protektionismus gedreht. Niemand spricht mehr von der grossen Vision der Brexit-Protagonisten, durch vorteilhafte Freihandels-Deals mit Übersee die Nachteile einer Nichtmitgliedschaft im EU-Binnenmarkt mehr als nur zu kompensieren.

Hans im Glück hatte bekanntlich Pech im Handel, tauschte das Goldstück letztlich gegen den Mühlstein, und selbst dieser fiel in den Brunnen. Am Ende ist er arm aber glücklich. Die Briten haben ihr «Goldstück», die profitable à la carte-Mitgliedschaft bei der EU mit Binnenmarkt und Zollunion, gegen den Mühlstein jahrelanger Unsicherheit über die eigene Zukunft getauscht.

Werden auch sie am Ende, befreit von den Zwängen der EU-Mitgliedschaft, wenigsten glücklich sein? Vielleicht, aber es wird teuer.


Dieter Ruloff ist Professor emeritus für Internationale Beziehungen der Universität Zürich. Er erwarb 1971 an der Universität Konstanz den magister artium (M.A.) in Geschichte und Politikwissenschaft, 1974 promovierte er an der Universität Zürich, 1980 erfolgte seine Habilitation an der Philosophischen Fakultät der Universität Zürich. Zum Wintersemester 1987 wurde er an der Universität Zürich zum Titularprofessor ernannt.

Von 1990 bis 1993 war er Direktionsmitglied der Schweizer Grossbank UBS und dort mit der Leitung der Stabsabteilung für Länderrisiken betraut. 1993 wechselte er zurück an die Universität Zürich als Ordinarius für Internationale Beziehungen. Gleichzeitig übernahm er als Geschäftsführer die Leitung des Schweizerischen Instituts für Auslandforschung (bis 2008). Er ist Gründungsmitglied des Center for Comparative and International Studies der ETH und der Universität Zürich und war bis 2012 Direktor des Instituts für Politikwissenschaft an der Universität Zürich.

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