Naher Osten: Wie sich die Rolle der Vermögensverwalter verändert
Herr Charitos, wie wirken sich generationsbedingte Unterschiede auf die Haltung der Kunden im Nahen Osten gegenüber ihrem Vermögen und ihren Unternehmen aus? Wie unterscheiden sich die Strategien der jüngeren Generation?
Die junge Generation im Nahen Osten ist typischerweise stärker in die Familienunternehmen eingebunden und unternehmerisch aktiver als ihre Altersgenossen in anderen Regionen, die meist eine eher zurückhaltende Rolle einnehmen. Sie sind stolz auf das Vermächtnis ihrer Familien und schätzen die damit verbundenen Möglichkeiten, sind aber gleichzeitig motiviert, selbst etwas Eigenes aufzubauen.
Eine gemeinsame Umfrage von LGT und dem Tharawat Family Business Forum ergab, dass 59,3 Prozent der befragten Nachfolger in das Familienunternehmen einsteigen möchten – jedoch ziehen 66,7 Prozent es vor, eigene Unternehmen zu gründen. Ein möglicher Grund für diesen Unternehmergeist liegt in den traditionellen Führungsstrukturen der Region, die es der nächsten Generation mitunter erschweren, mehr Verantwortung zu übernehmen.
«Ältere Generationen sind zunehmend offen für neue Ideen.»
Positiv ist jedoch, dass sich ein allmählicher Wandel hin zu einer Meritokratie abzeichnet – weg von der traditionellen Erstgeborenenregelung. Ältere Generationen sind zunehmend offen für neue Ideen und bereit, diese in die Governance-Strukturen der Familie zu integrieren. Das kann bedeuten, ergänzende Geschäftsbereiche zu etablieren – etwa wenn ein Immobilienunternehmen in einen Gastronomiebetrieb investiert, der das Kerngeschäft sinnvoll ergänzt – oder gänzlich neue Sektoren zu erschliessen, die aber weiterhin den Werten der Familie entsprechen. Als Vermögensplaner bei LGT ist es faszinierend, diesen Wandel zu beobachten und dabei zu helfen, passende Governance- und Vermögensstrukturen für unsere Kunden zu entwickeln.
Wie hat sich die Rolle der Vermögensplaner verändert, da Familienunternehmen im Nahen Osten zunehmend professioneller und global diversifizierter agieren?
Die Rolle des Vermögensplaners wächst rasant. Früher beschränkte sie sich auf Einzelaufgaben wie die Errichtung von Familienstiftungen oder steueroptimierten Holdingstrukturen. Heute unterstützen Vermögensplaner auch beim Aufbau von Governance-Mechanismen, die alle Familienmitglieder einbeziehen, Qualifikationen für Eigentum definieren und Unternehmens- mit Vermögensstrategien in Einklang bringen. Diese erweiterte Rolle erfordert eine fein abgestimmte Balance zwischen langfristiger Strategie und kurzfristigen Massnahmen.
Zudem ist der Aufbau eines Netzwerks kompetenter Drittanbieter – etwa Anwälte oder Treuhänder – unerlässlich. Die Zeiten, in denen ein einzelner Vermögensplaner solche Projekte allein umsetzen konnte, sind vorbei. Die Komplexität und die regulatorischen Anforderungen machen das unmöglich. Zum Glück ist das Angebot an qualifizierten Dienstleistern in der Region hoch, und dieses Netzwerk wächst weiter, während sich die Kunden an moderne Herausforderungen anpassen.
Was ist aus Ihrer Sicht das grösste Hindernis für die Umsetzung wirksamer Governance-Strukturen in Familien und Unternehmen im Nahen Osten? Wie kann ein Vermögensplaner unterstützen?
Zwei Hauptprobleme sehe ich regelmässig: den Fokus auf «Form statt Inhalt» sowie ein Anspruchsdenken einiger Familienmitglieder, die die zugrunde liegenden Werte des Familienerfolgs nicht zu schätzen wissen. Eine Familie kann viel Geld in eine Verfassung und eine aufwendige Struktur investieren. Doch wenn die Führungspersonen deren Regeln nicht ernst nehmen, kann ein informelles Kaffeegespräch unter der Woche effektiver sein.
«Neugier ist unerlässlich. Ein Vermögensplaner sollte sich für die Geschichte der Region interessieren.»
Anspruchsdenken ist schwieriger zu lösen, da es tief verwurzelt ist. Wird es nicht angesprochen, kann es Vertrauen zerstören, Entscheidungen blockieren, Ressentiments auslösen und letztlich den langfristigen Erfolg von Familie und Unternehmen gefährden. Ein erfahrener Vermögensplaner kann helfen, indem er klare Durchsetzungsmechanismen einführt, die Governance-Strukturen stärken und dabei hilft, «anspruchsvolle» Familienmitglieder transparent zu identifizieren und konstruktiv einzubinden – auch durch das Vorleben positiver Beispiele.
Welche Fähigkeit ist heute für einen Vermögensplaner in der Region am wichtigsten?
Auch wenn es keine klassische «Fähigkeit» ist: Neugier ist unerlässlich. Ein Vermögensplaner sollte sich für die Geschichte der Region, die individuellen Werte jedes Familienunternehmens und die ständig wachsende Toolbox für global agierende Familienunternehmen interessieren. Intellektuelle Neugier ist entscheidend, um auch ungewöhnliche Anforderungen zu erfüllen.
«Wir sehen ein starkes Wachstum Scharia-konformer Produkte.»
Kürzlich wurden wir etwa gefragt, wie man den Wert «Widerspruchsgeist» in eine Familienverfassung integrieren kann – ein Thema, das in klassischen Wirtschafts- oder Jurastudien nicht vorkommt. Vermögensplaner müssen Wissen aus Psychologie, Geschichte, Religion und Unternehmensführung vereinen, um wirklich maßgeschneiderte Lösungen anbieten zu können.
Werden Scharia-konforme Produkte bei vermögenden Kunden im Nahen Osten beliebter oder verlieren sie an Bedeutung?
Wir sehen ein starkes Wachstum sowohl im Volumen als auch in der Komplexität und Vielfalt Scharia-konformer Produkte. Ein Bericht des «General Council for Islamic Banks and Financial Institutions» zeigt, dass der globale Markt für islamische Fonds in den letzten zehn Jahren um über 300 Prozent gewachsen ist. Ein interessanter Trend ist die Adaption im Einklang mit der koranischen Rechtsprechung bekannter Finanzprodukte, die ursprünglich nicht aus dem islamischen Finanzwesen stammen. Internationale Trusts und Stiftungen erfreuen sich bei Familien, die dynastisch planen, wachsender Beliebtheit, da sie scharia-konforme Nachlasslösungen mit steuerlicher Effizienz für internationale Investitionen verbinden. Dadurch entsteht ein breiteres Spektrum an Kapitalanlagen und raffiniertere Möglichkeiten, diese zu strukturieren.
Wie verändert die Digitalisierung die Vermögensplanung?
Digitalisierung und Technologie erleichtern die Umsetzung sowohl strategischer als auch taktischer Aufgaben. Transparente Kontrollmechanismen, umfassende Systeme zur Vermögensübersicht und schnellere Umsetzung treuhänderischer Transaktionen führen zu besserer Governance und umfassenderer Planung. Planer nutzen seit Langem Aggregationssoftware, um ein vollständiges Bild der Vermögenslage zu erhalten. Technologische Innovationen gehen heute darüber hinaus und unterstützen Familienbüros bei alltäglichen nicht-finanziellen Aufgaben.
«Die USA spielen eine zentrale Rolle in der Familienvermögensverwaltung im Nahen Osten.»
Spezialisierte Anbieter mit jahrzehntelanger Erfahrung entwickeln massgeschneiderte Betriebssysteme für jede Familie. Diese ermöglichen allen Beteiligten den Echtzeitzugriff auf relevante Informationen und Dokumente – und sorgen so für mehr Transparenz und effizientere Governance.
Wie entwickelt sich die GCC-Region (Golfstaaten) als globales Zentrum für Vermögensverwaltung? Kann sie mit Finanzzentren wie Zürich, London, Hongkong oder Singapur mithalten?
Die Entwicklung der GCC-Region seit der Asienkrise Ende der 1990er ist bemerkenswert. Langfristiger Erfolg eines Finanzplatzes hängt von Vertrauen und Nähe ab – und genau das bietet der Nahe Osten: geografisch, wirtschaftlich und kulturell. Die Regierungen der GCC-Staaten arbeiten eng mit Institutionen zusammen, die Familienunternehmen unterstützen, und setzen auf vertrauensbildende Massnahmen, die Investitionen fördern.
Die Region konkurriert heute bereits erfolgreich mit etablierten Finanzzentren. Sowohl Humankapital als auch Finanzströme verlagern sich zunehmend in den Golf – oft zulasten traditioneller Standorte. Ein gutes Beispiel: Die internationale Anerkennung von Stiftungen und Trusts, die im Dubai International Financial Centre (DIFC) oder Abu Dhabi Global Market (ADGM) gegründet wurden. Wenn die VAE zusätzlich das Haager Trust-Übereinkommen und ein Doppelbesteuerungsabkommen mit den USA ratifizieren würden, könnte die Region gleichziehen oder sogar attraktiver werden als traditionelle Zentren.
Welche Rolle spielt die USA bei der Gestaltung grenzüberschreitender Vermögensplanung im Nahen Osten?
Die USA spielen eine zentrale Rolle in der Familienvermögensverwaltung im Nahen Osten. Als weltweit grösster und liquidester Kapitalmarkt ist die USA sowohl Ziel- als auch Herkunftsland für Investitionen. Darüber hinaus erwerben viele Familienmitglieder dort akademische und berufliche Qualifikationen – inklusive globalem Netzwerk und Perspektive.
Die USA bieten auch Strukturen für steueroptimierte Vermögensplanung, sowohl für Investitionen als auch für Erbschaften mit US-Bezug. Obwohl US-bezogene Planung komplex ist, hat die Verfügbarkeit qualifizierter US-Anwälte in den letzten Jahren stark zugenommen. Dies macht die Umsetzung heute deutlich einfacher.
Wie stehen Kunden im Nahen Osten zu Philanthropie und Impact Investing? Wird das zunehmende Interesse hauptsächlich von den Werten der nächsten Generation angetrieben oder ist es eher eine pragmatische Reaktion auf äussere Einflüsse oder staatliche Initiativen wie etwa Saudi-Arabiens Vision 2030?
Philanthropie und Impact Investing haben tief verwurzelte Traditionen in der Kultur des Nahen Ostens, inspiriert durch religiöse Überzeugungen und ein starkes Verantwortungsgefühl gegenüber der Gemeinschaft. Der Islam – wie viele andere Religionen – betont die Pflicht zur Abgabe von Zakat und ermutigt darüber hinaus stark zu freiwilligen Spenden an Bedürftige. Gleichzeitig beobachten wir, dass sich Philanthropie in der GCC-Region zunehmend strategisch ausrichtet – wie auch der Bericht «Giving in the GCC» von LGT Philanthropy Advisory in Zusammenarbeit mit dem Cambridge Centre for Strategic Philanthropy zeigt. Während Spenden traditionell eher informell und situativ erfolgten, strebt die neue Generation von Philanthropen vermehrt danach, langfristige und nachhaltige Wirkung zu erzielen – mit einem gezielten, unternehmerisch geprägten Ansatz.
Dieser Wandel zeigt sich in der stärkeren Fokussierung auf Wirkungsmessung, dem Einsatz innovativer Lösungen und der Ausrichtung an nationalen Entwicklungszielen. Die Vielfalt gemeinnütziger Aktivitäten nimmt weiter zu – getrieben nicht nur von staatlichen Top-Down-Initiativen wie Vision 2030 in Saudi-Arabien oder vergleichbaren Strategien anderer GCC-Mitglieder, sondern auch durch zahlreiche muslimische und nicht-muslimische Projekte verschiedenster Größe, die auf konkrete gesellschaftliche Herausforderungen reagieren. Heute formen sowohl persönliche Überzeugungen als auch strategisches Denken eine dynamischere und innovativere Philanthropie-Landschaft in der Region.
Leo Charitos ist Senior Wealth Planner bei LGT Middle East.