Alle reden davon, dass es zu viel Liquidität in der Welt gibt. Aber wo ist dieses Geld eigentlich, fragt der Ökonom Martin Hüfner.

Martin Hüfner, Chefökonom der Schweizer Aquila-Gruppe, früher Senior Economist bei der HypoVereinsbank und der Deutschen Bank. Er ist Autor des Bestsellers «Achtung: Geld in Gefahr!».

Martin_Hfner_qAlle reden davon, dass es zu viel Liquidität in der Welt gibt. Die Liquidität treibt die Kurse der Aktien nach oben und hat in den letzten Jahren zu Blasen auf den Immobilien- und Rohstoffmärkten geführt. Und es bringt inflationäre Gefahren mit sich, wenn die Liquidität nicht rechtzeitig eingesammelt wird.

Aber wo ist dieses Geld eigentlich? In Europa nimmt die Geldmenge M3 kaum noch zu. Vor zwei Jahren stieg sie noch um 12,5 Prozent, jetzt nur noch um 1,8 Prozent. Die Unternehmen klagen darüber, dass sie zu wenig Kredit bei den Banken bekommen. Private Equity-Gesellschaften können kein Leverage mehr nutzen.

Das könnte man das «Rätsel der Liquidität» nennen: In Europa gibt es derzeit sowohl zu viel als auch zu wenig Geld. Wie ist so etwas möglich? Wird das so bleiben? Und was bedeutet es angesichts der Tatsache, dass die Zentralbanken in den USA, Europa und Japan in den nächsten Monaten weniger die Zinsen im Auge haben werden als die Liquidität.

Zwei Töpfe mit Liquidität

Der Schlüssel liegt darin, dass es derzeit zwei Töpfe von Liquidität gibt, die weitgehend voneinander getrennt sind: den Topf der Banken und Finanzmärkte und den Topf von Wirtschaft und Privaten. Der Topf der Banken ist prall gefüllt.

Die Kreditwirtschaft ist so liquide wie schon lange nicht mehr. Sie kann sich in Euroland unbegrenzt Geld bei der Europäischen Zentralbank beschaffen – vorausgesetzt natürlich, die Häuser haben genügend Sicherheiten, die dafür hinterlegt werden können.

Die Qualitätsanforderungen an die Sicherheiten sind aber deutlich verringert worden. Die Forderungen der EZB gegenüber Kreditinstituten in Euroland sind in den letzten zwei Jahren um über 60 Prozent gestiegen.

Extrem niedriger Zins

Diese Liquidität gibt es inzwischen nicht, wie sonst üblich, nur zu Laufzeiten von wenigen Tagen bis zu drei Monaten. Sie wird zurzeit sogar für ein ganzes Jahr angeboten. Dabei ist sie zu dem extrem niedrigen Zins von 1 Prozent zu haben.

Im Topf von Wirtschaft und Privaten ist dagegen viel zu wenig Geld. Vor allem bei den Unternehmen fehlt es vorne und hinten. Zwar nimmt statistisch gesehen der Bargeldumlauf nach wie vor zu. Er macht jedoch weniger als 10 Prozent der gesamten Geldmenge aus, kann also praktisch vernachlässigt werden.

System ist noch nicht in Ordnung

Die täglich fälligen Sichteinlagen steigen leicht. Das heisst aber nicht, dass die Unternehmen überschüssiges Geld hätten. Sie halten sich vielmehr Liquiditätspolster, um gegen unerwartete Schwierigkeiten gewappnet zu sein. Termineinlagen und Geldmarktanlagen gehen absolut zurück. All das macht die Geldmenge M3 aus.

An sich müsste sich die Liquidität im Finanzsektor und in der Realwirtschaft wie in einem System kommunizierender Röhren aneinander angleichen. Das ist in normalen Zeiten auch der Fall. Dass es jetzt nicht geschieht zeigt, dass unser System noch nicht in Ordnung ist. Finanzsektor und Realwirtschaft laufen nicht synchron, wie das eigentlich sein sollte.

Liqudität wofür?

Die entscheidende Stellschraube dabei ist die Kreditgewährung. Normalerweise sollten die Banken die Liquidität, die sie von der Zentralbank bekommen, als Kredite an Unternehmen und Private weiterleiten. Im Augenblick tun sie das aber nur unvollständig. Zum Teil liegt dies daran, dass die Risiken des Kreditgeschäfts wegen der konjunkturellen Unsicherheiten stark gestiegen sind und die Banken sich nicht noch neue Probleme einhandeln wollen. Zum Teil fehlt es den Banken am erforderlichen Eigenkapital. Hinzu kommt, dass die Kreditinstitute ihre eigene Liquiditätsvorsorge erhöht haben.

Einige Häuser haben Gelder, die sie bei den Repogeschäften aufgenommen haben, gleich wieder in der Einlagenfazilität der Notenbank geparkt, um jederzeit darauf zurückgreifen zu können. Schliesslich nutzen sie die Liquidität aber auch, um auf den Kapitalmärkten verstärkt Eigenhandel zu betreiben und damit ihre Ertragsrechnung aufzubessern.

EZB sieht das nicht gerne

Wenn die Institute beliebig viel billigen Kredit bekommen, ist die Versuchung natürlich gross, das Geld für spekulative Geschäfte zu nutzen. Das hilft den Aktien- und Rentenmärkten, war aber eigentlich nicht Sinn der Sache.

Die Europäische Zentralbank sieht das daher nicht gerne. Sie würde es auch gerne ändern. Aber zwingen kann sie die Banken nicht. Das einzige, was sie tun kann, ist die Liquidität bei den Banken vorsichtig einzusammeln, indem sie die Repomittel nicht mehr unbegrenzt zur Verfügung stellt. Das wird sie auch tun. Aber damit nimmt sie natürlich nur Geld aus dem Topf der Banken und beseitigt nicht die Knappheit im Realsektor.

Konjunktur und Wachstum gebremst

Wir werden also noch eine ganze Weile mit der Diskrepanz in der Liquiditätsversorgung leben müssen. Das ist nicht nur negativ. Gut ist, dass von dieser Liquidität keine Inflationsgefahren ausgehen. Sie bleibt im Kreislauf der Finanzwirtschaft und kommt nicht als Kaufkraft auf die Märkte für Güter und Dienstleistungen.

Schlecht ist, dass dadurch Konjunktur und Wachstum gebremst werden. Zu wenig Liquidität heisst, dass die Unternehmen zu wenig investieren und dass damit natürlich auch Innovationen auf der Strecke bleiben.

Ausnahme USA

Eine Besserung ist erst zu erwarten, wenn sich die Risikosituation entspannt und die Banken aus eigenem Antrieb wieder mehr Kredit vergeben. Das wird auch irgendwann passieren. Die Banken sind als «Kreditinstitute» selbst daran interessiert, mehr Geld auszuleihen (zumal die Margen gestiegen sind). Aber es dauert eben.

Interessant ist, dass es dieses Rätsel der Liquidität in den USA nicht, beziehungsweise nicht in dem Masse, gibt. Die Geldmenge in den Händen der Privaten (MZM) steigt nach wie vor mit der beachtlichen Rate von 9 Prozent. Der Grund liegt in dem anderen System. In den USA läuft die Kreditversorgung nicht nur über die Banken.

Weniger Geld für den Eigenhandel

Auch kleine und mittlere Unternehmen nehmen dort Mittel direkt am Kapitalmarkt auf. Entsprechend steuert die Zentralbank die gesamtwirtschaftliche Liquiditätsversorgung auch nicht nur über die Banken. Sie kauft Wertpapiere direkt am Markt und stellt den Privaten damit Zentralbankgeld zur Verfügung.

Für den Anleger: Wenn die Europäische Zentralbank jetzt Liquidität einsammelt, dann trifft das vor allem die Banken. Sie haben weniger Geld für den Eigenhandel. Bei manchen wird das Geld für die Liquiditätsvorsorge knapper.

Vom Steilflug auf die Reiseflughöhe

Die Kapitalmärkte bekommen weniger Mittelzuflüsse. Das mindert den Kursanstieg bei den Aktien. Zunächst ist das natürlich negativ. Auf längere Sicht führt es jedoch dazu, dass sich die Mittelzuflüsse zu den Kapitalmärkten normalisieren und die Kursentwicklung vom Steilflug des Starts in die Reiseflughöhe übergeht.

Wie in Flugzeugen, kann es dabei zu vorübergehenden Turbulenzen kommen. Die Realwirtschaft und damit die Konjunkturerholung sind weniger in Gefahr.

 

 

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