Die Therapie des Bundesgerichts geht am vermeintlich erkannten Problem vorbei: Interessenkonflikte lassen sich nicht aus der Welt schaffen, indem man sie verbietet.

Christoph_Winzeler_119x178Von Christoph Winzeler ist Leiter Finanzmarktrecht/Netting bei der Schweizerischen Bankiervereinigung

Zahlungen, die eine Bank nicht vom Auftraggeber und Kunden als Honorar, sondern von einem Dritten als «Retrozession» oder Vertriebsentschädigung erhält, sind des Teufels, folgt man dem Bundesgericht. Die Bank werde durch sie zur Dienerin zweier Herren – des Kunden, dessen Vermögen sie verwaltet, und des Dritten, dessen Produkte sie dem Kunden ins Depot legt. Dabei folgt das Bundesgericht unreflektiert der Sicht des Gesetzgebers von 1911, wonach der Auftrag typischerweise unentgeltlich war («ehrenamtlich») und der Beauftragte eigentlich damit nichts verdienen sollte (Art. 400 OR).

Interessenskonflikte gehören zum Leben

Irgendwie ragt das Auftragsrecht von einer anderen Zeit in die Gegenwart herüber und bedürfte einer «mise à jour» – vielleicht im Zusammenhang mit dem neuen Finanzdienstleistungsgesetz?

Für mich gehören Interessenskonflikte zum Leben, auch in der Wirtschaft; sie lassen sich oft nicht vermeiden; man muss nur mit ihnen umgehen können (ähnlich wie beim Risiko und Risikomanagement). So vertreibt zum Beispiel meine Bank Fondsprodukte eines Dritten und wird von diesem für ihr Marketing entschädigt.

Unerwünschter Anreiz für die Bank?

Die dafür bezahlte, so genannte Vertriebsentschädigung hat mit meinem Vermögensverwaltungsauftrag wenig zu tun; sie ist das Honorar aus dem Vertriebsauftrag.

In dieser Konstellation sieht das Bundesgericht den unerwünschten Anreiz für die Bank, dem Kunden bloss noch Fondsprodukte dieses Dritten zu vermitteln. Ohne es zu merken, schafft es mit seinem Federstrich einen wesentlich unerwünschteren Anreiz in die Gegenrichtung: Eine Bank, die für ihre Vertriebstätigkeit nicht mehr entschädigt werden darf respektive das Geld dem Kunden weitergeben muss, könnte sich dadurch anregen lassen, nur noch eigene, zum Beispiel strukturierte Produkte zu verkaufen.

Der Kunde hat das Nachsehen

Dann fliesst keine Vertriebsentschädigung mehr, und die Marge kommt ohne Abstriche der Bank zu. Der Kunde wiederum hat das Nachsehen, will heissen: ein wesentlich kleineres Angebot an Finanzprodukten. Aus diesem Angebot fallen womöglich dann ausgerechnet die kundenfreundlichen, sicheren Fondsprodukte, denn sie dürfen nur von einem Dritten, nämlich einer Fondsleitung gemäss Kollektivanlagengesetz ausgegeben werden.

Der Interessenkonflikt verschwindet auf diese Weise nicht; er steigert sich sogar, wenn die Bank in die Rolle des Dritten schlüpft, die Produkte nur noch selber herstellt und sie nachher dem Kunden verkauft. Für mich würde das Angebot der Bank so deutlich uninteressanter, aber ich traue ihr die nötige Kreativität zu, bessere und immer noch gangbare Alternativen zu finden.

Kein Beitrag an die Rechtsentwicklung

Die Therapie des Bundesgerichts geht am vermeintlich erkannten Problem vorbei: Interessenkonflikte lassen sich nicht aus der Welt schaffen, indem man sie verbietet. Es gibt jedoch Regeln für den Umgang mit ihnen.

Hätte das Bundesgericht sein Augenmerk auf sie gerichtet, wäre sein Urteil vielleicht ein Beitrag zur Rechtsentwicklung geworden. Das lässt sich vom jetzt ergangenen Urteil so nicht sagen (4A_127/2012 und 4A_141/2012, 30. Oktober 2012).