Neuer BCG Schweiz-Chef: «Wer jetzt zögert, verliert den Anschluss»


Herr Morach, Sie haben die Leitung von BCG Schweiz übernommen – in einer Zeit voller geopolitischer Spannungen, technologischer Umbrüche und wirtschaftlicher Unsicherheit. Was steht bei Ihnen derzeit ganz oben auf der Agenda?

Ich empfinde solche Phasen stets als enorm spannend. Stillstand und Routine liegen mir weniger – und davon hatten wir in den vergangenen Jahren definitiv nicht viel. Für Boston Consulting Group in der Schweiz hat Wachstum oberste Priorität. Das spielt sich entlang von drei Achsen ab: Erstens in unseren heutigen Kernsektoren Health Care, Finanzen und Versicherungen, zugleich wollen wir im Bereich Industrie- und Konsumgüter stark wachsen. Zweitens geografisch, insbesondere in der Genfer Region, wo wir mit einem zweiten Standort präsent sind. Und drittens im Bereich künstliche Intelligenz. Die Schweiz tritt gerade aus einer Experimentierphase heraus. Jetzt geht es darum, die grossen Transformationsprogramme anzupacken. Dafür braucht es Mut, vor allem wenn man in Kernprozesse eingreift.

Heisst das, die Unternehmen sind bereit, über Chatbot-Lösungen hinauszugehen und echte Prozessveränderungen anzugehen? 

Genau. Für einen einfachen Chatbot erhält man künftig keinen Applaus mehr, das wird in einem Jahr zur Grundausstattung gehören. Schon jetzt ist die Entwicklung deutlich erkennbar. Die Frage ist: Welche Kernprozesse prägen den Wertschöpfungskern eines Unternehmens? Und wie lassen sie sich mit Hilfe von GenAI neu aufsetzen?

«Ohne gute Datenbasis wird jede GenAI-Initiative mühsam. Die Schweiz hat hier aber einen Vorteil.»

Der Hebel ist riesig, aber es verlangt viel Mut, etablierte Abläufe aufzubrechen. Die Firmen, die bei Datenstrukturen gut aufgestellt sind, kommen deutlich schneller voran.

Das heisst, bei vielen bestehen weiterhin Datenprobleme?

Ja, das bleibt eine zentrale Herausforderung. Am Tisch sitzen oft jene vorne, die ihre Daten über Jahre strukturiert aufgebaut haben. Ohne gute Datenbasis wird jede GenAI-Initiative mühsam. Die Schweiz hat hier aber einen Vorteil: Branchen stehen oft vor ähnlichen Grundfragen, was den Austausch erleichtert. Cross-Sector-Learning ist ein grosses Asset. 

Und dieser Austausch funktioniert gut? 

Absolut. Das ist auch ein Grund, weshalb wir die Initiative «Deep Tech Nation Switzerland» unterstützen, die von verschiedenen Partnern getragen wird, unter anderem von Swisscom. Wir wollen physische Räume für Dialog schaffen. Zudem verfügen wir in der Schweiz mit ETH, EPFL und den Universitäten über eine exzellente wissenschaftliche Basis. 

Der Beratungsmarkt ist kompetitiv. Wie positioniert sich BCG?

Unsere Stärke liegt in der Kombination aus tiefer sektoraler Expertise und funktionalen Fähigkeiten: von Data Science über Tech-Implementierung bis zu Change-Management. Weltweit haben wir über 3'000 Data Scientists in unserer X-Unit.

«Themen wie AI oder Stablecoins dürfen nicht liegenbleiben.»

Eine erfolgreiche AI-Transformation gelingt nur, wenn Branchenwissen, technische Umsetzungsstärke und Change-Kompetenz zusammenkommen. Viele Wettbewerber decken einzelne Elemente ab, aber nicht die ganze Breite.

Wo sehen Sie die grössten Wachstumsbereiche in der Schweiz?

Historisch sind die Finanzbranche und Pharma unser Rückgrat. Starkes Potenzial sehen wir bei BCG zudem in Industriegütern sowie im Konsumgüterbereich – letzterer besonders in der Genfer Region. Auch Private Wealth bleibt für uns ein wichtiger Markt.

Der Finanzplatz Schweiz befindet sich seit dem Niedergang der Credit Suisse in einer Phase der Neuorientierung. Wie erleben Sie das?

Es herrscht sehr viel Unsicherheit: Wie positioniert sich der Finanzplatz künftig? Wie entwickelt sich das Commitment der UBS? Gleichzeitig entstehen Chancen: Andere Institute gewinnen an Dynamik und können Marktanteile ausbauen. Wir befinden uns in einer Umbruchphase. 

Braucht der Finanzplatz einen Innovationsschub? 

Innovation ist einer der Differenzierungsfaktoren der Schweiz. Selbstverständlich verlangt die Integration von zwei Grossbanken volle Konzentration. Aber irgendwann muss man wieder nach vorne schauen. Themen wie AI oder Stablecoins dürfen nicht liegenbleiben.

Welchen Rat geben Sie Banken in Sachen Digitalisierung?

Habt Mut, die Kernprozesse anzupacken. Wer in den nächsten vier Jahren nicht substantiell transformiert, verliert im internationalen Vergleich an Boden. Die Entwicklung bei AI beschleunigt sich exponentiell. Warten auf perfekte Datenstrukturen ist der falsche Ansatz. Man muss parallel Quick Wins realisieren und die Datenbasis modernisieren. Zudem ist der enge Austausch mit dem Regulator essenziell, besonders beim Thema Datenschutz. 

Haben wir zu viel Regulierung? 

Regulierung braucht es, aber die Balance ist entscheidend. In Europa beginnt man oft mit der Regulierung und denkt erst in einem zweiten Schritt über Innovation nach. In den USA oder Asien passiert beides parallel. Das fördert Unternehmertum. Aber: Der Regulator darf keine Ausrede sein, nichts zu tun. Unternehmen müssen proaktiv handeln.


Benjamin Morach ist seit 1. Oktober 2025 neuer Schweiz-Chef von BCG mit den Büros in Zürich und Genf. Der 37-jährige, gebürtig aus dem Kanton Basel-Landschaft, gilt als ausgewiesener Experte für Private Equity und gross angelegte Transformationen.