Rückkehr des Testarossa: Ferraris neues 1'050-PS-Statement
finews.ch war am Dienstag, 9. September, vor Ort, als in Mailand das Tuch über dem neuen 849 Testarossa fiel. Chefdesigner Flavio Manzoni begründete die Ortswahl mit dem Status Mailands als «Hauptstadt des Designs». Die skulpturale Körperform führe direkt in die Welt der Architektur – namentlich zu Oscar Niemeyers markantem Mondadori-Hauptquartier –, und verstehe das Auto als rollende Skulptur.
Mit auf der Bühne: Enrico Galliera (Chief Marketing & Commercial Officer) und – fast noch wichtiger – Gianmaria Fulgenzi (Chief Product Development Officer). Galliera hielt fest, dass Modernität und technische Exzellenz den Massstab bilden, wie bei allen Ferrari-Modellen ausserhalb der limitierten Icona-Serie. Fulgenzi unterstrich: Dieses Auto folge keiner «nostalgischen» Idee, sondern einem vorwärtsstürmenden Technikverständnis.
Name, Positionierung und Herkunft
«849» verweist auf acht Zylinder und das Hubraumvolumen (499 Kubikzentimeter pro Zylinder); «Testarossa» knüpft an eine Bezeichnung, die in der Ferrari-Geschichte für die kräftigsten Modelle der Kernpalette reserviert war, und ganz ursprünglich für die rot lackierten Ventildeckel der Rennmotoren, später für die Ikone von 1984. Der Neuling ersetzt den SF90 und setzt als Performance-Benchmark einen neuen Fixpunkt in der regulären Modellreihe.
Spider-Version des neuen 849 Testarossa. (Bild: zVg)
Ferrari gibt die Systemleistung mit 1’050 PS an. Das sind 50 Pferdestärken mehr als beim SF90. Das PHEV-Layout bleibt vertraut: ein mittig-heckseitig eingebauter Twin-Turbo-V8 und drei Elektromotoren (zwei vorn für den elektrisch unterstützten Allradantrieb e-4WD und Torque Vectoring, einer an der Hinterachse), wobei die Batterie-Seite 220 PS beisteuert.
Unter der Haube: der neue V8
Das Herzstück ist weiterhin Ferraris V8 mit 3’990 Kubikzentimetern Hubraum – neu mit 830 PS und 842 Nm bei 6’500/min, also 50 PS mehr als in der früheren SF90-Ausbaustufe. Erreicht wurde dies u.a. durch einen grösseren Turbolader – den grössten, der je in einem Ferrari-Serienmodell verbaut wurde –, überarbeitete Zylinderköpfe und Motorblock, neue Auspuff- und Ansaugkrümmer, Titanschrauben sowie eine verfeinerte Kraftstoffversorgung.
Zur Einordnung: Der SF90 von 2019 kombinierte sein Hybridsystem mit einem V8, der 780 PS und 800 Nm bei 6’000/min leistete – die neuen Verbrenner-Errungenschaften des 849 Testarossa sind also durchaus handfest.
Aerodynamik, Kühlung – und diese Türen
Die Form folgt kompromisslos der Funktion. Der Gesamtabtrieb beträgt 415 Kilogramm bei einem Tempo von 250 km/h. Das sind 25 Kilo mehr als beim SF90. Die Kühlleistung für Antrieb und Bremsen hat um 15 Prozent zugenommen. Das Packaging des grösseren Turbos und der gesteigerte Luftbedarf sind spektakulär in die Körperform eingeschrieben: Die tief modellierten Türen dienen als Luftkanal, erhöhen den Luftstrom zum Ladeluftkühler um 30 Prozent und speisen zugleich Bremsen und Motoreinlass. Unter dem Wagen sorgen neue Wirbelgeneratoren am Unterboden auf der Vorderseite für mehr Vorderachs-Abtrieb und weniger Luftwiderstand.
Markantes Designmerkmal: Twin-Tail-Hecksektionen, inspiriert vom Ferrari 512 S (1970). (Bild: zVg)
Am Heck arbeitet eine vom 512 S inspirierte Twin Tail-Architektur mit einem nun 2 Kilogramm leichteren, aktiven Spoiler zusammen; dieser wechselt in unter einer Sekunde zwischen Low-Drag und High-Downforce und liefert bis zu 100 kg Abtrieb bei 250 km/h. Ein mehrstufiger Diffusor und ein revidierter Heckunterboden halten das Lastniveau und senken gleichzeitig den Widerstand um 10 Prozent. Das Bremsluft-Management wurde vorne wie hinten für die höheren Lasten neu ausgelegt.
Elektronik, die schneller macht: FIVE & ABS Evo
Der neue FIVE (Ferrari Integrated Vehicle Estimator) berechnet als digitaler Zwilling des Fahrers in Echtzeit das Fahrzeugverhalten. Gespeist wird dieser neuartige und selbstlernende Assistent unter anderem von einem 6D-Sensor. So werden Daten wie Geschwindigkeit und Gierrate geschätzt und den Steuerungssystemen zugeführt, also dem e-4WD, e-Differential und Traktionskontrolle. Das soll die Reaktionen präziser und wiederholbarer machen. «Damit fährt ein geübter Pilot auf der Rennstrecke wie ein Profi», sagte Galliera.
Dazu kommt ABS Evo, nun in allen Manettino-Positionen (also Fahrmodi) aktiv. Resultat: später, härter, konstanter bremsen, unterstützt von grösseren Scheiben/Belägen und optimierten Luftkanälen. Der Bremsweg beträgt 28,5 Meter (100–0 km/h) bzw. 108,0 Meter (200–0 km/h). Laut Ferrari ist das rund 6 Prozent besser als beim SF90. «Im Rennbetrieb ändert das viel», so Galliera.
Zahlen, die zählen
0–100 km/h in unter 2,3 Sekunden, 0–200 km/h in 6,35 Sekunden sowie über 330 km/h in der Spitze. Auf der Haus-Referenzrunde in Fiorano bei Modena stoppt der 849 Testarossa bei 1:17,5 Minuten. Das ist 1,2 Sekunden schneller als der SF90, wie die Verantwortlichen in Mailand betonten.
Interieur in Giallo Siena Alcantara. (Bild: zVg)
Trotz Hardware-Anpassungen, die eigentlich ein Zusatzgewicht von 20 Kilogramm bewirkt hätten, hält der 849 das Leergewicht von 1’570 kg des SF90. Dies dank akribischer Leichtbau-Arbeit (u.a. Titanschrauben, leichtere Nockenwellen). Das ergibt das beste Leistungsgewicht eines Serien-Ferrari.
Design, HMI und Interieur
Manzonis Team treibt eine architektonischere Formensprache voran: vertikale und transversale Volumen, die Anmutung der Sportprototypen der 1970er, dazu das dramatische «Twin Tail» in Form von zwei muskulären Heckspoilern. Im Innenraum: ein horizontales Armaturenbrett mit schwebendem Oberteil, C-förmige Luftdüsen und eine vom F80 inspirierte Schaltkulisse im «Segel» der Mittelkonsole. Am neuen Lenkrad kehren mechanische Tasten zurück (inklusive des ikonischen Ferrari-Startknopfs); die digitale Anzeige steuert die vier e-Manettino-Modi. Apple CarPlay/Android Auto und kabelloses Smartphone-Laden sind an Bord, die MyFerrari-Connect-App ermöglicht Fernzugriff.
Die Sitze gibt es als Komfort- oder als Karbon-«Racing»-Sitz; der Einstieg verbessert sich dank schlanker ausgelegter Türunterkanten. Neue Farben debütieren: Rosso Fiammante und Giallo Ambra für die Lackierung sowie Giallo Siena aus Alcantara im Innenraum.
Assetto Fiorano: die Track-Option
Das Assetto Fiorano spart rund 30 Kilogramm durch leichte Materialien wie Titan, bringt 20-Zoll-Karbonräder und steifere, einstufige Multimatic-Dämpfer. Aerodynamisch gibt es grössere Front-Flicks und ein zusätzliches Paar Wirbelgeneratoren am Unterboden; hinten ersetzen zwei Flügel die «Twin Tails» und verdreifachen den vertikalen Abtrieb – ohne markanten Drag-Malus. Erstmals lässt sich Assetto Fiorano mit Frontlifter ordern. Eine exklusive Verlaufslackierung in Bianco Cervino oder Rosso Corsa setzt den Farbton.
Version mit «Assetto Fiorano»-Paket. (Bild: zVg)
Wie bei den aktuellen Modellen üblich, umfasst das Paket sieben Jahre planmässige Wartung weltweit. Für die Hybridkomponenten gilt fünf Jahre Garantie; Programme zur Verlängerung sind bis ins achte Jahr erhältlich (inklusive kostenlosem HV-Batterietausch) und mit «Power Hybrid» sogar bis Jahr 16 (dann erneut Batterietausch ohne Zusatzkosten).
Marktbild: Schweiz und darüber hinaus
Seit 2021 wurden in der Schweiz 255 SF90 ausgeliefert – rund 10 Prozent der insgesamt 2’377 Ferrari-Zulassungen. Für das Preisniveau des Wagens ist das beachtlich. Auf die Frage nach den stärksten Märkten für den 849 betonte Galliera, dass Fahrkönnen und Rennsport-Begeisterung heute weltweit breit verteilt sind. Insofern seien die Absatzperspektiven nicht regional zu betrachten, sondern «global gut».
Als Serien-Ferrari ist der 849 Testarossa grundsätzlich über die Händler bestellbar; die Produktion bleibt jedoch kapazitätsbedingt limitiert. «Sie wird sicher unter dem liegen, was wir theoretisch verkaufen könnten», so Galliera. Italienische «Drive-Away»-Preise: 460’000 Euro für die Berlinetta und 500’000 Euro für den Spider; das Assetto Fiorano kostet einen Aufschlag von 42’400 Euro. Gegenüber dem SF90-Start (rund 430’000 Euro für das Coupé, 473’000 Euro für den Spider) ist das ein moderater Aufschlag. Die Schweizer Preise will Ferrari in den kommenden Wochen bekanntgeben – die Währungseffekte der letzten Jahre könnten hierzulande die Preissteigerung etwas dämpfen.