Der Biotech-Sektor durchlebte in den vergangenen zwei Jahren schwierige Zeiten. Investorinnen und Investoren wandten sich selbst von erstklassigen Unternehmen ab. Verschiedene Faktoren scheinen nun aber ein Umdenken eingeleitet zu haben, wie Daniel Koller von Bellevue Asset Management im Interview mit finews.ch feststellt.  


Herr Koller, 2023 war kein einfaches Jahr für Biotech-Anleger. Wie entwickelt sich die Branche in diesem Jahr?

Nach einem schwierigen 2023, dessen Hauptursache die steigenden Zinsen waren, haben die Kapitalmärkte nun wieder Gefallen an Biotechfirmen gefunden. Die Aussicht auf sinkende Zinsen hat zu einem Umdenken geführt.

Während das Gros der Anlegerinnen und Anleger grosse Biotechunternehmen bevorzugt, umwerben und kaufen Pharmariesen kleinere Biotechs, um ihre Pipeline und ihren Technologiezugang weiter auszubauen.

«Wir erwarten dieses Jahr ein dynamisches Finanzierungsumfeld mit vermehrten Börsengängen»

Die jüngste Belebung der Übernahmeaktivitäten in Verbindung mit einem stärkeren Kapitalmarkt, der den Unternehmen die Kapitalbeschaffung wieder erleichtert, stützt den Sektor – und zeigt auch, dass Biotechs sehr attraktiv bewertet sind. Ihre starke Innovationskraft ist ihr Markenzeichen.

Liess die US-Arzneimittelbehörde FDA im Jahr 2022 noch 37 Medikamente zu, waren es 2023 bereits 55. Und auch für 2024 rechnen Experten mit ähnlich hohen Zulassungszahlen.

Wie beeinflussen die jüngsten Trends das Finanzierungsumfeld für Biotechs?

Wir erwarten dieses Jahr ein dynamisches Finanzierungsumfeld, gekennzeichnet von verstärkten Aktivitäten im Bereich der Kapitalbeschaffung, zunehmende PIPE-Transaktionen und möglicherweise vermehrte Börsengänge.

Wir beobachten daher auch die Mittelflüsse in öffentliche Biotech-Investmentfonds, da wir angesichts des wiedergewonnenen Marktvertrauens und der vielversprechenden Renditen mit Zuflüssen rechnen.

«Ich bin gespannt, wie der Markt innovative Produkte wie die GeneEditing-Therapie Casgevy aufnimmt»

Vor allem die Wagniskapital-Finanzierung, die sich rückläufig entwickelt hat und auf ein Mehrjahrestief gesunken ist, birgt Potenzial für ein Turnaround-Szenario.

Was sind Reaktionen der Unternehmen?

Von den Unternehmen hören wir, dass ihr strategischer Fokus darauf liegt, durch die volatilen Kapitalmärkte zu navigieren, sich auf anhaltend hohe Kapitalkosten einzustellen und ihre Finanzen zu stärken, um für Investitionen in Pipelineprojekte und Produkteinführungen gewappnet zu sein.

Kooperationsvereinbarungen und M&A-Aktivitäten, die Ende 2023 zunahmen, dürften eine wichtige Rolle dabei spielen, den Kapitalbedarf des Sektors zu decken. Dynamische M&A-Aktivitäten erwarten wir vor allem bei Unternehmen, die in den Bereichen Adipositas, Autoimmunkrankheiten und Onkologie tätig sind.

Ein wichtiger Impulsgeber sind Produktlancierungen. Was können wir hier dieses Jahr erwarten?

Ich bin gespannt, wie der Markt innovative Produkte wie die bahnbrechende GeneEditing-Therapie Casgevy aufnimmt. Dabei handelt es sich um eine von Crispr Therapeutics und Vertex entwickelte Geneditierungstherapie, die kürzlich zur Behandlung von Sichelzellkrankheit und Beta-Thalassämie zugelassen wurde.

«Wir verfolgen aufmerksam die Fortschritte bei therapeutischen Impfstoffen»

Wir sprechen hier von einer personalisierten Gentherapie zur Behandlung schwerer genetischer Erkrankungen, die nur einmalig verabreicht wird, allerdings mit einem aufwendigen Behandlungsverfahren einhergeht.

Ebenfalls interessant wird die Veröffentlichung der Ergebnisse wichtiger Machbarkeitsstudien zu Spitzentechnologien, einschliesslich der In-vivo-Geneditierung.

Eines ihrer Kerninvestments ist Moderna. Das Unternehmen war während der Pandemie führend in der Impfstoff-Entwicklung. Wie sieht Modernas Pipeline nun aus?

Hier möchte ich zwei Bereiche hervorheben. Ich erwarte die Entwicklung eines zweiten prophylaktischen Impfstoffes, einem RSV-Vakzin, dessen Zulassung für 2024 geplant ist.

«Neue chemische Substanzen treiben die klinische Entwicklung voran»

Ausserdem verfolgen wir aufmerksam die Fortschritte bei therapeutischen Impfstoffen, darunter auch personalisierte Krebsimpfstoffe, und Modernas Bemühungen, mRNA-1083, einen Kobinationsimpfstoff gegen Influenza-und Covid-19 zu entwickeln.

Gibt es weitere Highlights, die man als Anlegerin oder Anleger unbedingt auf dem Radar haben sollte?

Alnylam, unser Investment im RNAi-Bereich, wird voraussichtlich wichtige Daten einer spätklinischen Studie zu Vutrisiran bei Patienten mit TTR-Kardiomyopathie vorlegen, wodurch das Unternehmen zusätzlich zum Markt für extrem seltene Krankheiten möglicherweise auch Zugang zu häufigeren Erkrankungen und damit zu einer grösseren Patientengruppe erhalten könnte.

Einen ähnlichen kommerziellen Weg schlägt Ionis Pharmaceuticals mit seiner neuesten Antisense-Oligonukleotid-Therapie ein, mit der es in den kommenden Jahren auf ein breiteres Krankheitsspektrum abzielt. Neue chemische Substanzen, wie PROTACs und LYTACs, treiben die klinische Entwicklung voran. Sie zielen auf den intrazellulären beziehungsweise extrazellulären Proteinabbau ab und bieten sogar als mögliche oral verabreichte Therapien vielversprechendes Potenzial.

Unterdessen werden zellbasierte Behandlungsmethoden, einschliesslich der CAR-T-Therapien, über die Onkologie hinaus zur Behandlung schwerer Autoimmunerkrankungen erforscht, wobei erste klinische Ergebnisse Investitionen in die weitere klinische Entwicklung rechtfertigen, wie im Falle von Fate Therapeutics.

Was beschäftig Sie langfristig als Investor?

Seit Jahren stagniert die Entwicklung neuer Arzneimittel gegen zahlreiche Krankheiten. Das liegt vor allem daran, dass man lange etablierte Behandlungsstandards nur zögerlich überwindet, dass ein Mangel an neuartigen Wirkstoffwegen und Behandlungsmodalitäten besteht sowie einer Verlagerung der Schwerpunkte in der Pharmaindustrie auf andere Bereiche stattfindet.

«Wir sehen auch Bewegung im Bereich Psychopharmaka»

Ich erwarte hier eine Trendwende und bedeutende Fortschritte in der Forschung. Ein Beispiel ist Vertex, die erste Topline-Daten aus mehreren zulassungsrelevanten Studien zu VX-549 vorlegt, einem kleinmolekularen Wirkstoff, der zur Behandlung akuter Schmerzen auf spannungsgesteuerte Natriumkanäle wie etwa NaV1.7 und NaV1.8 abzielt. Forscher untersuchen, ob dieser Wirkstoff möglicherweise die Weiterleitung von Schmerzsignalen an das Gehirn blockieren kann.

Wir sehen auch Bewegung im Bereich Psychopharmaka. So treibt unser Portfoliounternehmen Neurocrine Biosciences den Ausbau seiner vielfältigen Pipeline für Produkte gegen Schizophrenie, schwere Depressionen und andere Erkrankungen des zentralen Nervensystems voran.


Daniel Koller stiess 2004 zu Bellevue Asset Management und ist seit 2010 Head Investment Management Team der Firma BB Biotech. Von 2001 bis 2004 war er als Investment Manager bei equity4life Asset Management und von 2000 bis 2001 als Aktienanalyst bei UBS Warburg tätig. Er absolvierte ein Studium in Biochemie an der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich und promovierte in Biotechnologie an der ETH und bei der Firma Cytos Biotechnology, Zürich.

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