Ziele man mit ESG-Anlagen darauf ab, einen Wandel zu fördern, könnten pauschale Ausschlusskriterien der falsche Weg sein, sagt Thomas Ley vom Fondshaus Abrdn zu finews.ch. Denn bei derartigen Ansätzen würden Unternehmen unberücksichtigt bleiben, die einen positiven Wandel anstrebten.


Herr Leys, im Hinblick auf die Dekarbonisierung der Wirtschaft reicht es offensichtlich nicht, nur jene Unternehmen mit der höchsten CO2-Bilanz aus einem Anlageportfolio auszuschliessen. Warum?

Bei der Veräusserung von Portfolioengagements mit den höchsten Treibhausgasemissionen werden diese Emissionen lediglich auf einen anderen Investor übertragen. Um die Erderwärmung zu begrenzen, sind Emissionsreduzierungen in der realen Welt und nicht im Portfolio vonnöten. Aus diesem Grund reicht ein auf Ausschlüssen basierender Ansatz allein nicht aus.

Was ist zu tun?

Eine bessere Vorgehensweise wäre, Unternehmen zu unterstützen, die sich von fossilen Brennstoffen abwenden – zum Beispiel ein Autohersteller, der auf Elektrofahrzeuge umstellt, oder ein Stahlproduzent, der künftig auf Lichtbogenöfen setzt. Durch die Untersuchung der Unternehmenspläne und den Dialog mit dem Management können aktive Anleger diejenigen Unternehmen identifizieren, welche sich am stärksten für Emissionsreduzierungen einsetzen.

«Bei derartigen Ansätzen bleiben auch Unternehmen unberücksichtigt, die einen positiven Wandel anstreben»

Neben dem positiven Beitrag zur Begrenzung der Erderwärmung lenkt dieser Ansatz zudem Kapital dorthin, wo es benötigt wird. Und für Anleger bedeutet dies ein Engagement in Unternehmen mit im Vergleich zu den Mitbewerbern zukunftssichereren Geschäftsmodellen. Ebenso sollten Unternehmen mit hohen Emissionen, die keine Bereitschaft zeigen, ihren CO2-Ausstoss zu verringern, gemieden werden.

Sind Ausschlusskriterien im Hinblick auf ESG-Standards allgemein kritisch zu betrachten?

Ausschlüsse sind eine einfache und effektive Möglichkeit, Aktivitäten zu meiden, die ein Investor als unmoralisch oder regelrecht falsch erachtet, zum Beispiel Tabak, Glücksspiel oder Waffen. Zielt man mit ESG-Anlagen jedoch darauf ab, einen Wandel zu fördern, könnten pauschale Ausschlusskriterien der falsche Weg sein. Grund hierfür ist, dass bei derartigen Ansätzen auch Unternehmen unberücksichtigt bleiben, die einen positiven Wandel weg von den ausgeschlossenen Bereichen anstreben.

Lassen Sie mich dies am Beispiel pauschaler Ausschlusskriterien im Bereich Kohleverstromung erläutern. Eine solche Vorgehensweise könnte Investitionen in Versorgungsunternehmen verhindern, die rasch aus dem Kohlegeschäft aussteigen, um sich als führende Unternehmen für erneuerbare Energien zu etablieren. In Bereichen, in denen ein Wandel möglich ist, stellt ein auf Research und Engagement basierender Ansatz eine wesentlich effektivere Methode dar, eine Wirkung zu erzielen, als reine Ausschlüsse.

Um ihre CO2-Bilanz zu senken, müssen Unternehmen viel Geld in die Hand nehmen. Sind kleinere Unternehmen da benachteiligt?

Die Kosten für emissionsarme Alternativen sinken von Tag zu Tag. So ist Solarkraft laut Aussage der IEA beispielsweise die «günstigste Energiequelle in der Geschichte der Menschheit», dicht gefolgt von Onshore-Windkraft. Die Preise für Elektrofahrzeuge werden immer wettbewerbsfähiger, und nachhaltiger produzierte Materialien erfreuen sich einer zunehmenden Beliebtheit.

«Die Welt ist mit einem Balanceakt konfrontiert»

Ausserhalb der Schwerindustrie, des Energie- und Versorgersektors ist die Dekarbonisierung für Unternehmen aller Grössen zunehmend einfach. An den meisten Märkten lassen sich die Scope-2-Emissionen, also jene aus gekauftem Strom, rasch durch den Wechsel auf eine erneuerbare Stromversorgung verringern.

Die Nutzung von Elektrofahrzeugen und der Umzug in energieeffizientere Gebäude kann sich wesentlich auf die Scope-1-Emissionen von Unternehmen auswirken. In Branchen wie der Metallindustrie, chemischen Industrie oder Fluggesellschaften, in denen radikalere Veränderungen erforderlich sind, weisen grössere Unternehmen mit höherem Investitionsbudget einen Vorteil auf.

Kleinere, jüngere Unternehmen können jedoch vom ersten Tag an die neuesten Technologien nutzen und so enorme Kosten für die Umstellung der Lieferkette vermeiden, zum Beispiel reine Elektrofahrzeughersteller wie Rivian oder Tesla.

Das Ziel «Netto-Null-Emissionen bis 2050» ist rasch formuliert. Worin sehen Sie die grössten Herausforderungen, um dieses Ziel zu erreichen?

Die Welt ist mit einem Balanceakt konfrontiert – zwischen einer anhaltenden Verbesserung des Lebensstandards weltweit auf der einen und der Dekarbonisierung der Wirtschaft auf der anderen Seite. Unglücklicherweise bergen die Dekarbonisierungs-Bestrebungen das Potenzial, einen grossen Teil unseres Alltagslebens umzuwälzen – angefangen von unseren Essgewohnheiten bis hin zu der Art, wie wir reisen.

«Das ist die allergrösste Hürde auf dem Weg zum Netto-Null-Ziel»

Darüber hinaus werden ganze Branchen nicht mit den Netto-Null-Bemühungen kompatibel sein, was die Lebensgrundlage von Menschen bedroht. Die Gefahr hierbei ist, dass die Regierungen dies falsch handhaben. Höhere Kosten für Strom, Lebensmittel, Reisen und Wohnraum könnten zusammen mit weitreichenden Stellenverlusten ein Auflehnen der Bevölkerung gegen die Massnahmen in Bezug auf die Energiewende und die Dekarbonisierung zur Folge haben. Das ist die grösste Hürde auf dem Weg zum Netto-Null-Ziel.

Ein «gerechter Übergang», der niemanden ausser Acht lässt, ist daher unabdingbar. Ein grosser Teil hiervon hängt von den Regierungen ab. VW plant, die Fachkräfte, welche Benzinfahrzeuge herstellen, weiterzubeschäftigen und auf die Herstellung von Elektrofahrzeugen umzuschulen. Dies ist ein Beispiel für ein Unternehmen, das dem «gerechten Übergang» Rechnung trägt. Anleger sollten dies unterstützen.


Thomas Leys ist Investment Director bei Abrdn, ehemals Aberdeen Standard Investments, wo er seit mehr als acht Jahren in verschiedenen Funktionen tätig ist. Heute ist er spezialisiert auf festverzinsliche Anlagen sowie auf Themen rund um den Klimawandel. 

 

 

War die Übernahme der Credit Suisse durch die UBS rückblickend gesehen die beste Lösung?
War die Übernahme der Credit Suisse durch die UBS rückblickend gesehen die beste Lösung?
  • Ja, es gab keine andere, wirtschaftlich sinnvolle Alternative.
    26.4%
  • Nein, man hätte die Credit Suisse abwickeln sollen.
    18.85%
  • Nein, der Bund hätte die Credit Suisse übernehmen sollen.
    28.14%
  • Man hätte auch ausländische Banken als Käufer zulassen sollen.
    8.98%
  • Man hätte eine Lösung mit Schweizer Investoren suchen sollen.
    17.61%
pixel