Die globalen Möglichkeiten, die Gesundheit aktiv zu managen, machen es unumgänglich, dass private Organisationen die Wegleitung durch das internationale Gesundheitssystem koordinieren. Für ein optimales Resultat müssen Patienten professionell dahin begleitet werden, schreibt der Gesundheitsspezialist Kevin Bürchler in einem Gastbeitrag für finews.ch.

Das professionelle und personalisierte Gesundheitsmanagement ist eine stark zunehmende Entwicklung in ganz Europa. Es ist ein Trend, der sich in den USA schon seit langem bewährt hat und nun auch weltweit Fuss fasst.

Richtig angewendet, führt das professionelle Management und die professionelle Koordination von Gesundheitsanliegen zu einer Win-Win-Win Situation: Für den Patienten, die Gesellschaft und die Krankenversicherungen.

Professionell durchs Gesundheitssystem

Der Patient bekommt die bestmögliche Behandlung und wird professionell durch das Gesundheitssystem geführt. Die Wirtschaft und die Gesellschaft profitierten davon, dass die medizinischen Kosten und die damit einhergehende medizinische Inflation im Rahmen gehalten werden. Und die Krankenversicherer können die Kosten reduzieren.

Das alles, weil durch ein professionelles Gesundheitsmanagement Fehldiagnosen, medizinische Fehler und unnötige Folgebehandlungen verhindert werden können.

Grosse Informationssymmetrie

Während sich vermögende Kunden viel mit Wealth Management befassen und die zahllosen Wealth Manager sich um die vermögenden Kunden bemühen, gibt es noch immer sehr viel Aufholbedarf im Bereich des Health Managements. Ähnlich wie ein unabhängiger Wealth Manager oder ein Anwalt seinen Mandanten in Finanz- oder Rechtsfragen berät, ist ein «Health Manager» oder «Health Advocate» für seinen Mandanten bei Gesundheitsfragen zur Stelle. Denn auch hier existiert eine grosse Informationsasymmetrie, die in einiger Hinsicht sogar noch deutlicher und damit für die Patienten folgenschwerer ist.

Auch heute noch vertrauen viele Patienten fast blind den Empfehlungen ihres Arztes. Oftmals ist das eine Person, mit der sie kaum persönliche Erfahrungen haben und dessen Arbeit man als Laie unmöglich bewerten oder hinterfragen kann. Trotz des ausgezeichneten Rufs des Schweizer Gesundheitssystems, erfahren zum Beispiel jährlich mehr als 120’000 Personen die Konsequenzen von medizinischen Fehlern – regelmässig mit massiven Einschränkungen des zukünftigen Wohlbefindens.

Wesentliche Statistiken fehlen

Diese Zahlen und Fakten gehen gerne vergessen und werden oftmals ganz bewusst nicht an die Öffentlichkeit getragen. Wesentliche Statistiken fehlen zum Teil oder gar ganz, vieles wird beschönigt, eine ausgeprägte positive Fehlerkultur wie dies zum Beispiel in der Luftfahrt seit Jahrzehnten entwickelt wurde, fehlt im medizinischen Bereich weitgehend.

Bereits einfache Vorsichtsmassnahmen können Patienten vor diesen Risiken schützen. Diese werden aber oftmals nicht angewandt, da sie vom behandelnden Arzt, dem oft einzigen Gesundheitsberater des Patienten, nicht empfohlen, übersehen oder ignoriert werden.

Die einfachste und bekannteste Vorsichtsmassnahme ist zweifelsohne, von einem Spezialisten mit der richtigen Arbeitsethik eine Zweitmeinung einzuholen. Doch selbst das wird oftmals vergessen oder vernachlässigt, da die Wichtigkeit dessen stark unterschätzt wird und es nur in seltenen Fällen vom behandelnden Arzt selbst angeordnet wird. Sobald eine Zweitmeinung empfohlen wird, kann das fälschlicherweise vom Patienten als ein Indiz der Unsicherheit oder Inkompetenz wahrgenommen werden.

Persönliche Grösse zeigen

Die Erfahrung zeigt jedoch, dass meist nur die sehr erfahrenen Ärzte die persönliche Grösse zeigen können auch zuzugeben, dass man keine (eindeutige) Antwort geben kann. Aus unserer Sicht sollten aus Prinzip keine grösseren Behandlungen oder Eingriffe ohne (mindestens) eine Zweitmeinung erfolgen.

Weiter geht es mit Themen wie Blut-Management als Vorbereitung auf jede Operation (essenziell, um Komplikationen zu minimieren, aber sehr oft übersehen), Pharmakogenetische Analysen (ein Muss für jeden Patienten, der regelmässig Medikamente einnimmt), Präventivtests als Vorbeugung gegen Krebs und andere chronische Krankheiten (für alle ab einem gewissen Alter dringend zu empfehlen). Die Möglichkeiten die eigene Gesundheit aktiv zu managen sind heute sehr umfassend und hilfreich.

Teure Behandlungen und Operationen

Ein Gesundheitssystem, das jedoch von kranken Menschen lebt und profitiert, offeriert dessen Vertretern leider nur wenig Anreize, solche Präventivmassnahmen und Kontrollmechanismen zu empfehlen.

Geld verdient wird in den Spitälern, Arztpraxen und der Pharmaindustrie mit teuren Behandlungen und Operationen, und nicht mit relativ kostengünstigen präventiven Massnahmen. Hier liegt vielleicht der wichtigste Ansatz eines Medical Family Office.

Health Management über die Krankenversicherung

Im Vergleich zu Europa, sind die USA im professionellen Gesundheitsmanagement weit fortgeschritten. Dies ist hauptsächlich eine Funktion der Krankenversicherungen, die aufgrund des lokalen Systems oft dazu gezwungen sind. In den USA herrscht beinahe ein freier Gesundheitsmarkt. So können Ärzte und Spitäler die Preise für ihre Leistungen ohne staatliche Regulierung frei bestimmen.

Das hat zur Folge, dass man für dieselbe Leistung innerhalb eines Umkreises von einem Kilometer Preisunterschiede des Faktors 10 haben kann. Ein Bluttest in einem Spital kann beispielsweise 5'000 Dollar kosten, währen der gleiche Test bei einer kleineren Klinik lediglich 500 Dollar kostet. Das hat auch seine negativen Seiten.

Für jede gute internationale Krankenversicherung in und um die USA ist deshalb ein Concierge-Desk unerlässlich. Einige Versicherungsgesellschaften haben Zugriff auf ein unglaubliches Volumen an Daten und Informationen zu Spitälern und Ärzten und können basierend darauf auswerten, wie gut geeignet ein Spital oder ein Arzt für eine Behandlung ist.

Grossflächiges Erfassungssystem fehlt

Aufgrund des Gesundheitssystems in den USA sind Spitäler und vor allem Versicherer gezwungen diese Daten zu erheben, um die Kosten kontrollieren zu können. Oftmals sind in europäischen Ländern diese Daten gar nicht vorhanden. Zudem gibt es unterschiedliche Gesetzesgrundlagen in jedem einzelnen Land, politische Differenzen, geografische Grenzen, und weiter Faktoren, die es kaum ermöglichen, ein einheitliches und grossflächiges Erfassungssystem zu entwickeln.

Das System, dass Patienten basierend auf Erfahrungswerten zugewiesen werden, ist unseres Erachtens ein Muss und funktioniert ausserordentlich gut für die Patienten und Versicherungen.

Optimale Führung und Begleitung

Die Versicherung stellt sicher, dass die angewandte Behandlung auch tatsächlich notwendig und angemessen ist. Das verhindert eine vom System incentivierte Überbehandlung, welche zusätzliche Risiken für den Patienten und unnötigen Kosten in sich bringt – wie wir das leider zu oft in der Schweiz und anderen wohlhabenden Ländern in Europa sehen.

Auf der anderen Seite wird der Patient optimal durch das Gesundheitssystem geführt und kann sich sicher wägen, dass er auf Grund von überflüssigen und falschen Behandlungen keine vermeidbaren Gesundheitsrisiken eingeht. Die Alternative ist ein privates Medical Family Office, das diese Koordination für den einzelnen Patienten erbringt.

Weltweit freie Arzt und Spitalwahl – Segen und Fluch zugleich

International versicherte Personen profitieren in den meisten Fällen von einer weltweit freien Arzt- und Spitalwahl. Das hat sehr viele Vorteile, da man nicht an das lokale Gesundheitssystem gebunden ist. Je nach Leiden stellt man oftmals fest, dass der geeignetste Arzt und das beste Spital für eine bestimmte Behandlung nicht diese sind, die in der nächsten Stadt verfügbar sind.

Um die bestmögliche Untersuchung und Behandlung zu erhalten, muss man oftmals den Horizont sehr oft national oder sogar international erweitern. Speziell bei komplexen und potenziell langfristigen Krankheitsbildern sollte man auf keinen Fall auf die neuste medizinische Technologie, Infrastruktur und Konsultationen bei weltweit anerkannten Speziallisten verzichten.

Fatale langfristige Kosten

International versicherte und vermögende selbstzahlende Personen können also ausserordentlich von einer weltweiten Arzt- und Spitalwahl profitieren. Die Pandemie hat diese Vorteile kürzlich nochmals anhand einer Extremsituation aufgezeigt. Internationale Patienten konnten die lokalen Engpässe über das Ausland umgehen, währen die Behandlungen von weniger privilegierten Patienten einfach verschoben wurden – mit zum Teil fatalen langfristigen Folgen.

In der Onkologie gibt es beispielsweise detaillierte Statistiken dazu, die zeigen, dass das Sterberisiko um bis zu 8 Prozent steigt, wenn eine Krebsoperation um vier Wochen verschoben wird. Leider haben wir selbst in der Schweiz seit dem Ausbruch der Pandemie gerade im Bereich der Onkologie viele Operationen auf Grund von Engpässen im Gesundheitssystem verschoben. Die international freie Arzt- und Spitalwahl wird damit essenziell.

Beschleunigte Entwicklung wünschenswert

Da es für den individuellen Patienten unmöglich ist, fachspezifisch und unabhängig die Auswahl des geeigneten medizinischen Dienstleisters zu treffen, ist es unumgänglich, dass entweder Krankenversicherungen oder spezialisierte Organisationen diese Funktion übernehmen. Eine Beschleunigung dieser Entwicklung wäre wünschenswert, damit Patienten national und international optimal behandelt werden können, aber auch um diese und die Gesundheitssysteme finanziell und operativ zu entlasten.


Kevin Bürchler ist seit August 2019 Head of Key Accounts and Operations Manager beim SIP Medical Family Office in Zürich. Das Unternehmen befasst sich auf privater Basis seit mehr als 25 Jahren mit der Thematik und hat es sich zur Aufgabe gemacht, das professionelle Gesundheitsmanagement sowie den strategischen Ansatz der Gesundheitsplanung in der Schweiz und in Europa zu verbreiten. Vor seiner Tätigkeit für SIP war Bürchler für die Swiss Re tätig.