Die neueste Enforcement-Statistik der Aufsicht hat es in sich. Nicht nur wegen der Rettungsaktion für die Credit Suisse sollte die Schweiz darüber nachdenken, wie dem Treiben an ihrem Finanzplatz besser Einhalt geboten werden kann.

«Wir wünschen Ihnen eine anregende Lektüre»: Mit diesen Worten leiten Präsidentin Marlene Amstad und Direktor Urban Angehrn (Bild unten) ein in den Geschäftsbericht des Jahres 2022, den die Eidgenössischen Finanzmarktaufsicht (Finma) am gestrigen Dienstag veröffentlicht hat. Anregend ist aber wohl das falsche Adjektiv, um den Inhalt dieses Rechenschaftsberichts zu beschreiben. Erschreckend wäre zutreffender.

Bei mehr als 1'000 Fällen aktiv geworden

So hat es insbesondere die Statistik zum Enforcement in sich. Dort wird gemessen, wie die Behörde geltendes Recht durchsetzt; Enforcement-Verfahren zählen mitunter zum gröbsten Geschütz, das die Aufsicht gegen Regelverstösse auffahren kann.

Im vergangenen Jahr hat dort die Zahl der durchgeführten Abklärungen und abgeschlossenen Verfahren im Vergleich zum Vorjahr um mehr als 10 Prozent zugenommen. Werden alle abgeschlossenen Geschäfte im Bereich der Rechtsdurchsetzung zusammengezählt, wurde bereits im Jahr 2020 die Tausendergrenze durchstossen. Zwei Jahre später musste die Finma bei 1’176 Fällen aktiv werden.

Vervielfachung der Abklärungen wegen Insiderhandel

Die Trend zeigt auch anderswo nach oben, und dies bei teils schweren Verdachtsmomenten. Die Enforcement-Verfahren ohne Amtshilfe sind in den vergangenen drei Jahren von 30 auf 39 gestiegen. Von diesen waren Total 91 Parteien betroffen, gegenüber 43 im Jahr 2020.

Die Abklärungen wegen Insiderhandel kletterten von 78 auf 239 Fälle. Marktmanipulationen nahmen von zwölf auf 22 zu. Die Zahl der Finanzmarktteilnehmer, die ohne Finma-Bewilligungen oder sonstige Aufsichtsmodelle unterwegs waren, stieg von 191 auf 206. Und letztes Jahr wurden die Handlungen von 50 Einzelpersonen abgeklärt, gegenüber lediglich sieben zwei Jahre zuvor.

AmstandAngehrn 500

(Bild: Finma)

Kosten für Compliance steigen

Wird der Schweizer Finanzplatz immer mehr zur Bühne für Akteure, die sich nicht um Gesetze und Vorschriften scheren – zur Bühne für Outlaws? Angesichts der seit Jahren steigenden Investitionen in die Compliance, zumal im Banking, ist dies eigentlich schwer vorstellbar. Auch bei der Finma steigen die Kosten, nicht zuletzt aufgrund des Überwachungsaufwands. Im Jahr 2022 gab die Behörde insgesamt 133 Millionen Franken aus. Das sind 7 Millionen Franken mehr als im Vorjahr.

Eine teurere Überwachung und ein dichter werdendes Netz an Vorgaben wirken aber offenbar nicht abschreckend genug: Der Wachhund muss immer öfter auf die Pirsch gehen.

Mehr Polizei?

Natürlich: wo mehr Polizisten stehen, werden auch öfter Bussen verteilt. Tatsächlich hat die Finma im vergangenen Jahr ihren Personalbestand noch ausgebaut. Auf Anfrage heisst es bei der Behörde, dass sie das Enforcement in den letzten Jahren gezielt eingesetzt habe, um Verhaltenspflichten durchzusetzen.

Im Enforcement sei auch vermehrt die Corporate Governance von Instituten thematisiert und entsprechende Verstösse gegen Organisationsvorschriften konsequent festgestellt worden, sagte ein Sprecher. Kurz: es wurde tatsächlich mehr hingeschaut.

Wie ein Hilferuf

Dennoch könnten die jüngsten Aussagen der Finma-Führung, die eigentlich in Zusammenhang mit der Rettung der Credit Suisse (CS) gefallen sind, als Hilferuf für das Enforcement gedeutet werden. So forderte Finma-Präsidentin Amstad für ihre Behörde die Möglichkeit, Bussen zu verteilen und Zwangsmassnahmen gegen fehlbare Manager zu verhängen. Auch Direktor Angehrn beklagte, derzeit seien die Hürden bei der Bestrafung von Einzelpersonen sehr hoch, und die Aufsicht sei in der Kommunikation der Fälle eingeschränkt.

Nun stellte die Finma in Aussicht, die Berichterstattung zu Enforcement-Verfahren ausbauen, etwa mir der Publikation von Erwägungen zu ausgewählten Verfügungen. Ob das dem Trend zu immer mehr Fällen die Spitze nimmt, bleibt abzuwarten.

«Fortbestehende sehr hohe Risiken»

Beunruhigend ist zudem, dass sich die Aufsicht weiterhin mit einem Thema herumschlägt, vor dem sie seit Jahren warnt: der Geldwäscherei. In ihrem Risikomonitor konstatierte die Behörde im vergangenen November «fortbestehende sehr hohe Risiken» in dem Bereich. Die eingegangenen Meldungen bei der Geldwäschereimeldestelle MROS und die Berechnungen dazu zeigten eine Zunahme von rund 12 Prozent gegenüber 2020.

Wie die Finma nun im Jahresbericht festhielt, schloss sie 2022 nochmals zwei Verfahren ab – bei einer Bankengruppe und einer Versicherung, bei denen die Anforderungen zur Bekämpfung von Geldwäscherei und Terrorismusfinanzierung in Bezug auf eine Finanzgruppe im Vordergrund standen.

Schwer nachvollziehbar

Schwer nachvollziehbar erscheint auch, dass es weiterhin einen von der Finma gebilligten Mechanismus gibt, der Einzelpersonen ohne Sanktionierung «entkommen» lässt. Wer nämlich auf eine berufliche Tätigkeit im Finanzsektor verzichtet, darf darauf hoffen, dass die Aufsicht ein laufendes Enforcement-Verfahren einstellt. Nachdem der erstinstanzliche verurteilte Ex-Raiffeisen-Chef Pierin Vincenz bereits 2017 von diesem Passus Gebrauch gemacht hatte, sind im vergangenen Jahr nun zwei in die «Spygate»-Affäre bei der CS verwickelte Personen einem Verfahren entgangen.

Wenn die Aufsichtsziele bereits mit dem Verzicht vollständig erreicht würden, könne es verhältnismässig sein, auf ein Enforcementverfahren zu verzichten, kommentierte die Finma das Vorgehen.

Ruf der Aufsicht fällt auf Beaufsichtigte zurück

Nachdem die Aufsicht wegen des Debakels rund um die AT1-Anleihen der CS bereits weltweit für Aufsehen sorgte, müsste die Schweiz darum bemüht sein, dass der Ruf ihrer Finanzaufsicht nicht auch noch wegen einer Flut von Regelverstössen beschädigt wird. Denn dies würde in einer heiklen Marktphase auch auf die beaufsichtigten Akteure am hiesigen Finanzplatz zurückfallen.

Kurz: es braucht einen Grundsatzentscheid für eine wirklich starke Aufsicht – die von Finma-Präsidentin gewünschte Kompetenz zu Bussen zeigt dabei in die richtige Richtung. Das Instrument ist zwar nicht sonderlich subtil. Aber immerhin hätte die Finma damit ein griffiges Mittel in der Hand, um Regelverstösse konsequent zu ahnden.

Muss ein Sheriff her?

Wie finews.ch bereits analysierte, ist die Finanzaufsicht zudem weiterhin zu stark in die Bundespolitik eingebunden. Damit ist sie anfällig gegenüber dem Wirken von Interessensgruppen, die sich für ihre Geschäfte eine schwache Regulierung wünschen. Eine Lektion müsste deshalb lauten, Politik und Aufsicht zu entflechten. Das ist auch am ehesten Garant dafür, dass der Staat der nächsten Bankenrettung fern bleiben kann.

Ob man sich einen mit so viel Macht ausgestatteten «Sheriff» wie die amerikanische Börsenaufsicht SEC heranziehen möchte, muss diskutiert werden. Wie aber der Aufruhr um den verschobenen Geschäftsbericht bei der CS zeigte, hat eine solcherart aufgestellte Behörde zumindest einen Vorteil: Sie wird weltweit respektiert.

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