Der Schock hatte zwei Arten von Auswirkungen – mit einem übergeordneten und einem sektoriellen Effekt. Hightech-Firmen haben wegen der erhöhten Nachfrage nach ihren Produkten sehr gut abgeschnitten. Andere Sektoren wurden hart getroffen. Diese zwei Faktoren haben den Aktienmarkt in unterschiedliche Richtungen bewegt.

In den USA scheint sich die Wall Street mittlerweile mit dem Gedanken an eine neue Regierung angefreundet zu haben.

Ein Sieg von Joe Biden käme für die Wall Street nicht überraschend. Die Leute haben ein ziemlich gutes Bild davon, was er nach einem Wahlsieg tun würde.

«Die Wahrscheinlichkeit eines Sieges von Joe Biden ist ziemlich gross»

Die Leute, die im Handel tätig sind, erzählen häufig, dass politische Themen zwar kurzfristig einen Einfluss auf die Aktienpreise haben, aber dass diese die Aussichten für Aktien nicht grundsätzlich verändern. Die Wahrscheinlichkeit eines Sieges von Biden ist ziemlich gross und sein Sieg würde die Märkte nicht schockieren.

Welche anderen geopolitischen Probleme sehen Sie – abgesehen von der Coronakrise und den Wahlen in den USA?

Es gibt mehrere geopolitische Problemfelder, etwa den Handelsdisput zwischen den USA und China, die Spannungen in Hongkong, oder den Konflikt zwischen China und Taiwan bezüglich des Südchinesischen Meeres, sowie Nordkorea und dessen Raketenprogramm.

Was wäre die Logik hinter einer aggressiven Handlung seitens der Chinesen zu einem Zeitpunkt da die Wirtschaft bereits in einem fragilen Zustand ist?

Die Regierung in China ist nicht nur auf ihre wirtschaftliche Rolle bedacht, sondern eben auch auf ihre Rolle als globaler politischer Akteur. Dies erhöht das Risiko, dass etwas schiefgehen könnte.

«Die Dinge können schief laufen, wenn die grossen Mächte die wirtschaftlichen Konsequenzen zu wenig bedenken»

Angenommen Donald Trump entscheidet kurz vor den Wahlen, dass ein Ausschluss Chinas vom US-Finanzmarkt ihm einen Stimmenzuwachs verspricht. Dies hätte eine enorme Auswirkung auf die Weltwirtschaft und das Finanzsystem. Dinge können schlicht schief laufen, wenn die grossen Mächte die wirtschaftlichen Konsequenzen zu wenig bedenken oder sie nicht verstehen.

Wäre Biden gut für die Wirtschaft?

Ja. Er mag zwar kein charismatischer Politiker sein, aber er ist verlässlich. Und er wird ebensolche Berater haben.

Vergleichen wir dies mit Trump. Er errang die Macht durch seine direkte Ansprache ans Volk und unter Missachtung der politischen Parteien – was sich als problematisch erwiesen hat. Biden hingegen hat sich durch das gesamte System hochgekämpft.

Er wäre wohl auch ein verlässlicherer Partner für die amerikanische Notenbank (Federal Reserve, Fed)?

Verlässlicher und berechenbarer.

Es gab Befürchtungen, dass Trump eine Gefahr für die Unabhängigkeit der Zentralbank darstellt.

Ich denke nicht, dass die Fed selber besorgt war. Die Leute bei der Fed geben einem zu verstehen, dass es die Tweets des Präsidenten waren, die sie noch vorsichtiger haben werden lassen. Sie wollen vermeiden, dass ein einzelner unbedachter Satz zu einer Flut von Tweets führt.

«Die US-Notenbank hatte auch früher schon mit ungeeigneten Leuten zu tun»

Die Idee, dass Trump mit der Nomination von Unterstützern für die Fed die Geldpolitik beeinflussen könnte, ist falsch. Ein paar Gouverneure auszuwechseln genügt nicht, um die Politik stark zu verändern. Die Fed hatte auch schon früher mit ungeeigneten Direktoriumsmitgliedern zu tun.

Wie meinen Sie das?

Extreme Ansichten ändern in Bezug auf die Zinspolitik wenig, weil die Entscheide davon abhängen, wo der Schwerpunkt im Offenmarktausschuss liegt. Wenn man Einfluss auf die Geldpolitik nehmen möchte, muss man sich nahe der Mitte positionieren. Die Trump-Kandidaten waren aber so weit vom Zentrum entfernt, dass ihre Meinungen keinen Einfluss hatten.

Ist dies der Ort, an dem der Populismus scheitert?

Kompetenz ist wichtig und langweilig, aber kompetente Politikerinnen wie Angela Merkel haben sich in dieser schrecklichen Pandemie besser geschlagen. Populistische Politiker wie Boris Johnson hingegen hatten es viel schwerer. Es fällt auch auf, dass sich unter den Top-Politikern, die sich mit dem Virus infiziert haben, die Präsidenten der USA, von Brasilien und der Premier von Grossbritannien befinden.


Stefan Gerlach ist Chefökonom der EFG Bank in Zürich. Von 2011 bis 2015 war er Vizepräsident der Irischen Zentralbank und nahm an den Sitzungen des EZB Governing Council teil. Davor war Gerlach Professor für Monetary Economics und Managing Director am Institute for Monetary and Financial Stability an der Goethe Universität in Frankfurt. Er war auch Mitglied der Expertengruppe in Geldpolitik des Europäischen Parlaments. Von 2005 bis 2007 arbeitete Gerlach als Sekretär des Komitees zum Globalen Finanzsystem an der BIZ in Basel. Von 2001 bis 2004 war er als Exekutivdirektor und Chefökonom der Hong Kong Monetary Authority und Direktor des Hong Kong Institute for Monetary Research tätig.

Gold hat mit 2'400 Dollar ein neues Allzeithoch erklommen. Ist dies der Anfang einer nachhaltigen Hausse?
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