Schweizerinnen und Schweizer sind aussergewöhnlich risikoscheu beim Investieren, wobei Frauen, wenn es darauf ankommt, pragmatischer handeln als Männer. Das zeigt eine neue Studie. Vor dem Hintergrund der anhaltenden Inflation muss das Anlegen unter neuen Gesichtspunkten betrachtet werden, wie Luca Geisseler und François Rüf im Gespräch mit finews.tv betonen. 

Das Investmenthaus Vontobel hat gemeinsam mit dem verhaltensökonomischen Beratungsunternehmen FehrAdvice & Partners eine grossangelegte Studie unter Schweizer Anlegenden durchgeführt. Dabei ging es um die Herausforderungen, mit denen die Schweizer Privatinvestorinnen und -investoren beim Anlegen konfrontiert sind. Insgesamt nahmen mehr als 1'000 Personen an der Umfrage teil. 

Wie sich zeigt, haben mehr als 70 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer zuminest einen Teil ihres Vermögens angelegt. Allerdings zeigt sich, dass die Anlegerinnen und Anleger hierzulande aussergewöhnlich risikoscheu sind, wie aus der Studie hervorgeht. Das hat zur Konsequenz, dass viele Leute Chancen verpassen, wie Luca Geissler, CEO von FehrAdvice & Partners, im Interview mit finews.tv feststellt. Voraussetzung dafür ist jedoch, dass man als Investorin oder Investor seine Strategie mit einer Fachperson spiegelt und einen langen Anlagehorizont wählt, wie er weiter erklärt.

Ein grosses Phänomen beim Anlegen ist die sogenannte Overconfidence. Viele Privatinvestorinnen und -investoren überschätzen ihre eignen, persönlichen Fähigkeiten beim Anlegen systematisch, wie François Rüf, Head of Digital Investing bei Vontobel, erklärt. Und das kann fatale Folgen haben. «In unserer Studie sieht man das daran, dass Personen, die angeben, sich besonders gut auszukennen, häufiger Fehler machen, indem sie sich von Emotionen leiten zu lassen und diese Entscheidungen anschliessend bereuen», so Rüf weiter. 

Internet als Fluch und Segen

«Man hat heutzutage viel mehr und schneller Zugriff auf Informationen über Märkte und Aktien. Das führt dazu, dass sich viele Anlegende schon nach kurzer Internet-Recherche als ‹Spezialisten› fühlen», erklärt Geisseler. Das führe dann auch dazu, dass sie sich auf wenige Firmen oder Branchen fokussieren, teilweise sogar «vernarrten». «Dadurch verliert man die Diversifizierung respektive eine gut ausbalancierte Allokation», so Geisseler.

Rüf sieht das Internet als Informationsquelle für Investorinnen und Investoren sowohl als Segen wie auch als Fluch. Die Fülle an Informationen und Daten sei grundsätzlich etws Positives. Gleichzeitig würden sich aber vor allem Männer auf jene Informationen konzentrieren, die ihre Ansichten unterstützten. In der Fachwelt spricht man dabei vom «Confirmation-Bias», der sich jedoch als sehr trügerisch herausstellen kann. «Der persönliche Bankberater – oder die -beraterin – ist nach wie vor der wichtigste Anlaufpunkt für Privatanleger. Die digitalen Angebote ersetzen das Beratungsgespräch nicht, sie ergänzen es», betont Rüf.

Inflation wird ignoriert

Wie die Studie weiter zeigt, unterscheidet sich das Investitionsverhalten zwischen Männern und Frauen stark. «Frauen handeln weniger emotional», sagt Geisseler. Mehr noch: «Frauen legen im entscheidenden Moment häufiger eine gesunde Portion Pragmatismus an den Tag als Männer: Wenn für sie der richtige Zeitpunkt zum Anlegen gekommen ist, zögern sie viel weniger als Männer, die geplanten Investitionen auch umzusetzen», unterstreicht der CEO von FehrAdvice & Partners.

Erstaunlich ist schliesslich, wie wenig wichtige wirtschaftliche Vorgänge in das Anlageverhalten von Privatinvestorinnen und -investoren einfliessen. «Wir sehen in der Schweiz häufig, dass Inflation kaum wahrgenommen wird. Die Menschen verstehen, was Inflation ist, aber viele unterschätzen den konkreten Einfluss. Allein wenn wir uns die Gaspreise und Krankenkassenbeiträge anschauen, hatte das in letzter Zeit schon einen starken Einfluss auf die Kaufkraft», erklärt Rüf. 

Wesentliche Schattenseiten

Wie die beiden Experten betonen, führt die Risikoaversion dazu, dass viele Leute nur das Investieren, was sie wirklich entbehren können. Das übrige Geld bleibt auf dem Konto. Dabei geht oftmals vergessen, dass durch die Teuerung ein Teil weggeht. «Sehr vorsichtig zu sein, ist also nicht nur vorteilhaft, sondern hat auch wesentliche Schattenseiten», erklärt Rüf. Daraus leitet Geissler ab: «Inflation sollte künftig stärker in die Vermögensplanung einfliessen, um ihr mit ‹schlauen› Anlagen entgegenzuwirken.»

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