Für Michael Baldinger ist nachhaltiges Investieren nichts Esoterisches oder Ideologisches. Sondern ein Weg, um bessere Firmen aufzuspüren und auch eine Möglichkeit, wie sich die Schweizer Finanzbranche profilieren könnte.


Herr Baldinger, was hat Sie motiviert, vor sechs Jahren in das Geschäft mit nachhaltigen Investments einzusteigen?

Ich war sicher nicht ideologisch unterwegs. Von der Wall Street kommend hat mich die Firma RobecoSAM fasziniert, weil sie einen klaren Fokus auf Sustainability Investing (SI) setzt und enorme Wachstumsperspektiven besitzt. Ohne Nachhaltigkeitsüberlegungen geht heute in keinem Wirtschaftsbereich mehr etwas. Das hat mich zu dieser Firma geführt und gleichzeitig in die Schweiz zurückgebracht.

Bringt Nachhaltigkeit beim Investieren wirklich etwas?

Ja, allerdings musste ich das auch erst selber lernen. Ich komme im Banking aus dem Nostro-Handel, und da standen kurzfristige Gewinne im Vordergrund. Darum war Nachhaltigkeit lange Zeit für mich beruflich nicht unbedingt ein Thema.

«Wir schauen tiefer in eine Firma hinein»

Inzwischen kann ich mir nicht mehr vorstellen, bei Investments nur der klassischen Finanzanalyse zu vertrauen.

Warum?

Die Analyse eines Unternehmens ist unvollständig, wenn man finanziell relevante Aspekte aus den Bereichen ESG (E = Environmental, S = Social, G = Governance) ignoriert. Die Geschäftszahlen eines kotierten Unternehmens sind jedermann zugänglich. Wir schauen jedoch tiefer in eine Firma hinein, analysieren die Qualität des Managements und das erweiterte Wettbewerbsumfeld.

Was heisst das konkret?

Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Der deutsche Siemens-Konzern hat weltweit etwa 90'000 Zulieferer, und Siemens sagt selber, dass 50 Prozent der operativen Risiken damit verbunden seien. Wir stellen die Frage, ob das Management die Supply-Chain unter Kontrolle hat.

«Das ist für uns kein Hygienefaktor»

Dafür sind weit reichende Abklärungen nötig, und daraus filtrieren wir Zusatzinformationen, die für Investoren wertvoll sind. Mit der blossen Finanzanalyse können Sie sich heute kein vollständiges Bild mehr über die Chancen und Risiken eines Unternehmens verschaffen.

Dient die Etikette «Nachhaltiges Investieren» nicht bloss dem Marketing?

Nein. Zumindest nicht bei RobecoSAM. Wir betreiben diesen Anlageansatz seit 1995 aus Überzeugung. Die Berücksichtigung von finanziell relevanten ESG-Faktoren im Anlageprozess ist folglich für uns kein Hygienefaktor, sondern ein Geschäftstreiber. Wir gewinnen neue Kunden wegen unserer Ausrichtung und Expertise; nicht, weil wir das auch noch so nebenbei machen. SI ist das einzige was wir tun. Es ist in unserer DNA und das seit 20 Jahren.

Tatsächlich feiert RobecoSAM dieses Jahr sein 20-jähriges Bestehen. Wie sehen die nächsten zwei Jahrzehnte aus?

Es ist meine Aufgabe, heute dafür zu sorgen, dass wir auch in der Zukunft dieses Feld durch Innovationen anführen, Lösungen für alle Anlageklassen entwickeln und es unseren Kunden einfach machen, diese Investment-Produkte in ihre Portefeuilles und Anlagerichtlinien einzubauen. Meine Vision ist, dass RobecoSAM zum weltweiten «Sustainability-Investing-Hub» wird.

Sie werden sich auch weiter mit dem Umstand befassen müssen, dass der Erfolg von Nachhaltigkeit umstritten ist.

Mittlerweile existiert eine grosse Zahl an Studien und Metastudien, deren Resultate positiv sind. Eine der meistzitierten ist diejenige von Harvard-Professor Robert Eccles.

«Es existiert ein Begriffsdschungel»

Sie belegt die Outperformance unternehmerisch nachhaltiger Firmen in Bezug auf Eigenkapitalrendite und Gesamtkapital-Rentabilität. Den praktischen Beweis liefern wir selbst: eine klare Mehrheit all unserer Fonds und Mandate schlägt seit Lancierung ihren Benchmark.

Was dabei SI ist, bleibt in vielen Fällen jedoch unklar.

Ja, weil in dieser Hinsicht ein Begriffsdschungel existiert. CSR (Corporate Social Responsibility) beispielsweise ist nicht gleichzusetzen mit dem Antizipieren von Risiken und Chancen aus den Bereichen ESG. Wie verantwortungsvoll sich ein Unternehmen als «Corporate Citizen» verhält, hat wenig mit ressourceneffizienten Produktionsprozessen, der Talentförderung oder dem Risikomanagement zu tun.

Sondern?

Wir interessieren uns für finanziell relevante ESG-Aspekte und sind der Meinung: Ein bewusstes Antizipieren von Risiken und Chancen aus den Bereichen ESG verbessert die Kosten der Produktionsfaktoren und damit den Geschäftsgang einer Firma.

Wenn es tatsächlich so einfach wäre...

Natürlich können auch wir uns im Market-Timing irren und sind der Volatilität ausgesetzt. Es können überraschend politische Ereignisse auftreten, es kann auch sein, dass wir eine Fehleinschätzung machen.

«Heute sind weltweit mehr als 20 Billionen Franken nachhaltig angelegt»

Das alles stellt die umfassende Nachhaltigkeitsanalyse respektive deren Überlegenheit gegenüber einer herkömmlichen Analyse aber nicht in Frage.

Trotzdem fristet nachhaltiges Investieren immer noch ein Nischendasein. Warum?

Heute sind weltweit etwa 21 Billionen Franken nachhaltig angelegt. Davon entfallen 64 Prozent auf Europa und 31 Prozent auf die USA. Allerdings ist das Wachstum in Amerika wesentlich höher. In drei Jahren wuchs das Volumen um 75 Prozent. In den USA werden zudem 60 Prozent der weltweiten Pensionskassenvermögen verwaltet.

«Die Schweiz ist kein einfacher Markt»

Sobald die US-Institutionellen beginnen werden, nachhaltig zu investieren, wird es enorme Umwälzungen im Asset Management geben Die Amerikaner sind extrem pragmatisch, wenn es darum geht, neue Wege zu begehen. Mit Themen, die für uns vielleicht neu und noch unbekannt sind, haben sie überhaupt keine Berührungsängste – sofern sie darin Potenzial sehen.

Und wir?

Die Schweiz ist kein einfacher Markt. Er wächst langsam, zumindest aber stetig. Mittlerweile sind hierzulande gut 71 Milliarden Franken nachhaltig angelegt. Der Anteil am Gesamtmarkt macht aber nur gerade vier Prozent aus.

Sind die Leute schlecht informiert?

Es ist sicherlich noch einiges an Aufklärungsarbeit zu leisten. Wir müssen uns zu oft noch mit alten Klischees herumschlagen. Viele Anleger ziehen voreilig den Schluss: Nachhaltigkeit gleich schlechtere Performance.

Das verwundert insofern, als dass es hierzulande doch eine ganze Reihe erstklassiger Anbieter gibt.

Da stimme ich Ihnen zu. Die Schweiz ist mit ihren vielen Anbietern für dieses Thema prädestiniert. Firmen wie RobecoSAM, J. Safra Sarasin, Pictet, Vontobel, Notenstein und Globalance aber auch ResponsAbility, Ethos, Inrate oder Reprisk haben ein lokales Know-how, wie es sonst kein anderes Land auf der Welt besitzt.

Das kommt bei der Positionierung des Schweizer Finanzplatzes kaum zum Ausdruck. Im Gegensatz zu ihrem Engagement für Fintech behandeln die Schweizerische Bankiervereinigung (SBVg) oder der Fondsverband (SFAMA) das Thema eher stiefmütterlich, oder täuscht dieser Eindruck?

SI könnte für das Schweizer Asset Management tatsächlich zum Alleinstellungsmerkmal (USP) werden. Das Problem liegt darin, dass wir vielerorts noch immer als etwas Spezielles wahrgenommen werden. Das scheint bei der SBVg und der SFAMA offenbar auch der Fall zu sein.

«Das ist nichts Esoterisches»

Dabei ist nachhaltiges Investieren nichts Esoterisches oder Ideologisches. Es ist ein ganz normales Geschäft, in das mittlerweile auch grosse angelsächsische Vermögensverwalter vorstossen.

Was fehlt dem nachhaltigen Investieren zum Durchbruch in der Schweiz?

Schweizer Vermögensverwalter dürften noch einen Zacken zulegen und nachhaltige Anlagelösungen vermehrt ihren Top-Privatkunden, zum Beispiel den Ultra-High-Net-Worth-Individuals (UHNWI), sowie den Family Offices anbieten. Meine Erfahrung ist: Den jungen Reichen geht es nicht nur um «Dollars & Cents», sondern auch um «Dollars & Sense».

«Wir haben eine branchenweit führende Plattform»

So gesehen könnten auch die Pensionskassen (PK) ihren Versicherten mehr Gehör schenken. Wie eine repräsentative Umfrage des Marktforschungs-Instituts gfs-zürich ergab, fordern 72 Prozent der PK-Versicherten in der Schweiz, dass ihre Vorsorgeeinrichtung bei Investitionen finanziell relevante ESG-Aspekte berücksichtigen. Es würde mich nicht überraschen, wenn in den nächsten zwölf Monaten noch einiges in Bewegung kommt.

Was sind Ihre nächsten Ziele?

Wir haben in den vergangenen fünf Jahren eine branchenweit führende Plattform entwickelt, die wir ausbauen möchten. Wir sind offen für zusätzliches Personal, sei das im Portfolio-Management, in der Finanzanalyse oder im Verkauf. Insofern sind wir konstruktiv unterwegs.

Wo liegen die nächsten Trends in Sachen Nachhaltigkeit?

Im Impact Investing: Die Kunden, und ich spreche da von Institutionellen, wollen wissen, ob ihr Portfolio einen positiven sozialen oder ökologischen Impact hat. Das ist meines Erachtens die nächste grosse Bewegung. So wird nachhaltiges Investieren immer mehr zu einem gesellschaftlichen Anspruch.

Kann sich die Schweiz als Asset-Management-Standort international etablieren?

Als ich vor zweieinhalb Jahren von dieser Initiative erfuhr, habe ich mir gedacht, das ist absolut der richtige Weg. Der grösste Wealth-Management-Standort muss auch die Produktionsstätte fürs Asset Management sein. Leider hat das Ganze etwas an Dynamik eingebüsst.

«Wenn wir es nicht schaffen, wer sollte es dann sonst können?»

Doch ich bin nach wie vor der Meinung, dass wir als Finanzplatz eine grosse Chance haben. Die Rahmenbedingungen stimmen, und wir haben eine talentierte «Workforce». Schweizer Bankiers sind hervorragend und wissen, wie man mit Kunden umgeht. Das geht oftmals vergessen.

Ich habe 15 Jahre im Ausland gearbeitet. Ich weiss, wovon ich spreche und kann vergleichen. Wir müssen uns jetzt auf die Hinterbeine stellen. Wenn wir es nicht schaffen, wer sollte es dann sonst können?


Michael Baldinger ist seit 2009 bei RobecoSAM tätig und wurde 2011 zum Chief Executive Officer (CEO) ernannt. Seine berufliche Laufbahn begann er als Nostrohändler bei der Credit Suisse First Boston (CSFB), wo er zum Leiter des Eigen- und Parketthandels für ausländische Aktien avancierte. Von der CS wechselte er zu Deutsche Bank Securities in New York, wo er als Direktor für den institutionellen Vertrieb von Aktienprodukten zuständig war.

Im Jahr 1999 entwickelte er als Managing Director bei Bear Stearns in New York das amerikanische Aktiengeschäft für Schweizer Kunden. Im Jahr 2005 wechselte er als Managing Director zur Credit Suisse Asset Management in New York, wo er die Vertriebsleitung für die Region Americas übernahm. Im Jahr 2009 kehrte er – zu RobecoSAM – in die Schweiz zurück.

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