Einiges spricht für einen festen Goldpreis im kommenden Jahr. Für Palladium indes, lange Zeit der Liebling der Investoren, ist der weltgrösste Recycler und Händler von Edelmetallen skeptisch gestimmt.

«Gold könnte im kommenden Jahr in Euro gerechnet ein neues Rekordhoch erklimmen», stellt Henrik Marx, Leiter Edelmetallhandel von Heraeus Precious Metals, in Aussicht. Angesichts des anhaltenden Ukraine-Kriegs, der hohen Inflation und der wachsenden Rezessionssorgen bleibe das gelbe Edelmetall im Fokus vieler Anleger, erklärte Marx im Rahmen der am Dienstag vorgestellten Edelmetallprognosen für 2023.

Interessantes Szenario

«Auf Euro-Basis könnte sich für Gold ein interessantes Szenario ergeben», sagte er. Trotz der momentan restriktiven Zinspolitik sei der Goldpreis derzeit relativ fest, in Euro sei er auch nur rund 10 Prozent von seinem Allzeithoch entfernt.

Sollte die US-Währung in den nächsten Wochen oder Monaten etwas fester werden, was durchaus realistisch sei, und der Goldpreis weiter auf dem soliden hohen Niveau verharren, «könnte auch nur eine kleine Rally den Goldpreis in Euro in die Region von März 2022 bringen». Im Zuge der russischen Invasion in der Ukraine hatte Gold einen Höchststand von 1870 Euro verzeichnet.

Leichte Anpassung der US-Geldpolitik erwartet

Die wichtigsten Faktoren für die künftige Entwicklung des Goldpreises sind Marx zufolge der weitere Zinskurs der US-Notenbank und die Investmentnachfrage. Auf Dollarbasis sieht er für 2023 einen Unzenpreis in der Bandbreite von 1620 bis 1920 Dollar. Zurzeit notiert die Feinunze in der Region von 1800 Dollar.

Den für Dezember anstehenden US-Zinsentscheid habe der Markt bereits eingepreist. Eine Änderung der Zinspolitik könnte Gold im kommenden Jahr helfen, so die Heraeus-Experten, die davon ausgehen, dass die US-Notenbank im Laufe des nächsten Jahres ihre Geldpolitik leicht anpassen wird. Der von den Futures-Märkten gegenwärtig erwartete Höchstzinssatz liege jedoch bei 5,25 Prozent, 125 Basispunkte über der aktuellen Obergrenze, was kurzfristig für Gold weiteren Preisdruck wahrscheinlich mache.

Warten auf die Initialzündung

Heraeus rechnet damit, dass die Inflation weiter nachlassen und eine schwächelnde US-Wirtschaft in den Fokus der Währungshüter rücken wird. Die entscheidende Frage ist gemäss Marx, «wann die Fed den Trend umkehrt und die Zinsen nicht weiter erhöht oder eventuell gar zurückfährt». Dies könnte zu einer Richtungsänderung für den Dollar und damit zu einem Trendwechsel bei Gold führen.

Das zweite Zünglein an der Waage ist die Investmentseite. In den letzten sechs bis sieben Monate haben Gold-ETF erhebliche Abflüsse verzeichnet. «Die Tendenzen im Markt und die zurückhaltende Haltung vieler Investoren zeichnen aber ein Szenario, in dem viele Markteilnehmer nur auf eine initiale Zündung warten», kommentiert Marx. Dies könnte eine potenzielle Gold-Rally verstärken. Er beobachtet wieder Zukäufe in ETF, wenn bislang auch nur auf moderatem Niveau.

Schwieriges Jahr für Juweliernachfrage

Mit Blick auf die Juwelierbranche sieht Marx für den wichtigen Schmuckmarkt Indien eine voraussichtlich anhaltend hohe Nachfrage, «eventuell aber nicht mehr auf dem sehr hohen Niveau von 2022». Der chinesische Markt spüre nach wie vor Pekings harte Covid-Politik, was für die nächsten Monate ein gewisses Risiko darstelle. Eine allfällige Lockerung der Null-Covid-Toleranz könnte allerdings 2023 Auftrieb verleihen. Dennoch: Ein geringeres Wachstum in Europa und den USA dürfte die Nachfrage in diesen beiden Regionen nächstes Jahr beeinträchtigen.

So stark wie seit 1967 nicht mehr

Auch die Zentralbanken erwartet er weiterhin auf der Käuferseite. Die Goldkäufe der Notenbanken erreichten bis Ende des dritten Quartals 2022 fast 700 Tonnen, vor allem aufgrund sehr umfangreicher Käufe im dritten Jahresviertel. «Die Käufe verzeichneten einen erheblichen Anstieg gegenüber dem Vorjahr und repräsentieren gleichzeitig die grösste in einem Quartal gekaufte Menge seit 1967», merkte Marx dazu an.

Er sieht eine weiterhin hohe Nachfrage vor allem seitens kleinerer Notenbanken. Die Käufe werden «im kommenden Jahr aber möglicherweise nicht das diesjährige Niveau erreichen».

Keine Impulse aus Automobilindustrie

Skeptisch ist Heraeus für Palladium. «Erstmals seit vielen Jahren dürfte der Markt einen Angebotsüberhang aufweisen», kommentiert Marx. Er erwartet auch keine Impulse aus der wichtigen Automobilindustrie. Die Personenwagen-Produktion erhole sich zwar, Verbrennungsmotoren würden jedoch Marktanteile an batteriebetriebene Elektrofahrzeuge verlieren. Bei den Katalysatoren werde sich die Substitution durch das günstigere Platin beschleunigen. Palladium werde nächstes Jahr wohl «der grösste Verlierer unter den Edelmetallen sein».

Aufgepasst auf Russland!

Insbesondere Russland müsse man bei Palladium aber beobachten, also den wichtigsten Produzenten des Edelmetalls. Bislang gibt es zwar keine Anzeichen dafür, dass Palladium aus Russland mit Sanktionen belegt wird, ähnlich wie es bei Gold schon heute der Fall ist. Daran sollte sich nach Einschätzung von Marx auch nichts ändern. «Doch sollte es Zeichen in diese Richtung geben, dann wären extreme Turbulenzen im Palladium-Preis zu erwarten.»

Eigenen Angaben zufolge ist Heraeus Precious Metals der weltgrösste Recycler und Händler von Edelmetallen. Das Unternehmen mit Sitz in Hanau gehört zur deutschen Heraeus-Gruppe, einem breit diversifizierten Technologiekonzern, unter dessen Dach auch die in Mendrisio beheimatete Tessiner Raffinerie Argor-Heraeus zuhause ist.