Online-Applikationen haben die Arbeit über die Corona-Krise hinweg gerettet. Nun stehen sie vielfach im Weg.

Im März 2020 musste es schnell gehen. Als das Coronavirus auch in der Schweiz um sich zu greifen begann und einen so noch nie da gewesenen «Shutdown» des öffentlichen Lebens verursachte, halfen Applikationen wie Zoom, Teams oder Slack, in den eigenen vier Wänden beruflich am Ball zu bleiben.

Während Banken wie die Schweizer UBS sich auf eine IT-Infrastruktur stützen konnten, die schon zuvor Fernarbeit ermöglich hatte, mussten kleinere (Finanz-)Unternehmen auf eine Vielzahl von Apps zurückgreifen. Dies, um den Kontakt mit Kunden, Mitarbeitenden und Lieferanten auch fernab des Büros aufrecht zu erhalten. Wobei nicht selten jene Anspruchsgruppen bestimmten, welche digitalen Instrumente zum Einsatz gelangten.

Fast doppelt so viele Apps im Einsatz

Inzwischen hat die Rückkehr «back to the office» längst wieder eingesetzt. Und obwohl gerade Schweizer Banken höchst grosszügig mit Fernarbeit umgehen, steigt auch hier der gefühlte Druck, im Büro vermehrt präsent zu sein. Demgegenüber bleibt der Wald an Apps, der in der Krisenlage herangezogen wurde, zumeist ungeschoren stehen – und erweist sich mehr und mehr als Hindernis für konzentriertes Arbeiten.

Und wie: die Agentur «Bloomberg» (Artikel bezahlpflichtig) zitiert dazu einen Report der kalifornischen Softwarefirma Okta, demzufolge bei Unternehmen im vergangenen Jahr im Schnitt 89 verschieden Apps zum Einsatz kamen. Dies gegenüber 58 noch im Jahr 2015. Grosskonzerne verwenden im Schnitt 187 Applikationen, wobei eine andere IT-Firma, Walkme, zum Schluss gekommen ist, das ein Drittel dieser Instrumente völlig redundant sei.

1'200 Mal switchen pro Tag

Das wirkt sich auf den Alltag aus. Die US-Wissenschaftspublikation «Harvard Business Review» hat vergangenen August eine Studie veröffentlicht, wonach 137 Büroarbeitskräfte bei drei amerikanischen Grossfirmen im Schnitt je 1’200 Apps und Webseiten öffneten – pro Tag! Die mentale «Neurorientierung» nach dem Sprung von einem digitalen Instrument oder Auftritt zum nächsten kostete sie dabei jeweils zwei Sekunden, vier Stunden pro Woche, und fünf Arbeitswochen pro Jahr. Die Hochrechnung fehlt, wie viel diese «Toggling tax» die Wirtschaft pro Jahr kostet.

Längst haben die eigentlich als Hilfsmittel gedachten digitalen Dienste den Arbeitsalltag auf bizarre Weise verändert. Etwa, wenn man während des Zoom-Calls noch über Teams chattet und auf Google Docs Dokumente abspeichert. Oder man sich eingestehen muss, dass eine kürzlich in einem Chat erwähnte Information angesichts der Diskurs-Dschungels schlicht nicht mehr aufzufinden ist.

Sogar Angebote, die Angestellten helfen sollen, Arbeitsstress abzubauen, haben ihren Weg ins Büro via App gefunden. So machte ebenfalls die Grossbank UBS ihren Mitarbeitenden Meditations-Apps zugänglich, um die Herausforderungen des Lockdowns besser zu meistern.

Jetzt ist das Management gefragt

Um dem drohenden «App-seits» zu entkommen, ist nun vor allem Führung gefragt. Das finden die Wissenschafter, welche die Studie bei den drei US-Konzernen durchgeführt haben. Vor jeder Einführung einer neuen Applikation müssten sich Manager etwa bewusst werden, welche unbeabsichtigten Kosten der Einsatz nach sich ziehen könnten. In einem weiteren Schritt sei sicherzustellen, dass die Hilfsmittel möglichst benutzerfreundlich sind – «User experience» sollte auch hier das Schlagwort der Stunde sein.

Und schliesslich gelte es, die weitere Verwendung der Apps im Auge zu behalten. Dienstleistungsfirmen sind bereit, Millionen für die Erforschung der «Customer journey» auszugeben. Mindestens dieselbe Aufmerksamkeit sollten die Unternehmen auch ihrem wichtigsten Produktionsfaktor angedeihen lassen – den Mitarbeitenden.