Die Erfahrungen aus der Zeitenwende von 2022 lassen darauf schliessen, dass 2023 einiges anders wird. finews.ch hat bereits zehn Entwicklungen ausgemacht.


1. Risikomanagement wird zum Mass der Dinge

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(Bild: Vlada Karpovich, Pexels)

Die Corona-Pandemie, der Krieg in der Ukraine oder auch der Kurssturz des Bitcoins, letztlich auch die Milliardenverluste der Credit Suisse – alle diese Ereignisse wären mit den heutigen Mitteln und Modellen durchaus vorhersehbar gewesen.

Doch so richtig, wollte es offenbar niemand kommen sehen. Denn es spielten auch emotionale und historische Überlegungen mit hinein, so dass die Folgen dieser Ereignisse umso grösser waren.

Die Lehre daraus ist klar: Sowohl in der Politik als auch in der Wirtschaft wird 2023 das Risikomanagement einen wesentlich höheren Stellenwert erhalten. Vielleicht führt dies zu etwas mehr Absehbarkeit, allerdings auch zu einer gewissen Zurückhaltung, was neue Projekte und Initiativen angeht.

2. Investieren wird spannender

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(Bild: finews.ch-CIO-Roundtable)

In den vergangenen zwanzig Jahren war Investieren eine Einbahnstrasse, selbst wenn die globale Finanzkrise von 2008 die Pläne vieler Anlegerinnen und Anleger schonungslos durchkreuzte. Unverändert blieb über die vergangenen zwei Jahrzehnte, dass sich die Politik der wichtigsten Zentralbanken dieser Welt durch eine noch nie dagewesene Geldschwemme und stetig sinkende Zinsen auszeichnete. Das machte das Investieren einfach und führte dazu, dass praktisch alle Anlageklassen zulegten.

Erst im vergangenen Jahr veränderte sich diese Situation mit der Zinswende. Seither dominieren nicht mehr staatliche Eingriffe die Entwicklung an den Finanzmärkten. Vielmehr rücken die Fundamentaldaten der Unternehmen wieder in den Vordergrund. Das macht das Geldanlegen definitiv anspruchsvoller – aber auch spannender, wie sich auch am CIO-Roundtable von finews.tv zeigte.

3. Im Private Equity entsteht die nächste Blase

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(Bild: Shutterstock)

Aufgrund der heftigen Verwerfungen an der Börse sah sich die Finanzbranche gezwungen, ihren Kundinnen und Kunden neue Anlageklassen anzubieten. Eine davon war Private Equity, weil der Wert nichtkotierter Unternehmen erheblich weniger mit der kurzfristig ausgerichteten Börsenentwicklung korreliert.

Private Equity, in der Vergangenheit ein wenig liquides Geschäft, das vor allem Grossanlegern mit hohen Einsätzen vorbehalten war, wurde über digitale Plattformen «demokratisiert» und auch Kleinkundinnen und -Kunden zugänglich gemacht. Allerdings ist Private Equity ein höchst komplexes Business, das sehr viel Expertise und Engagement erfordert. Insofern eignet es sich für die Masse kaum.

Doch wie so oft in der Finanzwelt funktioniert auch hier nun der Herdentrieb, an dessen Ende die Spekulationsblase unweigerlich platzt.

4. Nehmen wir Abschied von den Unicorns

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(Bild: Shutterstock)

Den Begriff gibt es zwar schon länger, doch erst in den vergangenen fünf Jahren tauchte er regelmässig im beruflichen Sprachgebrauch auf. Die Rede ist von den Unicorns, den Einhörnern. Gemeint sind damit Jungunternehmen, die das Potenzial haben, in relativ kurzer Zeit einen Firmenwert von mehr als einer Milliarde Dollar zu erreichen.

Davon gab es in jüngster Zeit einige, vor allem im Fintech- und Kryptobereich. Doch so schnell wie manche Firmen zu Unicorns mutierten, so rasch verloren sie im Sog der letztjährigen Börsenbaisse diesen begehrten Status wieder. Das ist vor allem bei jenen Unternehmen dramatisch, die zwar trotz milliardenschwerer Bewertung mit ihrem Geschäftsmodell noch kaum Geld verdient haben. Damit zeigt sich, dass ein in der Zukunft liegendes Renditepotenzial nicht über alle Massen eine Garantie ist, um Geld zu verdienen.

Die Begeisterung der Investorinnen und Investoren für Unicorns dürfte in diesem Jahr einer Rückbesinnung auf bewährte, sprich bereits profitable Firmen mit einem langfristigen Leistungsausweis weichen.

5. Social Media wird zur Nebensache

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(Bild: Andrea Piacquadio, Pexels)

Die Zeiten unmittelbar vor einem Crash an den Finanzmärkten sind oftmals von Hypes und sonstigen Übertreibungen geprägt. Ein solcher war in den vergangenen Jahren sicherlich die übermässig starke Gewichtung von Social Media – auch in der Geschäftswelt. Praktisch jedem CEO wurde geraten, sich auf ausgewählten Kanälen zu inszenieren. Derweil wurden viele Unternehmen nicht müde, sich mit massentauglichen Verlautbarungen – zumeist für eine bessere Welt im Allgemeinen – zu Wort zu melden.

Das dies mehr Schein als Sein war und letztlich wenig zum operativen Fortkommen eines Unternehmens beiträgt, wollte niemand hören. Doch spätestens seit autokratisch geführte Firmen die kunterbunte Social-Media-Welt kontrollieren und auch unklar ist, was alles mit unseren Daten geschieht, verändert sich auch der Umgang mit solchen Tools. Seit ein paar Monaten haben die Sozialen Medien begonnen, in die Nische abzuwandern. Das dürfte sich 2023 beschleunigen.

6. Die beste Zeit für Startups ist jetzt

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(Bild: Shutterstock)

Doch nicht alles ist schlecht in Krisenzeiten wie jetzt. Ein Blick in die (Wirtschafts-)Geschichte zeigt, dass viele, heute bedeutende Unternehmen gerade in unsicheren und daher schwierigen Zeiten das Licht der Welt erblickt haben. Die Hälfte der Fortune-500-Firmen wurde während Wirtschaftskrisen gegründet.

Der Ursprung von Walt Disney und United Airlines geht auf die Grosse Depression der späten 1920er-Jahre zurück. Apple und Microsoft entstanden in der Rezession der 1970er-Jahre, und heute angesagte Unternehmen wie Airbnb oder Spotify wurden während der Finanzkrise von 2008 und 2009 aus der Taufe gehoben.

Schwierige Zeiten machen die Menschen kreativer. Gleichzeitig haben die Erfahrungen aus der Corona-Pandemie gezeigt, dass Arbeiten praktisch von überallher und digital mit Fachleuten aus der ganzen Welt möglich ist. Das eröffnet einzigartige Chancen, die sich 2023 manifestieren werden.

7. Künftig zählen vor allem Skills

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(Bild: fauxels, Pexels)

Fachwissen ist gut und wertvoll, aber nicht das Ende der Fahnenstange. Die Arbeitswelt ist heute wesentlich komplexer strukturiert, so dass andere Werte und Tugenden ebenso zählen. Neudeutsch lassen sich diese unter dem Begriff «Skills» zusammenfassen.

Gemeint sind damit Fähigkeiten wie der pragmatische und tolerante Umgang mit Technologie, aber auch analytisches Denken sowie emotionale Intelligenz und die Bereitschaft, im Sinne der Plattform-Ökonomie auch im Kleinen gezielt zu kooperieren.

Zu den Skills zählt freilich auch der Gebrauch des gesunden Menschenverstands, vor allem wenn es darum geht, im Umfeld der Technologie die Trends in Sachen Künstlicher Intelligenz, Big Data oder virtueller Realität unvoreingenommen abzuschätzen und einzuordnen. HR-Verantwortliche müssen 2023 über die Bücher.

8. Das Büro ist jetzt anderswo

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(Bild: Unsplash)

Die Zeit der Bürohäuser als Statussymbole der wirtschaftlichen Prosperität läuft, parallel zum Ausstieg der Babyboomer-Generation aus dem Arbeitsleben, unwiderruflich ab. Zum einen hängt dies natürlich mit der Homeoffice-Erfahrung der vergangenen drei Jahre zusammen, und dabei vor allem mit der Einsicht, dass sich viele Arbeiten von überallher erledigen lassen. Zum andern spielt aber aber auch mit, dass viele Unternehmen in den nächsten Jahren noch stärker auf ihre Kosten achten müssen.

Bereits gibt es klare Indizien, dass dadurch der Bedarf an grossen Geschäftsimmobilien zurückgehen wird – selbst wenn derzeit noch vielerorts munter weitergebaut wird. Umnutzungen werden unweigerlich sein, so, wie es sie auch schon in der Vergangenheit in vielen Branchen gegeben hat. Die Londoner Canary Wharf ist ein gutes Beispiel dafür. Und wer erinnert sich hierzulande noch, dass in den trendigen Maag-Hallen in Zürich einstmals die Maschinenindustrie hauste?

9. Echte Exklusivität statt virtuelle Cartoon-Fake

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(Bild: Shutterstock)

Für einige Beachtung sorgte im vergangenen Jahr das gehäufte Aufkommen virtueller Welten unter dem Stichwort Web3 und vor allem Metaverse. Allerdings erwiesen sich diese Welten noch kaum als massentauglich. Zu rudimentär und eher anekdotisch ist fast alles, was in diesen Universen bislang geboten wird.

Vermutlich werden wir uns noch etwas gedulden müssen, bevor wir uns in diesen Parallelwelten wirklich vergnügen können. Metaverse ist vorläufig nichts anderes als ein Cartoon-Fake.

Ein anderer, exklusiver Trend ist da schon viel weiter – sofern man das nötige Kleingeld dafür besitzt: In Asien entstehen Luxusboutiquen, die man nur auf Einladung aufsuchen kann, sowie Hotelsuiten, wo sehr vermögende Leute abseits der Hektisch ihre Einkäufe planen, aussuchen und zusammenstellen können. Man spricht in diesem Zusammenhang von VICs (Very Important Customers). Der erlesene Super-Exklusivclub-Gedanke dürfte 2023 noch weitere Verbreitung finden.

10. Personalplanung wird langfristiger

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(Bild: Huana Miskander, Unsplash)

Natürlich haben 2022 zahlreiche Unternehmen überall auf der Welt viele Arbeitsplätze gestrichen, oder sind noch daran. Allerdings zeichnete sich im vergangenen Jahr auch ein Gegentrend an: der akute Fachkräftemangel, der zahlreiche Firmen vor grosse Herausforderungen stellt.

Unter diesen Vorzeichen werden sich viele Unternehmen künftig genau überlegen, ob sie wirklich im grossen Stil Arbeitsplätze streichen wollen. Denn sollte sich die Wirtschaft rascher erholen als angenommen, dürfte sich die Suche nach dringend benötigtem Personal als besonders schwierig herausstellen.

In akademischen Kreisen spricht man bereits vom «Talent Warehousing», also vom Erhalt bewährter Fachkräfte, die man rascher wieder einsetzen kann.