Die einstige Grossbankerin Mara Harvey geniesst ihre neue Rolle als Schweiz-Chefin der liechtensteinischen VP Bank. Finanzkonzerne mögen zwar durchstrukturiert sein wie ein riesiges Uhrwerk, sagt sie zu finews.ch. Oft genug gerate aber Sand in dieses Getriebe. Aufgrund der Credit Suisse beobachtet die Managerin eine Desillusionierung am Markt.


Frau Harvey, Sie haben im vergangenen Jahr eine Online-Plattform gegründet, welche Eltern helfen soll, ihren Kindern den Umgang mit Geld beizubringen. Das Angebot heisst «A Smart Way to Start» – wäre das auch ein smartes Stichwort, um das Gespräch zu beginnen?

Ich muss sie warnen: Wir laufen Gefahr, die nächste Stunde nur über dieses eine Thema zur reden.

Financial Literacy ist Ihnen also wichtig. Warum haben Sie das Gefühl, dass es Ihre Aufgabe ist, Kindern und jungen Menschen Finanzunterricht zu erteilen? Dazu gibt es doch die Schulen.

Ich bin zum Thema Financial Literacy gekommen, nachdem ich mit der Gleichberechtigung der Geschlechter auseinandergesetzt habe – insbesondere mit der Frage, warum Frauen anders mit Finanzen und Vermögen umgehen. Wie sich herausstellt, wird mit Männern ganz anders über Geld gesprochen als mit Frauen. Und das beginnt bereits im frühen Kindesalter. Wenn ein Mädchen oder ein Junge sieben Jahre alt sind, ist ihr Umgang mit Finanzen weitgehend verfestigt.

Die Schule setzt also zu spät ein?

Natürlich können Schulen schon früh die Theorie vermitteln. Aber Fünf- bis Siebenjährige lernen vorab durch Beobachtung und Nachahmung, und nicht von abstrakten Konzepten. Entsprechend ist die Rolle der Eltern entscheidend. Ich möchte deshalb Müttern und Vätern helfen, jene goldene Gelegenheit zur Bildung eines robusten Verhaltens im Umgang mit Finanzen zu nutzen.

Sie haben auch eine ganze Reihe von Kinderbüchern zum Thema geschrieben – neben einer steilen Karriere im Private Banking. Woher haben Sie die Zeit dazu genommen?

Der Punkt ist: ich habe niemals geplant, Kinderbücher zu schreiben. Im Jahr 2017 sollte ich an einer Gesprächsrunde mit weiblichen Leadern in Davos teilnehmen. Ich wurde aber krank und musste die Runde dann von der Couch aus verfolgen, mit hohem Fieber.

«Man gibt niemals etwas auf, das einem so ans Herz gewachsen ist»

Als das Gespräch zum Thema Finanzen kam, zitierte die Moderatorin den Titel eines bekannten Kinderbuchs des amerikanischen Autors Dr. Seuss. Da ist mir auf einmal ein Licht aufgegangen.

Inwiefern?

Wir brauchen Kinderreime zum Thema Geld! Noch von der Couch aus habe ich begonnen, die ersten Verse in mein Smartphone zu tippen. Vier Stunden später stand der Entwurf zum ersten Buch. Aber natürlich braucht es danach noch sehr viel Arbeit, um diesen auch umzusetzen, geschweige denn eine ganze Serie von Bilderbüchern.

Seit Anfang Jahr wirken Sie nun als Chefin der Schweizer Tochterbank der liechtensteinischen VP Bank Gruppe. Da bleibt Ihnen wohl gar keine Zeit mehr für dieses Projekt?

Man gibt niemals etwas auf, das einem so ans Herz gewachsen ist. Mein kleines Startup hat nun eine operative Leitung, die von Grossbritannien aus arbeitet. Den Rest stemmen Freelancer – ich selber kann pro Woche nur etwa anderthalb Stunden für das Projekt aufwenden. Doch weil es sich um ein Online-Angebot handelt, ist meine Person dort nicht der Flaschenhals.

Bei der VP Bank hingegen schon, da treffen Sie seit Anfang Jahr die Entscheide. Wie sind Sie als neue CEO gestartet?

Ich liebe meine Arbeit hier. Es ist wunderbar, in einer kleineren Organisation anzukommen, wenn man zuvor so lange in sehr grossen Unternehmungen tätig war. Konzerne mögen zwar durchstrukturiert sein wie ein riesiges Uhrwerk – oft genug gerät aber auch Sand in dieses Getriebe. Im Unterschied dazu lässt sich in einem kleineren Unternehmen mit ein Bisschen mehr Struktur viel erreichen, ohne je zu fürchten, dass man ausgebremst wird. Alles ist kleiner, agiler, und die Entscheide werden rascher getroffen.

Ist das Ihre Mission bei der VP Bank: dem Schweizer Geschäft Struktur zu geben?

Das würde ich gerne tun. Wobei ich natürlich keineswegs gesagt haben möchte, dass es vor mir keine Strukturen gegeben hat und die Bank nicht professionell geführt wurde, im Gegenteil. Wir können nun aber gemeinsam das Geschäft auf die nächste Ebene bringen. Vorausgesetzt, wir fokussieren uns auf das Wesentliche.

Was ist denn wesentlich?

Wir haben unsere Zielmärke neu definiert. Sie werden wissen, dass wir bis vor kurzem noch über eine recht grosses Russland-Geschäft verfügten, das wir aber nicht länger betreiben wollen. Anderseits ist Deutschland ein wichtiger Markt für uns.

«Das Versprechen ‹back to basics› gewinnt an Zugkraft»

Diesen werden wir nun mit Nachdruck weiterentwickeln. Kurz: es gilt, in Bereichen, wo wir schon über Expertise verfügen, noch professioneller zu werden.

Wo liegen konkret die Schwerpunkte der Schweizer Bank?

Die Region Europa, für die ich zuständig bin, steuert etwa einen Drittel zum Ertrag der Gruppe bei; rund 60 Prozent dieses Beitrags wiederum stammen aus der Schweiz, die übrigen 40 Prozent kommen aus Luxemburg. Das Schweizer Geschäft verteilt sich volumenmässig je hälftig auf das Geschäft mit unabhängigen Vermögensverwaltern und auf das Private Banking vorab mit ausländischen Kunden. Mit Blick auf die Zukunft wollen wir uns auf die hiesige Plattform für Finanzintermediäre fokussieren.

Der Zeitpunkt dafür könnte mit Blick auf den Grossbanken-Zusammenschluss günstig sein…

In der Tat. So manche sind desillusioniert wegen der Entwicklung bei der Credit Suisse. Wir hören nun von Vermögensverwaltern wie von Privatkunden, dass sie sich überlegen, zumindest Teile ihres Vermögens bei einer kleinen, stabilen Privatbank zu deponieren. Natürlich können wir nicht alle Dienstleistungen eine Grossbank anbieten, und sicher sind wir nicht «fancy». Was wir tun, machen wir aber gut und stellen einen sehr persönlichen Service. Das Versprechen ‹back to basics› gewinnt an Zugkraft.

Wie viel Zugkraft?

Ich bin sehr zufrieden, wie sich das Geschäft seit Beginn der zweiten Jahreshälfte entwickelt hat. Wir haben kein Sommerloch erlebt, unsere Kunden waren ziemlich aktiv.

Tom Meier, der Präsident der VP Bank Gruppe, hofft ja, dass das Institut von Vermögenszuflüssen einstiger Kunden der Credit Suisse profitiert. Hat sich diese Hoffnung bereits erfüllt?

Wir dürfen nicht mit schnellen Erfolgen rechnen. Aber wir führen Gespräche, die mittelfristig zu Zuflüssen führen könnten. Es war ja so, dass Kunden während der heissen Phase bei der Credit Suisse Gelder zu Banken verschoben, zu denen sie schon eine Beziehung hatten. In der Regel waren das Kantonalbanken oder die Raiffeisen Gruppe. Nun, da sich der Staub legt, beginnen die strategischen Überlegungen – nämlich, wo die Vermögen längerfristig verwaltet werden sollen. Hier kommen wir ins Spiel.

Sie haben die UBS im vergangenen Herbst verlassen, nach 21 Jahren im Dienst der Grossbank. Wenn Sie daran denken, dass dort mit der Integration der Credit Suisse nun die zweitgrösste Privatbank der Welt entsteht – haben Sie nicht das Gefühl, etwas zu verpassen?

Überhaupt nicht. Ich war in meiner Karriere mehrfach in Zusammenschlüsse und Integrationen involviert. Bei jeder Fusion ist die betroffene Organisation mindestens 18 Monate mit sich selber beschäftigt. Die Führung der UBS rechnet nun sogar mit vier Jahren Integration. Ich finde, das Leben ist zu kurz, um sich vier Jahre lang mit sich selber zu beschäftigen.

Warum haben Sie der UBS eigentlich den Rücken gekehrt?

Zu jenem Zeitpunkt wollte ich mich ganz meinem Financial-Literacy-Projekt widmen. Die Anfrage von der VP Bank traf erst später bei mir ein. Am Ende meiner Zeit bei der UBS hatte ich aber das Gefühl, dass mehr zu tun wäre, um wirklich auf die Kundinnen und Kunden zu fokussieren.

«Um das Thema Agilität hat sich ein riesiger Hype entwickelt»

Wenn ich der gesamten Finanzindustrie einen Vorwurf machen darf, dann ist es der: Alle halten den Kundenfokus auf ihren Präsentationen und ihren Websites fest. In Tat und Wahrheit ist die Branche aber auf die Beratung der Kunden fokussiert, und nicht auf die Kundschaft selber. Und die Strukturen sind teils schwerfällig.

Die UBS im Speziellen will ja eine agile Organisation werden…

Um das Thema Agilität hat sich ein riesiger Hype entwickelt. In der Theorie klingt das ja alles bestens – doch bei grossen Organisationen gibt es weite Bereiche, die trotz all diesen Bemühungen vom Kundenfokus noch weit entfernt sind.

Und bei der VP Bank ist das nicht der Fall?

Das war mit ein Grund, der mich von diesem Posten überzeugt hat: Das Rückgrat der Bank – die Systeme und Prozesse – wurden in den vergangenen Jahren umgebaut, um besser auf die Bedürfnisse der Kunden eingehen zu können. Um es in einem Bild darzustellen: In der alten Banking-Welt gibt es eine Pyramide, bei der die IT die Basis bildet und die Prozesse wie den Umgang mit den Kunden bestimmt. Wir stellen nun das Dreieck auf den Kopf, indem wir von unserer Klientel ausgehen und von dort aus die Prozesse bereitstellen, die für die Erfüllung der Kundenbedürfnisse nötig sind. Das ist allerdings viel komplexer in der Umsetzung, als es klingt.

Ist die kleine VP Bank damit nicht überfordert?

Nein – eben gerade, weil die Gruppe klein genug ist, damit die Kosten nicht ins Uferlose wachsen.

Trotz des technologischen Wandels ist Private Banking immer noch eine People’s business. Aus ihrer Zeit bei der UBS verfügen Sie über ein hervorragendes Netzwerk zu superreichen Europäerinnen und Europäern. Können Sie bei der VP Bank darauf zurückgreifen?

Wir sind keine Bank für Superreiche, besonders, wenn diese noch Investmentbank-Dienstleistungen benötigen. Aber natürlich erhalte ich Anfragen aus meinem Netzwerk, und wir helfen, wo wir können. Dank unserer Fondsgesellschaft in Luxemburg ist es uns etwa möglich, massgeschneiderte Fondslösungen anzubieten. Darüber hinaus bietet unser Open Wealth Ansatz sehr gute Möglichkeiten, flexibel auf die Bedürfnisse unserer Kunden einzugehen. Diese Flexibilität in Kombination mit unserer Grösse und der sehr persönlichen Betreuung wird sehr geschätzt.

Ebenfalls haben Sie sich bei der Grossbank einen Namen als Vorkämpferin für Diversität gemacht. Liegt nun bei der VP Bank diesbezüglich viel Arbeit vor Ihnen?

Sie sehen mich schmunzeln. Meiner Meinung nach gibt intern wie extern viel zu tun, und wir haben ein Pfad definiert, den wir gehen möchten. Für mich ist die Geschlechterdiversität erst der Ausgangspunkt für eine weiter gefasste Gleichberechtigung.

«Es fühlt sich gut an, einmal nicht die Minderheit zu sein»

Wenn wir das für die Hälfte der Weltbevölkerung nicht hinkriegen, dann stehen die Chancen nicht gut, dasselbe für andere Minderheiten zu erreichen. Als Bank müssen wir uns zudem überlegen, wie wir sowohl unsere weiblichen wie unsere männlichen Kunden an den Tisch bringen – und falls uns dies nicht gelingt: woran das liegen mag.

Braucht es Quoten bei der VP Bank?

Meine Meinung dazu ist simpel: Es kommt darauf an, wie schnell der Wandel zu mehr Diversität vor sich gehen soll. Wenn man einen graduellen Wandel akzeptiert, lässt sich auf Quoten verzichten. Aber bei der Rekrutierung braucht es ein klares Bewusstsein darüber, welche Diversität gesucht ist und wer über eine Anstellung darüber entscheidet. Denn Männer beurteilen eine Kandidatin oder einen Kandidaten jeweils ganz anders, als Frauen dies tun würden. Das ist wissenschaftlich belegt. Ein diverses Management hilft natürlich, dieser Falle auszuweichen.

Gelingt das auch in Ihrer Geschäftsleitung?

Wir sind in der privilegierten Lage, dass von drei Personen in der Geschäftsleitung der VP Bank Schweiz zwei weiblich sind. Unser Marktchef kommt aber gut mit uns zurecht (lacht). Spass beiseite, es fühlt sich gut an, einmal nicht die Minderheit am Tisch zu sein. Dieses Gefühl sollten eigentlich alle erleben dürfen.

Wäre dies nicht ein Thema für Ihr nächstes Kinderbuch?

Das ist bereits geschrieben. Es wartet nur noch auf die Illustration. Wenn es fertig ist, wird es Kindern die Kreislaufwirtschaft näher bringen.


Mara Harvey ist seit Anfang diesen Jahres CEO der VP Bank (Schweiz) VP Bank (Schweiz) und Leiterin der Region Europa bei der liechtensteinischen Privatbanken-Gruppe. Die 52-jährige promovierte Ökonomin stand zuvor mehr als zwei Dekaden im Dienst der Grossbank UBS, wo sie sich als Superreichen-Bankerin und Spezialistin für das Banking mit Frauen einen Namen machte. Die Schweizerin und Britin hat mit Marty's Smart Way zudem ein eigenes Startup gegründet, das sich für Financial Literacy engagiert.

War die Übernahme der Credit Suisse durch die UBS rückblickend gesehen die beste Lösung?
War die Übernahme der Credit Suisse durch die UBS rückblickend gesehen die beste Lösung?
  • Ja, es gab keine andere, wirtschaftlich sinnvolle Alternative.
    26.68%
  • Nein, man hätte die Credit Suisse abwickeln sollen.
    18.59%
  • Nein, der Bund hätte die Credit Suisse übernehmen sollen.
    28.16%
  • Man hätte auch ausländische Banken als Käufer zulassen sollen.
    9.04%
  • Man hätte eine Lösung mit Schweizer Investoren suchen sollen.
    17.53%
pixel