Seit vier Monaten dauert der Protest der Hongkonger Demokratiebewegung an und kulminiert am heutigen Dienstag in einem denkwürdigen Ereignis: dem 70. Jahrestag der Gründung der Volksrepublik China. Die bis 2047 noch als Sonderverwaltungszone geltende Metropole ist dabei gespalten wie noch nie. Die Bilder.

Glaubt man ausschliesslich den Bildern und Videos in den Medien, dann befindet sich Hongkong seit vier Monaten im Kriegs- und Ausnahmezustand. Kaum ein Tag vergeht mehr, ohne dass nicht von gewalttätigen Ausschreitungen die Rede ist. Kampfparolen wie «Revolution Now», «ChiNazi» oder «We Stand Together» laden die explosive Stimmung noch zusätzlich an. 

So erstaunt es nicht, dass viele Touristen und Geschäftsreisende der Stadt fern bleiben. Die Hongkonger Fluggesellschaft Cathay Pacific verzeichnete im August gut 40 Prozent weniger Passagiere, und viele Hotels müssen einen massiven Gästeschwund von teilweise mehr als 50 Prozent hinnehmen; akzentuiert hat sich diese Situation noch zusätzlich, seit die Behörden von rund 20 Mega-Städten in China keine Reisevisa mehr ausstellen.

Doch ein Augenschein in Hongkong erstaunt dieser Tage. Denn werktags spürt der Besucher kaum etwas von den kolportierten Ausschreitungen. Das (Geschäfts-)Leben in der Stadt pulsiert und nimmt unbekümmert seinen Gang. In der Finanzwelt kommt es weiter zu Fusionen und Übernahmen, Online-Banken erhalten Lizenzen und die Banken eröffnen neue Geschäftsbereiche. Die Trams, Busse und U-Bahnen funktionieren einwandfrei, praktisch alle Geschäfte sind geöffnet, während die Sicherheit in den stark frequentierten Stadtvierteln jederzeit gewährleistet ist.

Parallelwelt am Wochenende

Einzig die unzähligen, täglich frisch an Säulen und öffentlichen Wände angekleisterten Plakate illustrieren eine Parallelwelt, die jeweils am Freitagabend erwacht und sich bis Sonntag in einer nie da gewesenen Vehemenz und Eruption an Gewalt manifestiert. So lange, bis dann der geschäftige Alltag wieder einkehrt.

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(Proteste am Hongkonger Airport gegen das nun zurückgezogene Auslieferungsgesetz, Bild: Shutterstock)

Dieses Doppelleben, das Hongkong seit nunmehr vier Monaten führt, vergegenwärtigt den Konflikt, bei dem es nicht nur um Demokratie gegen Diktatur geht, sondern ebenso um Errungenschaften und Zukunftsperspektiven. Und zu keinem anderen Zeitpunkt als am 1. Oktober kommt das Ausmass dieser Tragödie besser zum Ausdruck.

Düstere Visionen übertroffen

Denn an diesem Datum gedenkt die Volksrepublik China ihrer Gründung, heuer zum 70. Mal. Tatsache ist: Kein anderes «Experiment» als die 1978 von Deng Xiaoping eingeleitete wirtschaftliche Öffnung des Reichs der Mitte hat mehr Menschen auf dieser Welt aus der Armut befreit und Wohlstand geschaffen – ein Wohlstand der bis heute prosperiert, allerdings immer auch seinen Preis hatte.

In Form von totaler Kontrolle durch eine Obrigkeit, die selbst die kleinste Abweichung nicht zulässt und damit die düsteren Visionen von George Orwell in seinen Büchern «Animal Farm» und «1984» schon lange übertroffen hat. Letztlich liegt genau darin der tragische Konflikt, der in Hongkong seit nun vier Monaten in einer ungeahnten Härte und Beharrlichkeit ausgefochten wird.

China im Dilemma

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(Ein Land, zwei Systeme, Bild: Shutterstock)

Dabei geht es nicht bloss um Freiheit und Demokratie, sondern es geht um einen komplexen Generationenkonflikt, der mittlerweile ganze Familien zu entzweien droht und gleichzeitig eine wirtschaftliche Supermacht wie China zunehmend in das grösste Dilemma seit ihrem Bestehen stürzt.

Im Kleinen, also in der Familie, ist es die Auseinandersetzung zwischen dem, was die Eltern mit ihrer aufopfernden Arbeit in den vergangenen Jahrzehnten an Wohlstand aufgebaut haben und die darum kaum Verständnis für die heutigen Proteste haben, und dem Entsetzen der nächsten Generation, sich über kurz oder lang einer Obrigkeit ausliefern zu müssen, die selbst den leisesten Ansatz von Freiheit und Demokratie im Keim erstickt. Oder wie es vom einstigen US-Staatsmann Benjamin Franklin überliefert heisst: «Wer Freiheit für Sicherheit aufgibt, wird beides verlieren.»  

Gebundene Hände

Im Grossen zeigt sich der Generationenkonflikt mit Blick auf die chinesischen Machthaber in Peking. Naheliegend aus ihrer Sicht wäre es, dieser anhaltenden Rebellion mit aller Härte zu begegnen und sie so rasch wie möglich zu beenden. Doch gerade weil diese Parteioberen in den vergangenen Jahrzehnten des wachsenden Wohlstands ihre privaten Pfründen in diesem Eldorado westlicher Opulenz aufgebaut haben, sprich in Immobilien und Firmen in Hongkong investiert haben, sind ihnen die Hände gebunden.

Denn jeder radikale Eingriff in Hongkong ginge mit einem globalen Reputationsverlust einher, der die Metropole wirtschaftlich ins Verderben reissen würde – was auch nicht im Sinne Pekings wäre.

Restlos überfordert

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(Proteste am Wochenende, Bild: Kirk Iai, Unsplash)

Unter diesen Prämissen dürfte der Konflikt um Hongkong wohl noch eine ganze Weile fortdauern, zumal die Protestbewegung entgegen früherer Erwartungen keinerlei Abnützungserscheinungen bekundet und Peking gleichzeitig mit der Angelegenheit restlos überfordert ist. Im Jahr 1997, als die Briten aus Hongkong abzogen, führte China die Maxime «Ein Land, zwei Systeme» ein und zwar mit einer Übergangszeit von 50 Jahren. In 28 Jahren wird Hongkong folglich «für immer» zum Reich der Mitte gehören. 

Die Frage dabei ist bloss, wie kann Hongkong auch in Zukunft von seinem Sonderstatus profitieren, zumal so viele Interessen im Spiel sind. Das Ganze könnte zu einem langwierigen Unterfangen werden, wobei die wirtschaftlichen Errungenschaften der vergangenen Jahrzehnte durchaus den Ausschlag geben könnten, dass am Ende des Tages doch nicht alles verloren geht.

 

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