Eines der letzten Interviews von Nicolas G. Hayek: Der Unternehmer zeigte Wege auf, wie der Finanzplatz Schweiz gesunden könnte.

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In dem Gespräch für das Buch «Neustart» erläuterte er, welche gesamtwirtschaftlichen Schäden die Wall-Street-Mentalität anrichtet, warum der Einfluss der Finanzleute schleunigst gedrosselt werden muss – und wie es die Schweizer Bankiers wieder an die Weltspitze schaffen.


Neustart_CoverHerr Hayek, was braucht es, damit der Finanzplatz einen erfolgreichen Neustart hinlegen kann?

Zuerst muss die Mentalität, die sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in den Finanzwirtschaft ausgebreitet hat, zurückgebunden werden. Also die Kultur der Wall Street – diese Geisteshaltung, die da lautet: «We must make very much money immediately, and with everything.»

Das ist doch ein Klischee, zumindest teilweise.

Nein, ich selber wurde oft genug damit konfrontiert. Sie ahnen gar nicht, wie viele derartige Vorschläge ich in meiner Karriere erhalten habe. Amerikanische Fondsmanager teilten mir mit, dass sie 300 Millionen Franken in mein Unternehmen investieren wollten – wenn ich ihnen innerhalb einer kurzen Periode eine Verdopplung des Aktienwerts garantieren würde. Ich antwortete immer: «Ich garantiere Ihnen, das dies nicht der Fall sein wird.» Sie wollten einfach, dass ich ein paar Gerüchte in Umlauf bringe und wichtige Investitionen nicht mehr tätige, um den Kurs der Swatch-Group-Aktien zu bewegen. Und das ist nur ein Beispiel unter vielen. (…)

Die Liebe zum schnellen Deal erklärt sich zu einem grossen Teil aus der amerikanischen Geschichte. Aber warum haben die Schweizer so unkritisch die amerikanische Mentalität übernommen?

Man darf nicht vergessen: Die Amerikaner haben den Weltkrieg gewonnen und dadurch einen Grossteil unserer Zivilisation vereinnahmt. Jazz, Pop, Kunst – der amerikanische Einfluss auf uns alle ist sehr, sehr stark. Mitunter ist er auch sehr positiv. Die Amerikaner haben sowohl in der Forschung und Entwicklung wie auch durch ihre demokratische Kultur viel bewegt. Praktisch alle unsere wichtigen Hochschulprofessoren waren ein oder zwei Jahre in den USA, und wir haben viele andere positive Errungenschaften von dort übernommen. Die Söhne unserer Bankiers gingen ebenfalls an die beeindruckende, riesengrosse Wall Street, um zu sehen, was dort abgeht.


«Früher hatten wir noch ein paar Unternehmer, die den Mut besassen, aufzustehen und zu sagen: «So nicht.»

Als erstes Fazit könnte man also ziehen: Sie fordern, dass die amerikanische Mentalität in den Banken gebremst wird.

Das ist ein wichtiger Punkt. Aber nochmals: Es geht nicht um die amerikanische Mentalität als solche, sondern nur um die Wall-Street-Finanzmentalität. Viele US-Firmen stürzten ab, weil sie aus Rücksicht auf den Börsenkurs keine wichtigen Vorinvestitionen mehr in die Forschung, in die Produktentwicklung, in die Produktionsrationalisierung, ins Personal und in die Werbung wagten. Also in Dinge, die zuerst einmal Geld kosten. Sie gingen mit ihrer Produktion lieber in Billiglohnländer. Und das alles nur, um in den Quartalsausweisen die Gewinne nicht zu schmälern und die Aktienkurse nicht zu senken.


«Die Dominanz der gesamten Finanzwirtschaft soll schwinden»

Man kann also zweitens sagen: Sie fordern, dass die Macht der Banken über die übrige Wirtschaft schwindet. Wie wollen Sie dies erreichen?

Nicht nur die Dominanz der Banken soll schwinden, sondern die der gesamten Finanzwirtschaft, insbesondere auch der Anlagefonds. Wir leben in einer freien Gesellschaft, die demokratisch denkt und handelt. Trotzdem darf keiner von uns einfach machen, was er will, auch bei der Pressefreiheit gibt es Grenzen. Also müssen wir den Einfluss der Finanzwirtschaft, wenn er negativ und dominant ist, bremsen können. Aber was tun wir? Wir sagen «ja, aber». Wir sagen: «Regulierung ist vielleicht doch nicht so gut.» Im Strassenverkehr schrauben wir ja auch nicht alle Ampeln ab. Aber viele Finanzfachleute scheinen weiterhin ohne Ampeln durch die Finanzmärkte rasen zu wollen. (…)

War es denn früher besser?

Früher hatten wir zumindest noch ein paar Unternehmer, die den Mut besassen, aufzustehen und zu sagen: «So nicht.» Momentan herrscht eher die Mentalität, dass man am Ende nichts gesagt haben will. Die ganze Schweizer Industrie steht hinter der Forderung, dass man die Finanzbranche stärker kontrollieren soll. Aber wenn es darum geht, konkret zu werden, heisst es bald: «Ja, aber...». Da sind die Banker mutiger. Wenn es ihnen ans Eingemachte geht, steigen sie auf die Barrikaden.


«Das einzige legitime Interesse dieser Branche sollte sein, positiv zu arbeiten»

Für ihre ureigenen Interessen.

Ja, und bezogen auf die Finanzwirtschaft ist mir das Wort «Interessen» momentan ein Gräuel. Das einzige legitime Interesse dieser Branche sollte sein, positiv zu arbeiten, solide Ergebnisse und Bilanzen vorzulegen – ohne andere zu schädigen. Wir müssen unsere Interessen relativieren, nicht jedes Interesse ist legitim. Die Banken dürfen alles machen, solange es alle anderen – unser Land oder die ganze Welt – nicht massiv schädigt.

Attestieren Sie den Banken einen Mangel an Tugend?

Moment, ich rede nicht von den Banken im Allgemeinen, sondern von einigen Banken und einigen Bankmanagern an der Spitze. Viele Bankiers haben sehr viel für die Schweiz getan. Sie haben die Infrastruktur und ganze Industrie finanziert, sie haben geholfen, den Franken stark zu machen, sie haben auch zu unserem Wohlstand beigetragen. Wenn aber jetzt einige Bankchefs jegliche Kontrolle verloren haben, Milliarden an die Luft setzen und die halbe Wirtschaftswelt kaputt machen, können sie doch nicht so tun, also sei nichts geschehen. Soll das wirklich nur eine Kleinigkeit gewesen sein?


«Ich würde mein Geld auch vorsorglich in die Schweiz bringen»

Kann man denn Gier zurückbinden?

Nein, Gier lässt sich nicht zurückbinden. Genauso wenig wie Liebe, Sex, Hunger und Durst. Das sind menschliche Triebe und Bedürfnisse, die im Gegensatz zur Gier legitim sind. Aber wir dürfen der Gier, die Gott sei Dank nicht bei allen Menschen im gleichen Ausmass vorhanden ist, nicht erlauben, sich grenzenlos zu entwickeln und andere damit zu ruinieren (…)

Blicken wir voraus: Was ist das grösste Kapital der Schweizer Finanzbranche?

Der exzellente Ruf des Landes, die Stabilität, der Rechtsstaat. Die stärkste Währung der Welt, die stets positive Handelsbilanz, die tiefen Steuern. Der Sozialstaat, der interne Friede, das ausgezeichnete Ausbildungsniveau, die vorzüglichen Universitäten und technischen Hochschulen … und so weiter. Hier bestimmt nicht eines schönen Tages ein Diktator. Die Schweiz führt auch keine Kriege. Sie lehnt vielmehr Gewalt zutiefst ab. Das Land ist neutral und besitzt eine grosse humanitäre Tradition, denken Sie nur an das Rote Kreuz. Das alles ist sehr wichtig. Würde ich beispielsweise in irgendeinem unstabilen, undemokratischen Staat wohnen, dann würde ich mein Geld auch vorsorglich in die Schweiz bringen. (…)

Die Realität ist aber, dass die Schweiz wegen einzelnen Bankern nun einen angekratzten Ruf hat.

Nein. Ich bin gegen jede Dramatisierung. Sehen Sie es lieber so: Wir alle, Millionen von Menschen in diesem Land, haben dafür gesorgt, dass die Vertrauenswürdigkeit bewahrt wurde. Es gibt in der Schweiz einen Kern der Bevölkerung, der nach wie vor eine klare, saubere Haltung hat. Die Geisteshaltung der meisten Menschen ist anders als bei vielen unserer Dirigenten in Politik und Wirtschaft. Darum bin ich auch zuversichtlich, dass sich das Land in den nächsten Jahren ziemlich positiv entwickelt.


«Wir brauchen umsichtige und visionäre Führungskräfte»

Warum?

Ich rede jetzt nicht nur vom Finanzplatz, sondern insgesamt von unserem Land und seiner Realwirtschaft. Das ist ein Riesenunterschied. China, Indien und viele andere Schwellenländer werden in den nächsten Jahren grosse Entwicklungen durchmachen. Sie werden riesige Industrien aufbauen – Automobil, Stahl, Maschinen, et cetera –, und alle brauchen die Schweiz. Alle. Das heisst, sie werden uns Konkurrenz machen in verschiedenen Produkten, bei einfachen Massenwaren, die keine hohe Qualitätsarbeit erfordern. Aber in vielen Industriezweigen – zum Beispiel im Anlagenbau, in der Uhrenherstellung, in der Spezialitätenchemie und anderen Bereichen – werden wir Schweizer auch in Zukunft federführend sein und eine steigende Nachfrage verzeichnen. Es mag zwar vorkommen, dass wir einzelne Sektoren verlieren, wie das mit der Textilindustrie der Fall war, aber daran sterben wir nicht. Vor diesem Hintergrund wird sich das Bankwesen wieder prächtig entwickeln, vorausgesetzt natürlich, dass wir auch umsichtige und visionäre Führungskräfte haben. (…)

Als Marken-Experte unterscheiden Sie zwischen der Botschaft, die eine Marke haben muss, und ihrem Image: Die Botschaft ist dynamisch, das Image statisch. Welche Botschaft soll der Finanzplatz Schweiz aussenden?

Er muss verkünden, dass das Geld aller Kunden hier bombensicher angelegt ist – ohne Risiko. Dass dieses Geld also nicht verspekuliert wird. Der Finanzplatz soll herausstreichen, dass die Schweiz neutral ist, ein Rechtsstaat mit stabiler Regierung und stabiler Währung. Es gibt nicht viele Länder, die solches von sich behaupten können. Ausserdem soll er die Botschaft glaubhaft ausdrücken, dass das Know-how unserer Bankiers einmalig ist und diese auch den hintersten Winkel der Welt erreichen, um Kontakte zu schliessen, zu investieren und – saubere – Geschäfte zu tätigen, damit gute, solide Renditen erwirtschaftet werden. Der Finanzplatz muss seine Tätigkeiten selber hoch loben können und seine Zuverlässigkeit besser kommunizieren. Klarstellen, dass er schweizerisch arbeitet, mit den erwähnten Tugenden. Und dass er nicht auf Kunden abzielt, die ihre demokratische Regierung fiskalisch hintergehen.


«Der Finanzplatz braucht eine Botschaft, kein Image»

Und das Image? Was muss der Finanzplatz Schweiz für sein Image tun?

Image ist ein statisches Gebilde, das sich nicht bewegt. Der Finanzplatz braucht eine Botschaft, kein Image.

Mag sein, dass die Schweiz noch als Hort der Stabilität und Freiheit wahrgenommen wird. Aber sie gilt ebenso als das Land der Rosinenpicker.

Ja, viele Leute im Ausland sagen das, teilweise aus purem Neid, und im Hinblick auf einen kleinen Teil der Schweizer teilweise auch nicht ganz zu unrecht. Aber die «normalen» Menschen in der Schweiz sind ja nicht so. Im Gegenteil. Unsere Asylfreundlichkeit, unser humanitärer Einsatz überall, unsere Vermittlungen und Bemühungen weltweit beweisen es. Der Anteil der Ausländer, die in der Schweiz wohnen und arbeiten – zum Beispiel auch immer mehr aus Deutschland – ist der höchste der Welt. Und würden Sie heute in den wichtigsten Ländern der Welt eine Umfrage machen, würde die Schweiz überwiegend positiv beurteilt werden. Da bin ich mir sicher. (…)

Das Bankgeheimnis muss neu positioniert werden?

Jetzt ist die Zeit da für die Selbstreinigung. Die Schweizer Bankiers müssen klarstellen, dass sie redlich sind und ethisch handeln. Das können sie auch. Die meisten Schweizer Bankiers sind es nämlich.


«Die Marke Schweiz darf nicht durch zweifelhafte Gelder zerstört werden»

Und die Gelder, die dann abgezogen würden? Wir reden von Hunderten von Milliarden Franken.

Erstens bezweifle ich, dass es sich um mehr als zehn Prozent der gesamten Fremdgelder-Depots in der Schweiz handelt. Ich gehe davon aus, dass dies das Maximum wäre und zudem nur einige Banken in der Schweiz betreffen würde. Zweitens wäre es nur positiv. Die Schweiz ist eine Marke von sehr hohem Wert. Sie darf nicht durch zweifelhafte Gelder zerstört werden. Denn darunter leiden in der Folge alle: die Industrie, der Tourismus, der Handel. Die erwähnten zehn Prozent werden im Übrigen schnell kompensiert durch neue Depots und Kunden.

Welche Forderungen stellen Sie sonst noch an den Finanzplatz Schweiz?

Dass sich die Leute als Schweizer verstehen und entsprechend agieren, selbst wenn sie sich für so unglaublich international halten. Ich fordere auch, dass die Finanzleute wieder mehr Respekt haben vor der Bevölkerung und vor der wahren Botschaft der Schweiz. Wenn sich die Bankiers daran halten, dann sind sie wirklich die besten der Welt.


Neustart – 50 Ideen für einen starken Finanzplatz Schweiz, NZZ Libro Verlag, 212 Seiten, Format 15 x 22 cm, Klappenbroschur 2010, ISBN 978-3-03823-589-7, CHF 36.00.

Das Buch können Sie online bestellen unter diesem Link.

 

 

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